Selbstbegrenzung & Selbstfürsorge
vielen mir ad hoc zu diesem Satz ein:
Ich entscheide mich für mich, aber nicht gegen Dich.
Für mich ist dieser Satz wunderschön.
Nun bin ich ein Mensch, der ein starkes Streben nach (Selbst-)Erkenntnis, Unabhängigkeit und Wachstum in sich trägt. Und so grundsätzlich habe ich die Einstellung, dass man in Beziehungen - gleich welcher Art - Begegnungen nicht erzwingen sollte. Ja, dass jeder Mensch seinen eigenen Rhythmus hat. Und dass somit auch jede Beziehung in jeder Lebensphase ihren eigenen Rhythmus aus Nähe und Distanz hat. Und zwar immer soviel Nähe, wie beiden Seiten angenehm ist. Ja, ich betrachte eine Beziehung als ständiges Wechselspiel aus sich-einander-annähern und sich-voneinander-wegbewegen.
Gibt es Unstimmigkeiten, ist es gut, zunächst in-sich-zu-gehen, den eigenen Standpunkt zu finden und sich über den Standpunkt des anderen zu erkundigen -
wenn dieser soweit ist.
Schließlich geht es in Beziehungen oftmals um emotional besetzte Themen. Ist ja nicht so, dass man einen Fach-Referenten vor sich hat, der seine Souveränität dadurch zeigt, dass er wie aus der Pistole geschossen etwas über sein Sachthema sagen kann. Und wenn ich mir als Frau zehn Wochen lang Gedanken zu einem Thema gemacht habe und meinen Partner damit zum ersten Mal konfrontiere... nun ja... dann sollte ich diesem womöglich auch ein paar Tage Zeit geben, um seinen eigenen Standpunkt zu finden, oder?
Also ich finde, bei emotional aufgeladenen Themen zeichnet sich der souveräne Mann dadurch aus, dass er nicht ad hoc das erstbeste von sich gibt, um souverän zu wirken sondern dass er souverän bestimmt, wieviel Zeit er braucht, um überhaupt eine brauchbare Antwort geben zu können.
Und da liegt eben schon oft der Hase im Pfeffer. Anstatt bei dem eigenen Standpunkt zu bleiben und dem Gegenüber Zeit zu geben sich selbst zu verorten "ich entscheide mich für mich, nicht gegen Dich", gehen viele sogleich zum zweiten Schritt über und präsentieren ihren "Kompromiss" für die Beziehung. Da wird die Handlungsanweisung für den Partner sogleich mitgeliefert. Und weil es sich so schön durchdacht anhört und die Frau nach zehn-wöchiger-Eröterung und Lösungssuche mit ihren Freundinnen darauf brennt zu erfahren, wie er es findet, sagt Mann ad hoc "Ja". Oftmals kann er diesen Kompromiss in Wirklichkeit aber gar nicht leben. Schludert rum, etc.pp.
Et voila hat man einen Dauerbrenner in der Beziehung, den man trotz vieler vieler Gespräche und ausgehandelter Kompromisse nie für beide Seiten befriedigend gelöst bekommt.
Für mich bedeutet Liebe unter anderem auch: Dem Partner Distanz geben. Zeit für seine Stellungnahme lassen. (das lässt sich auf verschiedene Arten organisieren) Zunächst bloß ein Zwischenergebnis erwarten. Durch gegenseitige Verständnisfragen beide Standpunkte begreifen und anerkennen. Den Partner so anerkennen wie er nun Mal ist. (Auch wenn's doof ist und man sich den Partner an dieser Stelle lieber anders gebacken hätte.) Doch das ist nun Mal sein Naturell. Gehört zum Gesamtpaket.
Nur, wenn man den Partner (er)kennt, kann sich beim späteren Aushandeln und Aufeinander-Zubewegen die Wertschätzung für das, was er aus Liebe zu geben bereit ist, auch einstellen. Man muss sich ja nicht immer haargenau in der Mitte treffen. Womöglich folgt einer seinem Partner auch ganz und gar. Aber das Ausmaß für das, was gegeben wird, das wird erst durch den ursprünglichen Standpunkt ersichtlich. Und angemessene Dankbarkeit kann sich nur einstellen, wenn das Ausmaß dessen, was einem gegeben wurde, bekannt ist.
Weg von allen Konventionen und Beziehungsvorstellungen der eigenen Peer-Group, hin zu einer indivuell gestalteten Beziehung zweier Wesen.
Das erfordert Selbstfürsorge, Selbstbegrenzung, Geduld, Erkennen und Annerkennung des Andersartigen, Auseinandersetzung, Lösungsfindung und Dankbarkeit. Ja Dankbarkeit ist ein ganz wichtiger Faktor in einer Beziehung.
Und eine Lösung... Eine Lösung muss gar nicht immer in einem Kompromiss bestehen.
Für mich jedenfalls nicht.
Man muss nicht alles im Leben gemeinsam tun.
Eine Lösung kann auch sein, in einem Lebensbereich auch Mal für einen begrenzten Zeitraum getrennte Wege zu gehen. Dem Partner einen Raum, ja einen Zeitraum für die eigene Entwicklung zu geben. Dann kann dieser auch wieder etwas frisches in die Beziehung rein bringen und es wird nie langweilig. Man begegnet sich ja immernoch auf genügend anderen Ebenen.
Nun, im Laufe meines Lebens habe ich festgestellt, dass dieses Beziehungskonzept z.B. überhaupt nichts für Menschen mit starkem Harmonie-Bedürfnis ist. Und bei weitem hat nicht jeder den dafür notwendigen Drang nach Erkenntnis und Selbsterkenntnis. Denn die eigenen Abgründe sind immer unangenehm und mit Ängsten und Schmerzen verbunden. Ist in Ordnung. Nicht alle Menschen passen zu mir. Und nicht alle Menschen wollen mit ihrem Partner derart in die Tiefe gehen. Die müssen ihre Beziehungen nun Mal anders gestalten, um das gemeinsame Leben genießen zu können. Vollkommen in Ordnung. Jeder nach seinem Naturell.
Es gibt Menschen, für die ist der Satz
Ich entscheide mich für mich, aber nicht gegen Dich.
eben nichts. - Auch gut. Gut für sie, sich davon abzugrenzen.