1) Die grundlegendste Frage ist meiner Ansicht nach: Willst du dein Leben überhaupt weiter so fristen, wie es gerade der Fall ist? Und damit meine ich nicht nur auf der romantischen Ebene.
Hierzu, volle Offenlegung meinerseits: Als ich den Thread zuerst gelesen hatte, war mein ein erster Impuls zu schreiben "die grundlegendste Frage ist: wie wichtig ist dir dein erstes Mal?", aber dann habe ich mir deine Posting History durchgelesen und diesen Punkt auf später verschoben. Ich selbst hatte zwar vor langer Zeit ebenfalls Probleme mit dem anderen Geschlecht ähnlich den deinen, aber weil ich zumindest immer irgendwie so etwas wie ein soziales Netz hatte, war ich nicht ganz so verloren.
In deinem Fall habe ich allerdings den Eindruck, dass der Versuch, romantisch aktiv zu werden, darauf hinausläuft, das Pferd von hinten aufzuzäumen - du hast so viele andere Baustellen in deinem Leben, die du in Angriff nehmen müsstest,
bevor du dich ernsthaft ans Dating machst. Und ja, ich weiß auch selber, wie schwer genau das ist, wenn die eigenen Gedanken eigentlich immer um was anderes kreisen und man selbst fest davon überzeugt ist, dass man sein Leben auch ganz bestimmt in den Griff bekommen würde, wenn man nicht mehr alleine wäre. Leider läuft es so rum nicht - ohne Freunde, Hobbys, Arbeit und in Therapie sowie in der tiefsten, überalterten Provinz (kein Wunder, dass dir Dating Apps nichts bringen...) bist du in einer denkbar schlechten Ausgangssituation. Im Grunde müsstest du deine Energie darauf verwenden, diese Aspekte zu ändern, und nicht in die leere Hoffnung investieren, eine Freundin dort zu finden, die sich nicht an deinen Lebensumständen stößt.
Den Lebensmittelpunkt verlegen, sich eine eigene Existenz aufbauen (das eine wird vermutlich ohnehin das andere bedingen), interessante Hobbys finden, soziale Kontakte knüpfen (auch wenn es extrem schwer fällt) - das sollten deine obersten Prioritäten sein. Und selbst wenn du sie nur teilweise erfüllst, jeder einzelne Fortschritt in diesen Bereichen bringt dich vermutlich weiter als dieselbe Energie darin zu investieren, direkt eine Freundin zu finden - zumindest in deiner momentanen Situation.
Ja, mir ist bewusst, dass es auch Leute gibt, die nichts dergleichen haben und trotzdem irgendwie an Bräute rankommen - aber ich glaube kaum, dass du diese Nummer abziehen kannst.
2) Die zweite Frage: Wie wichtig ist dir dein erstes Mal? Damit meine ich nicht, ob du dir ein besonders grandioses einzigartiges Erlebnis wünschst, sondern wie sehr dich deine Jungfräulichkeit auch psychisch belastet.
Es ist nämlich eine Sache, wenn man introvertiert ist und sich schwer tut, reale Kontakte zu knüpfen; und eine weitere, wenn man selber keine Ahnung hat, wie man flirten und unauffällig die Grenzen der Komfortzone einer anderen Person ausloten kann, ohne sich eine Watsche zu fangen - aber wenn dazu dann auch noch Depressionen, Panik, Minderwertigkeitsgefühle etc. wegen des Status als Jungfrau kommen,
dann hat man erst recht ein Problem.
Ich erwähne das deswegen, weil mir durchaus bewusst ist, was für einen Unterschied es ausmachen
kann, wenn man diese Erfahrung erst einmal abgehakt hat. Das ist natürlich nicht bei jedem so, es soll auch solche geben, die eine nahezu zen-mäßige Gleichgültigkeit bezüglich des eigenen sexuellen Erfahrungshorizontes haben (bzw. des eigenen Mangels in dieser Hinsicht) - aber wenn das nicht auf dich zutrifft, dann gibt es zumindest den Silberstreifen am Horizont, dass,
wenn du das ganze erst Mal hinter dich gebracht hast, es danach auf eine schwer beschreibbare Weise merklich einfacher wird.
In deiner Situation würde das allerdings auch bedeuten: Kompromisse eingehen.
Damit klar wird, wie ich das meine: Als Jugendlicher war meine romantische Idealvorstellung die gewesen, mit einer festen Freundin in einem unglaublichen Erlebnis gemeinsam die Jungfräulichkeit zu verlieren. Mein tatsächliches Erstes Mal war so ziemlich das Gegenteil von all meinen ursprünglichen Fantasien - aber auch wenn die Erinnerung daran nichts ist, was ich mir golden eingerahmt an die Wände meines Gedankenpalastes hängen würde, so hatte es doch auf eine gewisse Weise bei mir einen Schalter umgelegt, und danach war es dann tatsächlich einfacher - und die festen Freundinnen kamen dann ganz automatisch (ernsthaft - wäre mir vorher bewusst gewesen, dass die von mir ursprünglich favorisierte Reihenfolge rein optional ist, hätte ich mir eine Menge ersparen können).
Es geht also weniger darum, ob du nachher mit Stolz oder einem Gefühl der Erfüllung auf dieses Erlebnis zurückblicken kannst, sondern ob es dir hilft, selbst mit dir ins Reine zu kommen (bei manchen reicht tatsächlich der Besuch bei einer Dame des ältesten Gewerbes, bei dir habe ich allerdings nicht den Eindruck, dass es den gewünschten Effekt hätte). Welche Kompromisse du einzugehen bereit bist, musst du selbst beurteilen, aber darüber Gedanken machen würde ich mir schon - nicht, dass du dich wegen bestimmter, schwer erfüllbarer Ansprüche selbst sabotierst.
PS: Jemand meinte hier, dass man sich Sexkenntnisse auch anlesen kann - das stimmt bis zu einem gewissen Grad durchaus. Wenn es dir hilft, dich sicherer und weniger überfordert zu fühlen, informier dich darüber - das Internet ist groß.
3) Du fragtest hier, inwiefern du zu deiner Jungfräulichkeit stehen solltest, und hier haben ja fast alle gesagt, wie toll Ehrlichkeit ist und dass du ja ohnehin mit niemandem in die Kiste willst, der in dieser Hinsicht nicht zu dir passen würde blablabla.
Dazu eine kleine Anekdote: Vor 2 oder 3 Jahren gab es mal einen Thread hier im Joy, wo ein junger Mann etwa deines Alters eine ähnliche Frage gestellt hatte. So gut wie alle kommentierenden Frauen im Thread lobten den jungen Mann für seine Offenheit und wie toll es doch wäre, dass er dazu stehen würde und dass er garantiert eine finden würde etc. pp. ... wie man es sich halt so vorstellt. Als ich die Frage aufwarf, welche der Damen denn den TE von seinem Leid erlösen würde, gab es auf einmal sehr viel Ausreden, warum ausgerechnet man selbst natürlich nicht die geeignete Ansprechpartnerin wäre. Was natürlich auch vollkommen legitim ist - nur hat das ganz nett illustriert, dass hier Ideal und Wirklichkeit doch ein wenig auseinanderklaffen.
Und in deinem Fall bedeutet das eben auch, dass du dir mit Ehrlichkeit deine (u.a. aufgrund deiner Umgebung ohnehin) schon selten auftretenden Chancen verhageln kannst, und zwar auch solche, die mit etwas weniger Seelenstriptease durchaus Erfolge hätten zeitigen können. Womit wir übrigens wieder beim Thema Kompromisse wären. Ob du es nun mit der Maxime "fake it till you make it" hältst oder zumindest ausweichende Antworten perfektionierst, mit denen du ohne zu lügen den Eindruck erweckst, dass du nicht vollkommen ahnungslos bist. Vergleich es mit einem Bewerbungsgespräch - da tischst du dem zuständigen Personaler zwar auch nicht faustdicke und transparente Lügen auf, aber trotzdem bindest du ihm andererseits auch nicht auf die Nase, dass du vom Tuten und Blasen keine Ahnung hast und die Chancen ganz gut stehen, dass du im ersten Monat erst mal jede Tätigkeit vergeigen wirst.
4) Plattformen, Apps etc.: Erstens - erhoffe nicht zuviel. Aus deiner Aussage, dass du dir mehr erhofft hast, schließe ich, dass du darauf spekuliert hast, dass du hier (oder auf anderen Seiten) mehr oder weniger einfach jemanden finden könntest - nun, dem ist nicht so. Dating-Apps und Dating-Seiten sind für Männer nicht gerade besonders freundliches Territorium; ist einfach so, sich darüber aufzuregen bringt nichts. Frauen werden mit Nachrichten totgeworfen, erst recht auf solchen Seiten/Apps, bei denen Sex ohne Beziehung eine reale Option ist. Ich habe oben schon mal die Bewerbungsmetapher verwendet, und auch wenn es nicht besonders aufbauend ist: Als Mann bist du in der Bewerbersituation.
Zweitens: Ich würde in deinem Profil nicht unbedingt dokumentieren, wie verzweifelt du bist. Das ist der Abturner schlechtin (frag dich bei allem, was du machst: Würde ich mich selber daten wollen?).
5) Die gute Nachricht: Soweit ich das beurteilen kann, bist du vorzeigbar (das erwähne ich deswegen, weil das nicht selbstverständlich ist und bei anderen durchaus der schlimmste Stolperstein sein kann, weswegen sie von 99% aller Frauen abgelehnt werden). Du bist 1,80m groß, bist weder über- noch krass untergewichtig, und vom Gesicht her scheint es auch zu passen (frag da aber lieber eine Frau). Wenn du vernünftige Fotos machst (keine Selfies vorm Spiegel!) und Tinder woanders als in der thüringischen Provinz anwirfst, hättest du wahrscheinlich sogar durchaus Erfolgschancen (aber erhoffe dir wie gesagt nicht zuviel, du hast immer noch ein Y-Chromosom).