****75:
Mitzukriegen, wie ein Mensch mit der eigenen (körperlichen wie psychischen) Uneindeutigkeit keine Resonanz, keine tragende Unterstützung wie "emotionale Sicherheit" erhält, am Sich-nicht-zu-ordnen-wollen und vorallem -können verzweifelt, hinterlässt mich mindestens sehr betroffen und noch einiges mehr.
Und das Leid des "Sich-nicht-zu-ordnen-wollens" wird durch die Einführung einer weiteren Zuordnungskategorie auch nur gelindert, die physische Realität dadurch verändert, die Psyche gestützt? Die neue Kategorie erzeugt tragende Unterstützung und "emotionale Sicherheit" statt Ausgrenzung und Ablehnung? Das von jemandem, der (wie ich finde: erfreulicherweise) von sich schreibt, daß er keine Kategorisierungen und Etiketten liebt?
****75:
Nebst dem alltäglichen Zuordnungsdruck, den physischen wie psychischen Folgen (mindestens) einer Operation im Kleinkindalter wie jahrelanger ärztlicher Überwachung (ist in einigen Fälle höhnisches Schönreden...) kann dann auch noch die gerichtliche Auseinandersetzung zur Aufdeckung der Geburtsakten gegen den Willen der Eltern kommen. Ist dies aus mindestens 30 Jahren gesammelter Lebenserfahrung genug konkret
?
Ich kann es nicht oft genug wiederholen: die Frankensteinphantasien verschiedener Menschen zum Thema sind nicht der Regel- sondern der Ausnahmefall aus längst vergangener Zeit. Ein (bislang schweigender) Großteil der intersexuellen Menschen hat gerade keine gleichzeitig männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale, Intersexualität ist nicht synonym mit Operation im Kleinkindalter, Intersexuelle sind keine Tiere mit sieben Hörnern sondern ganz einfach Menschen. Aber über alle intersexuellen Menschen wird mit einer Pauschalentscheidung zum Umgang mit Intersexualität geurteilt, egal, ob die Schublade "Operation im Kleinkindalter, gerichtliche Auseinandersetzung mit den Eltern, Sich-nicht-zu-ordnen-wollen / -können" passt oder nicht.
Verständnisfrage: Was sind "Geburtsakten"? Wenn damit die medizinischen Aufzeichnungen vom Tag der Geburt gemeint sind, dann steht einzig und allein dem Patienten dazu das Einsichtsrecht zu und die Eltern haben darüber juristisch keine Verfügungsgewalt, schon gar nicht bei Volljährigen. Ich brauche bitte eine Erklärung, um das in diesem speziellen Fall zu verstehen.
*******na57:
Hat sie nicht, deine Formulierung klang nur so. Und angesichts Deiner weiteren Äußerungen erübrigt sich meine Frage, die sowieso rhetorisch gemeint war. Denn natürlich respektiere ich den Standpunkt, den Betroffene für sich einnehmen, mehr als von außen aufgedrückte Haltungen.
Ich BIN "betroffen" (bevorzuge allerdings den Begriff "beteiligt"), denn ich bin Teil dieser Gesellschaft und die Klage um die offizielle Anerkennung des Merkmals "Inter" im Personenstandsregister ist kein Privatvergnügen, wurde nicht erhoben, um das Urteil im stillen Kämmerlein an die Wand zu hängen, sondern um dir und mir und allen Menschen damit etwas zu sagen, z. B. (was die Menschen dieser Gesellschaft mit etwas mehr Aufmerksamkeit schon selbst lange vorher hätten wissen können): es gibt sehr viele Menschen, die ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale durch das Leben gehen. Auch du und ich, wir sind beide Teil dieser Diskussion und haben gleiche Rechte wie Intersexuelle, unsere Meinung zum Thema kundzutun. Bist du intersexuell?
*******na57:
Zu den Gesetzesvorschlägen: ja, es ist doch sinnvoll, dass erwachsene Menschen entscheiden, wie sie leben wollen. Es ist doch nicht daran gedacht, das Geschlecht in der Zeitung zu veröffentlichen, sondern sie könnten dann selber entscheiden, wie sie leben und bezeichnet werden wollen.
Ja, und erwachsene und nicht erwachsene Menschen entscheiden im Moment, wie sie leben wollen. Aber sie sollen per Gesetzentscheid in Zukunft dazu gezwungen werden, diese Entscheidung bis zur Volljährigkeit aufzuschieben. Ist das ein Fortschritt?
*******na57:
Ich finde es immer noch nicht gut, dass Außenstehende den Betroffenen sagen, wo sie ein Problem haben könnten.
Ja, da stimme ich dir zu: niemand, kein Gericht, kein Urteil, kein Gesetz und kein intersexueller oder nicht intersexueller Mensch muss uns die eigene Meinung aufzwingen, uns eine Haltung von außen aufdrücken, uns vorschreiben, daß wir ein Problem im Umgang mit intersexuellen Menschen haben könnten, wo bislang (schon allein aus Unkenntnis des Status) gar keines war und hoffentlich auch in Zukunft keines ist.