Friedhofsgebührensatzung (5)
Anderweitige Verpflichtungen halten mich davon ab, den montäglichen Herbert zu veröffentlichen. Darum erscheint er bereits heute. Viel Spaß damit.
„So, Oma!“
Herbert knallte die flache Hand mit solcher Wucht auf den Frühstückstisch, dass Brötchen, Eier, Teller, Löffel und sonstiges fröhlich hüpfte und die frisch gefüllten Kaffeetassen überschwappten. Eva schrak auf. Die Oma lächelte stillvergnügt.
„Dir werds Grinse glei vagehn, aldi Spinatwachtel. In fünf Minudde grins ich!“, murmelte Herbert finster in seinen Bart.
Heute war der Tag des Herrn. Lange, lange hatte Herbert darauf warten müssen. Die Pflegschaft, mit der er zum Vormund, Gebieter über Leben und Tod sowie das Wohl oder Wehe seiner Schwiegermutter ernannt wurde, war um Mitternacht in Kraft getreten.
Eigentlich hatte Herbert die verhasste Oma um zwei Minuten nach zwölf aus dem Bett zerren, ihr süffisant grinsend die Matratze aus dem Bett reißen und den Sparstrumpf konfiszieren wollen, dann aber doch in letzter Minute darauf verzichtet.
Er hatte schlecht geschlafen in dieser Nacht, sich in freudiger Erregung hin und hergewälzt und sich immer wieder ausgemalt, wie er die Oma beim Frühstück fertig machen würde. Aber so richtig. Von Herzen. Natürlich rechnet er nicht damit, widerstandslos voranzukommen. Insbesondere seine Frau Eva würde ihrer Mutter beistehen. Aber Vormund war er allein. Er würde es den Weibern schon zeigen. Einmal musste Schluss sein, Schluss mit Elend, Qual und Unterdrückung. Heute war der Tag des Herrn. Heute.
„Was wilsche dann, moi Herbertche?“, die Oma saß noch immer mit süffisantem Grinsen auf dem Küchenstuhl und löffelte ihr Müsli. Wie stets um diese Zeit, hatte sie ihre Gebissprothese noch nicht eingesetzt. Das Müsli konnte man auch so essen und damit die teuren Zähne etwas schonen. Ein unbefangener Betrachter der Szene, der sie so zahnlos und liebenswürdig kauen sah, hätte sich nicht vorstellen können, welch böser alter Drachen sich hinter ihrer Larve verbarg.
Herbert fummelte seinen Zettel aus der Tasche. Der ursprüngliche Plan sah vor, Oma das vernichtende Urteil in theatralischer Geste, ähnlich einem dieser grandiosen Schauspieler, die man mitunter in den Bühneninszenierungen auf 3SAT bewundern konnte, entgegen zu schleudern.
Nachdem er den Zettel entfaltet und umständlich seine Lesbrille zurecht gerückt hatte, ging es endlich los. Welche Wonne:
„Die Rache ist mein, sprach der Herr. Ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten, denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilet herzu.“
„Ach?“, meinte die Oma und schob einen weiteren Löffel Müsli ein. Herbert war ein wenig konsterniert. Vielleicht hatte Oma die Bedeutung dieser metaphorischen Worte nicht verstanden. Besser er wiederholte noch einmal:
„Die Rache ist mein, sprach der Herr. Ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten, denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilet herzu.“
„Eijoh. Wann de määnschd.“
„Haschd du dei Heergeräde widder ned aan?“, dröhnte er durch die Küche.
„Eihjoh. Die Badderie sin all.“ Herbert fluchte innerlich. Egal, das musste jetzt durchgezogen werden. Er rückte so nah er konnte an Omas rechtes Ohr, hielt sich selbst den Zettel vor die Nase und donnerte mit aller Lautstärke, die ihm zu Gebote stand:
„Die Rache ist mein, sprach der HERR. Ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten, denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilet herzu. Denn der HERR wird sein Volk richten, und über seine Knechte wird er sich erbarmen. Denn er wird ansehen, dass ihre Macht dahin ist.“
„Schrei doch ned so, Herbert, ma määnt jo grad mir wäre schwärheerich. Denksch du draan, dass mir node noch misse bei de ALDI fahre?“, fuhr ihn Eva an.
„De Herbert hot ganz recht“, sagte Oma ungerührt, „das hot de Parre de neilich bei dera Predicht aach gesaad.“
„Awwa desweeche brauchta doch ned so se plärre. Das heert ma jo im ganze Dorf“, entgegnete Eva entrüstet.
„Wieso? Der plärrt doch ned wenn a uff dera Kanzel steht. Do hadder doch aach e Mikrofon und Lautsprecha, odda?“
„Wer?“
„Ei de Parre.“
„Och Oma! Nadierlich ned de Parre, der plärrt ned. De Herbert!“
„De Herbert? Had der was gesaad? Ich hän nix geheert. Die Badderie sin all.“
„Mier bringe dir node aus da Stadt welle mit.“
Noch vor dem Mittagessen gelang es Herbert, die Batterien für Omas Hörgerät nicht nur zu beschaffen, sondern auch betriebsfertig einzubauen. Die Schlappe beim Frühstück musste ausgewetzt werden. So schnell gab ein Bickelmann nicht auf. Diesmal wartete er bis nach dem Essen, auch um sich davon zu überzeugen, dass alles nach Plan lief und die Oma nicht wieder auf Schwerhörigkeit plädieren konnte. Nach dem Pudding wurde der Tisch abgeräumt und gerade als Oma sich zu ihrem wohlverdienten Mittagsschlaf zurückziehen wollte, krachte es.
„So, Oma!“
Herbert knallte die flache Hand mit solcher Wucht auf den Tisch, dass nichts herum sprang, denn der Tisch war ja schon abgeräumt.
„Die Rache ist mein, sprach der HERR. Ich will vergelten. Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten, denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilet herzu. Denn der HERR wird sein Volk richten, und über seine Knechte wird er sich erbarmen. Denn er wird ansehen, dass ihre Macht dahin ist.“
„Aha“, seufzte Oma, „awwa ich mään als, das hädd ich schun emol irgendwo geheert.“
„Dir werds heere glei vagehn un es siehn aa! Du gehschd jäz enuff uff die Stubb, do holschde es Sparbiechl, die Kontoausziech und dänne Ordna mit dänne Sache fiers Haus in Nünchwiller und dei Geldbeidel bringschde aach mit. Sofort! Los! Ausführung!“
Als Ex-Obergefreiter der deutschen Bundeswehr sowie jahrelanger Erfahrung als Ehemann und Schwiegersohn wusste Herbert um die Wirkung klar strukturierter Aufträge. Auch erinnerte er sich daran, dass die Auftragstaktik vorgab, den Befehl vom Empfänger wiederholen zu lassen. Damit vergewisserte sich der Vorgesetzte darüber, ob der Sinn des Auftrages beim Untergebenen angekommen sei.
„Haschde mich vastann?“
„Eijoh.“
„Was sollschde mache?“
„Enuff gehen, es Sparbiechl, die Kontoausziech und dänne Ordna mit dänne Sache fiers Haus in Nünchwiller hole. Un mei Geldbeidel.“
„Eijoh. Un warum gehschde ned?“
„Ei ich hämma schun gedenkt, dass du das Zeich heit hawwe wilsch un do hann ichs schunemol dohinne uff die Kommod geleedt. Geh nur hien. ´S isch alles debei.“
Mit diesen Worten stand sie auf, schob ihren Stuhl unter den Tisch und schlurfte davon. „Ich gehn e bissel schlofe. Weggen mich fier de Kaffee.“