Hamsterkäufe
5. Kapitel
Das Hermersberger Eck, seit Corona auch um die Mittagszeit gut gefüllt, weil Kurzarbeiter und Home-Office-Worker ja ebenfalls mal eine Pause brauchen, umfing Herbert mit schwerem, feuchtwarmem Dunst aus verschüttetem Alkohol und Zigarettenrauch, das ganze gut durchmischt mit dem charakteristischen Geruch von Frittierfett und Bratensoße. Er stakste breitbeinig zum Stammtisch, wo Flöter mit dem Wirt Kurt parlierte. Am Nebentisch speiste Gretel Kleinschmidt, die Landfrauenchefin, mit Ihrem Verlobten, dem ehemaligen Vorsitzenden des katholischen Junggesellenvereins mit Fahne.
Dessen Organisation hatte, nachdem seine Verlobung ruchbar wurde, kurzerhand eine außerordentliche Generalversammlung ein-, und ihn als Vorsitzenden abberufen. Da er nun kein Junggeselle mehr sei, könne er auch nicht weiter Mitglied im Verein bleiben, verwies sein juristisch geschulter, spitzfindiger Konkurrent um den Vorstandsposten auf die Vereinssatzung. Dort stand zu lesen, der Junggeselle habe bei Abgabe eines Eheversprechens und insbesondere bei Aufnahme geschlechtlicher Beziehung zu einer Weibsperson den Verein mit einer Frist von drei Monaten zu verlassen. Übrigens litt die Aufnahme einer geschlechtlichen Beziehung zu einer Mannsperson nicht unter solchen Sanktionen. Wieder mal ein Beispiel dafür, dass Männer leider immer noch nicht gleichberechtigt sind.
Zwar hatte sich unser Held, die Ehrenlandfrau, mit Händen und Füßen gewehrt, musste aber zum bösen Ende die Fahne herausrücken und den Verein verlassen. Seitdem klebte er an Gretels Küchenschürze wie angetrockneter Wackelpudding. Seiner Verlobten schien das gar nicht so unrecht. Sie nahm ihn kurzerhand als eine Art Haussklave in ihre Dienste.
„Wonn de e Kerl in da Spur halde willschd“, erklärte sie ihren Damen beim Stammtisch resolut, „gäbb ihm genuch Awweit und loss ne alsemol unna doi Bettdeck. Do macht der schun wassa soll.“
„Wann das do so weida geht, muss ich die nächschd Wuch moi Wärtschaft zumache, un dann? Do kinnen ihr mol gugge, wo ner noch was ze dringe här krien. Bei mir jedenfalls ned“, beschwerte sich der Wirt beim Ortschef.
„Reech Dich ab, Kurt“, brummte der gemütlich. „Werschschd schun ned vahungere, Du alda Halsabschneider.“
„Nää, das ned, awwa ihr! Wer vun eich krieden dehääm noch so e guudes Esse wie bei mir. Gugge mol, do kummt de Herbert, denne frooch ich jäz glei mol, warum er do isch?“
Er blickte den im Seemansgang heranstapfenden Bickelmann aufmunternd an: „Un? Herbert? Was willschde?“
„Ebbes zu esse. Am beschde e Zigeinarinneschnitzel mit Pommfritt. De Salad kannschde weglosse und dann hädd ich noch gäre e Bier un e Eisbeidel.“
„Siehschde?, nickte der Wirt triumphierend Richtung Flöter. „Wozu brauchsch Du dann e Eisbeidel?“, röhrte er weiter. „Is Dir mei Bier ned kalt genuch?“
„Ned so laut“, gab Bickelmann mit unterdrückter Stimme zurück. „Es muss jo ne glei jeda heere.“ Er wies mit dem Kopf zum Nebentisch. „De Feind heert mit.“
Die drei steckten die Köpfe zusammen. „Ich glaab, ich hab mer die Peif verbrennt“, erzählte Bickelmann leise. Das interessierte Flöter.
„Bei welchem vum Rosi seine Määde waaschde dann?“, fragte er mit hochgezogenen Brauen. „Däm schick ich es Gesundheitsamt uff de Hals.“
„Ich, ich, ich… ich war ned beim Rosie. Es is was anneres.“
„Herbert, Du Schwerenöter“, fiel Kurt bewundernd ein, „haschde Dir irschendwo e Freindin uffgezwickt? Awwa do nemmt mer doch e Kondom. Mein Gott, das do muss doch ned sin.“ Er schüttelte den Kopf.
„Es is jäz nimmi ze ännere“, murmelte Bickelmann. „Wanns bis moije ned bessa is, geh ich bei de Dogda.“
„Okä, Du kriesch die Eiswerfele. Ich mache se in e Plastiktut. Awa das das klar is, Du desinfizierschd Dir die Griffele bevor Du do irgendwas aanlongschd. Vastehe mer uns?“
Herbert nickte und Kurt verschwand Richtung Küche, aus der er wenige Augenblicke später mit einer in eine Serviette gepackten Plastiktüte voller Eis wieder auftauchte. In der anderen Hand hielt er eine Sprühflasche mit Desinfektionsmittel. Die hielt er Herbert vor die Nase und befahl: „Hände hoch!“
Bickelmann hob brav die Hände. Flöter intervenierte: „Sollde mer ne ned bessa desinfiziere nochdäm er sich dänne Beidel in die Buxe geschafft hat?“
„Eijoh. Wo de Recht haschd, haschde Recht.“
Herbert öffnet also unter den neugieriegen Blicken seiner Kumpels die Hose, straffte den Bund der Unterhose etwas und stopfte den Eisbeutel hinein. „Ohhhh, ohhh, ohhhh, isch das gut. Dange Kurt, dange Karlfried. Ihr sin ächte Freind, das wääre ich eich nie vagesse.“
„So, awwa jäz die Wichsgriffele her!“ Kurt sprühte ausgiebig auf Bickelmanns Hände und desinfizierte auch die Tischplatte. „Mir wolle uns jo späda kää Vasäumnisse vorwerfe losse“, meinte er und machte sich auf den Weg, um die Bestellung aufzugeben.
Das Futter ließ nicht lange auf sich warten und während Herbert mit vollen Backen kaute, versuchte Flöter ihn wegen der Sache mit dem Eisbeutel zu löchern.
„Karlfried, glaab mers, das willschd Du gar ned wisse. Do kann ich ned driwwa schwätze, das isch so… so…“ Er stopfte eine Gabel fettiger Pommes frites in den Schlund und kaute auf beiden Backen. Zwischendurch stöhnte er immer mal und fasste sich an den Sack um vorsichtig zu kratzen. Er berichtete stattdessen lautstark von den blöden Einbrechern in seinem Gartenhäuschen, die Beute brachten, statt etwas zu klauen. Gretel und die Ehrenlandfrau und natürlich auch alle anderen Gäste spitzten die Ohren. Das schien ja spannend zu werden und Bickelmann sonnte sich in seinem Ruhm, schwadronierte über seine Heldentat und berichtetet ausgiebig, wie er mit der Polizei kooperiert und zum Schluss gar geholfen hatte, das Diebesgut abzutransportieren.
Kaum hatte Bickelmann den Teller leergefuttert, öffnete sich die Tür und es erschien ein Gast, der – das durfte man mit Fug und Recht behaupten - nicht zur Stammbesatzung des Hermersberger Eck gehörte. Es handelte sich um niemand geringeren, als den Hausmeister der Polizeiinspektion. Er stapfte breitbeinig, wie zuvor schon unser Herbert, dafür aber zielstrebig auf den Stammtisch zu und ließ sich ungefragt nieder. Herbert bekam große Augen und ein sehr, sehr mulmiges Gefühl im frisch gefüllten Magen. „Kurt, noch e Schnaps!“, konnte er noch ausrufen, dann nahm das Schicksal seinen Lauf.
„Bickelmann,“, begann der neue Gast mit unterdrückter Stimme und rotem Kopf, „mir missen redde. De Schurigge hat mer gesaat, dass ich Dich wahrscheins do erin finne.“ Er kratzte sich mit beiden Händen verstohlen aber ausgiebig zwischen den Beinen und verzog dabei das Gesicht. „Wer issn Doi Kumpel do, isch der vertrauenswürdig?“ Er wies mit dem Kinn auf Flöter.
„Das isch de Karlfried Flöter, unser OB und moi beschda Freind“, entgegnete der Angesprochene mit zitternder Stimme. Sein eigenes Juckareal hielt ja gerade still, aber der kratzende Axel versetzte ihn, gelinde gesagt, in Panik.
„Gudd, dann fallt das jäz folgende jo unners Dienschdgeheimnis. Also bass uff, mir brennt de Sagg und de Schwanz wie Feier. Du haschd zufällig kää Idee, wo das herkomme kennt?“
Herbert begann zu stottern. „Mir geht’s grad genauso“, meinte er gequält, „määnschde es kinnt bei unserer gemeinsam Aktion do was schiefgang sin. Ich han mir schon vum Kurt e Eisbeidel bringe geloss und in die Unnabux geschafft. Alleweil gehts grad e bissel bessa.“
Derweil erschien der Wirt um den neuen Gast nach seinen Wünschen zu fragen.
„Ich hädd gäre e großes kaltes Bier und do so e Eisbeidel, wie de em Herbaert ääna gebrung haschd.“
Kurt grinste bis an die Ohren und auch Flöter kicherte albern vor sich hin. „Du kriesch dei Eisbeidel, awwa eersch wenn ihr zwää Dollbohrer demit erausrigge, wo ner eich so vabrennt han! Ihr hän doch ned etwa mitänanna…?“
Die beiden Delinquenten starrten sich an, bekamen blutrote Köpfe und drucksten herum. „Leck mich am Aasch!“, brüllte Kurt. „Ihr Sei!“ Flöter hieb krachend die Faust auf den Tisch und blökte: „Herbert, das do hätt ich jäz ned vun Dir gedenkt. Du Wuz, Du dreggischie. Kannschd Du ned wie all annere Honoratiore aach beim Rosie Doi Geschäfte erleediche? Du dreggischa Sodomist, Du dreggischa!“
„Es is doch alles ganz annaschda“, jammerte Herbert mit unterdrückter Stimme, den Tränen nah.
„Ei da vazehl uns doch wies war!“
„Nä. Das kann ich do in dera Wertschaft unmeechlich mache!“ Er schaute Flöter mit einem solch flehentlichen Blick an, dass dieser Mitleid bekam und Kurt zunickte. „Kummen ihr Buwe, mir gehen emol ins Näwezimma!“
Den Kleinschmidt´schen Saugohren konnte diese Unterhaltung natürlich nicht verborgen bleiben. „Was muss ich heere, Ihr Buuwe, ihr han eich vabrennt?“ Sie ließ ihr Besteck fallen, schob den Stuhl mit einem Ruck ihres umfangreichen Hinterteils zurück und steuerte mit Gönnermiene auf unsere Helden zu. „Weisen emol här, ich kenne mich mit Vabrennunge aus, schließlich war ich jo beim Eerdsche-Hilfe-Kurs un han sogar de Parrer aus soim Tauchaanziechelche un aus seim Keichheitsgelibde befreit.“
„Nänänä!“, wiegelte Bickelmann ab. „Ned needich, mir hän alles im Griff und brauche kää Unnastützung vun da Landfraue.“
„Das dääd mich wunnare“, meinte Gretel abgeklärt. „Wonn hädde ihr jemols ebbes im Griff gehat? „Awwa guud, wonner ned wolle.“ Damit machte sie kehrt, um sich wieder ihrem Essen zu widmen.
Derweil zog unser Männerquartett in den Nebenraum, wo Karlfried die beiden Helden nötigte, sich auf eine Tischkante zu setzen und die Hosen herunterzulassen. „So, jäz will ich die ganz Story here, ihr Knallkebb und derweil gugg ich mir eier Schniedelwutze aan. Vielleicht kann ma eich jo helfe un es isch noch wa ze redde. Nur kä Schei, ich war doch beim Bund Sanidäda. Do han ich Schlimmeres gesiehn.
Der Widerstand unserer beiden Sexgötter erlahmte und während sie umständlich die Hosen herunterwurschtelten, erzählten sie in dürren Sätzen, wie sie auf die Idee gekommen waren, mit Renate II. einen flotten Dreier zu machen.
Kurt und Flöter standen in stiller Eintracht, starrten auf das rotverquollene Fleisch der beiden Opfer und schüttelten sich vor Lachen. Sie rangen die Hände und die Tränen flossen ihnen in dünnen Rinnsalen aus den Augen.
Das paar neugieriger Augen, das durch den Spalt der leicht geöffneten Tür blickte, bemerkten sie nicht.