Friedhofsgebührensatzung (8)
Damit fiel ihm sein eigentliches Problem wieder ein. Er machte es sich auf einem der bequemen Gartenstühle gemütlich, legte die Beine übereinander, kippte die Lehne nach hinten und begann Luftschlösser zu bauen. „E kläänes Schlääfche kinnt ich mir jo gönne…“
„Rühr dich nicht!“, befahl Anke dem Pfarrer, der gefesselt und geknebelt in seinem nagelneuen Latexanzug (der alte hatte beim Faschingumzug Schaden genommen) hinter der Flöterschen Couch lag. Das lange, schwarze Seidentuch, das sie um sich drapiert hatte um Schleicher ein wenig gieriger zu machen und ihm noch ein Weilchen vorzuenthalten, dass sie nur Strümpfe und ein Korsett trug, hatte sie über ihn geworfen.
Anke war selten um eine Lösung aus prekärer Situation verlegen und auch in dieser schwierigen Lage fiel ihr blitzartig ein Ausweg ein. Sie sprang durch die Küche über den Flur ins Schlafzimmer, gerade als Herbert erneut gegen die Fensterscheiben klopfte. Rasch warf sie ihre Domina-Kluft ab und schlüpfte in ihren Jogginganzug. Die Laufschuhe an die Füße ziehen, den Schlüssel vom Brett nehmen und das Haus durch die Eingangstür zu verlassen schaffte sie in einer flüssig ablaufenden Bewegungssequenz. Sie rannte in schnellem Tempo etwa hundert Meter die Strasse hinunter, machte kehrt und spurtete wieder zurück. So traf sie gerade passend ein, als der ungebetene Besucher die Rückenlehne seines Sessels zurückgeklappt und beschlossen hatte, ein wenig Augenpflege zu betreiben.
„Herbert?!“ Anke war die personifizierte Unschuld. „Was machst du hier auf meiner Terrasse?“ Bickelmann fuhr sich benommen mit den Händen durch Gesicht und Haare.
„Wie? Was? Wieso?“
„Genau, wieso? Das hätte ich gerne von dir gewusst!“
Vor ihm stand Anke Flöter in Jogginganzug und Shirt, beides ziemlich verschwitzt. Dass die ohnehin attraktive Anke in voller Kriegsbemalung mit dickem Kajal und Smoky-Eyes joggen gewesen war, fiel unserem Dörfler nicht auf. Für so etwas hatte er keinen Blick. Er sprang auf.
„Ei ich wolld bei de Karlfried und do hann ich doichs Fenschda geguggt und do hann ich eich rummache gesiehn und do hann ich gedängt ich waade mol e bissel bis na ferdisch sin.“
„Du hast uns r u m m a c h e n sehn, du kleiner Spanner?“ Anke lachte glockenhell. „Es ist doch gar niemand zu Hause. Ich war joggen und Karlfried ist auf der Kreistagssitzung, der kommt erst heute Abend spät. Du hast bestimmt geträumt, Herbert, alter Schwerenöter.“ Sie knuffte ihn kameradschaftlich in die Seite. Bickelmann lief vor Scham rot an.
„Nää! Wann ich diers doch saan, do war e vaschleierdie Fraa und e schwazza Monn, der hat gekniet und dann ischa umgefall und die Fraa isch in die Kich gesprung“, versuchte Herbert es noch einmal.“
„Paperlapapp! Du spinnst ja. Du gehst jetzt heim. Ich muss duschen.“ Anke fertigte Herbert hurtig ab. Der Kerl musste verschwinden, damit sie Pfarrer Schleicher ungesehen entlassen konnte.
„Soll ich ned midda enin kumme un vorsichtshalwa emol gugge?“
„Du willst mir wohl beim Duschen zusehen, Herbert, du Lustmolch, gibs zu!“, flirtete Anke den Bickelmann an. Sie wusste ganz genau, welche Register man bei den Kerlen ziehen musste.
„Nänänänänä!“, beteuerte Herbert, „so ebbes dääd ich niemols mache, das wäächde doch, du bischd jo schließlich die Fraa vun meim beschde Freind.“
„Weiß ich doch, Herbert. War ja nur Spaß!“, sie hakte den errötenden Bickelmann freundlich unter und führte ihn zum Gartentor. „Aber jetzt zisch ab, ich hab noch Arbeit.“
„Un was isch mitm Karlfried?“
„Warum rufst du ihn nicht auf dem Handy an?“, riet Anke, während sie Herbert zum Gartentürchen hinaus komplimentierte. Gute Idee, dachte der, do hädd ich aach selwat druffkumme gekonnt. Er schlich nach Hause und beschloss, Flöter nichts von dem schwarzen Mann zu sagen, wer weiß in welchen Verdacht er noch geriet, wenn er Karlfried gestand, durch fremder Leute Fenster zu spähen.
Einige Stunden später, kam es beim Abendessen im Hause Bickelmann zu der folgenden Szene:
„Verdammte Tat! Du saaschd mir jäz sofort wo das Geld is, Oma, schunsch bassiert do e Ungligg!“
„Was dann fier e Geld, Herbert? Ich wääs gaa ned wovon du alsfort schwäzze duuscht. Ich hann kää Geld. Nur das was uffem Kondo isch. Un Nachschub kummt erschd widda am Eerschde, wann die Rende kummt.“
„Das gäbbts doch ned! Du kannsch doch ned in drei Daach iwwer zwähunnertfuchtzischdausend Euro fortgeschafft han? Mir brauche das Geld fier dei Unnerhalt. Vastehsche das ned?“
„Fier mei Unnahalt brauch ich nix. Ich han jo die Rende und wenn das ned langt missen ihr das bezahle. Das hot der nedde Richda gesaat und du waasch selwat debei.“
„Vun deim bissel Rende kenne mir dich doch ned ernähre und dei Heisje kinne mir aa ned vamiede, das haschde jo hergeschenkt.“
„Eijoh hann ichs hergeschenkt, awwer das bleibt jo in da Famillje. Do ziehe jäz es Jessica un de Moritz enin und dann brauche die jo aach noch e bissel was fier ihr Studium.“
„Aha!“, brüllte Herbert „dohär weht de Wind. Hosche denne das Geld aach noch in de gieriche Rache geschob?“ Bickelmanns Kopf hatte die Farbe einer frischen, reifen Himbeere. Wenn er an seine missratene Brut dachte, die nach sechzehn Semestern Selbstfindungsphase immer noch nicht lebensfähigen Dauerstudenten...
„Das wolle ma doch emol siehn, ob die das Geld behalle dierfe.“
„Do gebts gaa nix zu siehn“, keifte Oma zurück. „Vun mir hän die nur es Heisje kriet und wenn ich ne zukünftig alsmol was zustegge soll, damit se schee in Ruh studiere kinne, muss ich das vun meina Rende nemme. Schunsch hann ich ga kää Penning meh.“ Oma schaute dabei so treuherzig aus der Wäsche, dass der unbefangene Betrachter keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Worte gehabt hätte.
„Schee in Ruh studiere?“, Herbert brüllte so laut, dass Eva aufstand und das Fenster schloss. „Die studiere schun faschd achd Johr und noch imma kää Land in Sicht. Wie sollen das mit dänne weida gehen?“
„Ei, das siehschde dann schun!“, trumpfte Oma auf.
„Hot dir de Parre ned beigebrung, dass ma ned lieje derf, Oma, schämsch du dich ga ned?“
„Ei ich lieje doch ga ned. Du kansscht es ganze Haus uff de Kopp stelle. Du wäärsch kää Penning finne!“ Otti war ehrlich entrüstet. Das do glab ich ihr uffs Wort, dachte Herbert, im Haus finn ich nix.
Eva hatte sich wohlweislich bislang aus der Diskussion heraus gehalten. Ihr verschmitztes Grienen ließ aber ahnen, dass sie mit Oma unter einer Decke steckte und die beiden irgendein Geheimnis hüteten.
„Iwerischens“, warf sie ein, um das Thema zu wechseln „ziehe die zwä am Samschda um, no Nünchwiller in de Oma ihr Heisje.“
„Eijoh?“, brüllte Herbert fassungslos „damit se e bissel näher an da Uni wohne, odda? Wie sollen die in Zukunft zu da Vorläsunge no Määnz kumme? Isch das Zimma in Ingelheim jäz nimmi gut genuch?“
„Das isch kää Probläm. Das Zimma hän mir schon gekinnischt. Die Oma hat jedem e Auto kaaf, dasse ned imma uffenanner waade missen und jedes fahre kann, wanns notwendich isch. Zwä scheene Audo un faschd ganz nei. So e Smaatche, wääschde?“
„Bisch du schdill, Eva. Das hadda doch solle ga ned wisse!“, fiel Ottilie ein.
bickelmanns Stimme überschlug sich: „Zwää Audo? Un die Unnahaltkoschde? Uns Bensin?“ Un wär bezahlt das alles?“
„Dodefier isch gesoicht, mach dir nur kää Gedange“, beschied Oma lächelnd.
Sicher haben Sie, verehrter Leser, schon einmal vor einem Aquarium gestanden und den Fischen zugesehen, wenn sie vermeintlich nach Luft schnappen. Genau dieses Bild bot Herbert dem geneigten Betrachter in diesem Augenblick, nur war seine Schnappatmung echt.
„Mit meiner Hilfe brauchen ihr bei däm Umzuuch ned zu rechne“, würgte er hervor und erinnerte sich daran, dass er Omas kompletten Hausstand vor wenigen Wochen auf drängen seiner Familie quasi im Alleingang bewegt hatte, um die Umzugskosten zu sparen.
„Da macht nix“, fertigte ihn Oma süffisant ab „mir hän schun e Umzuchsfirma bestellt. Es isch alles gereechelt. Du kannsch jo dann am Samschdach de Gaade widda in Ordnung bringe. Der siehd e bissel ungefleecht aus. Awwa es Unkraut han ich da jo schun raus gemacht. E bissel Dankbarkääd kinnt ich do schun erwaade.“
Herbert fühlte sich wie der letzte Arsch. Er blies die Luft aus den Backen, sprang auf und rannte zum Telefon um zum elften Male nach Flöter zu rufen.
Als Flöter um viertel vor acht abends sein Handy einschaltete, meldete das Gerät vierzehn verpasste Anrufe. Einmal Anke, dreizehn mal Bickelmann. Wenn das kää Ungligg bringt, dachte er. Die Kreistagssitzung hatte sich mal wieder mächtig in die Länge gezogen. Wenn die Schwafelhälse in der Kommunalpolitik erst mal das Debattieren anfingen, gab es kein halten mehr.
Flöter rief zunächst Anke auf dem Handy zurück.
„Ich bins mei Sternche. Mir sin jäz ferdisch mit dera Sitzung un ich wollt dir nur Beschääd gewwe, dass mier jäz nochemo misse no dänne Bauschäde uff da Biebermiehl gugge.“
Auf der Biebermühle befand sich die Rosi-Bar, wo, wie der geneigte Leser weiß, gegen bares Geld und sehr diskret, allerlei gute Dienste geleistet wurden. In der irrigen Annahme, ihre Ehefrauen wüssten davon nichts, waren die „städtischen Bauschäden“ der Geheimcode der Ratsmitglieder für die Erforschung der Feuchtgebiete im Ortsteil Biebermühle. Einzig die Gemeinderätin Gretel Kleinschmidt interessierte sich nicht für diese wichtigen Details der Ratsarbeit und schickte stets ihren Adlatus vor.
„Siehst du Karlfried, deshalb liebe ich dich so“, freute sich Anke, „auf dich ist Verlass. Du rufst mich wenigstens an, wenn du später nach Hause kommst. Da haben andere Frauen nicht soviel Glück.“
„Eijoh mei Sternche, das geheert sich doch so. Un was machsch du noch so, heit owend?“
„Och, ich bin mit Herrn Schleicher in dessen kleiner Bibliothek im Pfarrhaus. Wir diskutieren gerade ein interessantes Buch. Da geht’s um die verschiedenen Arten der Kirchenglocken und so was alles. Wie die behandelt werden und wie man sie pflegen muss. Unser Pfarrer ist wirklich sehr um meine Bildung bemüht. Was der alles weiß und kann… Aber ich gehe dann auch bald ins Bett.“
„Bei mir werds spät. Waad ned uff mich, moi Sternche. Tschüüs!“.
Was fier e Gligg, dachte Flöter, dass mir dänne Parrer do hän. Do is mei Fraa guud uffgehob. Kannse alsemol e bissel hochdeitsch schwätze, hat Unnerhaldung un kummt ned uff dumme Gedange.
„Tschüss“, sagte Anke und legte auf „Und nun zu dir, mein Kirchturm“, lächelte sie den Schleicher an.
Karlfried wählte Herberts Nummer.
Am nächsten Wochenende dann, wie versprochen, das große Finale. Ob Herbert, als geborener Verlierer wieder den Kürzeren zieht? Die mit allen Wassern gewaschene hat die Familie fest im Würgegriff.