Top 1 - Begrüßung
... Zum 2. Advent und als verspätetes Nikolaus Geschenk...
Pünktlich um sieben Uhr, jedermann war bereits bestens mit Getränken versorgt, denn Kurts Service funktionierte tadellos, ergriff zunächst Flöter das Wort. Mit lässig großspuriger Geste bat er um Ruhe, holte tief Luft und setzte zu seiner Begrüßungsrede an. Noch bevor er die erste Silbe hervorgebracht hatte, stand jedoch der Pfarrer vor ihm, hob segnend die Hände und begann mit salbungsvoller Predigtstimme:
„Ein Mann auf dem Weg von Jerusalem hinab nach Jericho geriet unter die Räuber, die ihn ausplünderten und schwerverletzt liegen ließen. Ein vorüberkommender Bauer sah den Verletzten und ging weiter, ebenso ignorierte ihn ein Levit. Schließlich sah ein Samaritaner den verletzten Mann, erbarmte sich, versorgte dessen Wunden und transportierte ihn auf dem Reittier zur Herberge. Dort gab er am folgenden Morgen dem Wirt zwei Denare und beauftragte ihn mit der weiteren Pflege, verbunden mit der Zusage seiner Wiederkehr und der Erstattung weiterer Kosten.“
Das Publikum lauschte gespannt. Nur Flöter stand mit offenem Mund und hängenden Schultern, während er noch überlegt ob er sich nur wundern oder auch ärgern sollte, fuhr Schleicher bereits fort:
„Diese schöne Sitte, liebe Brüder und Schwestern, vereint uns heute Abend hier an dieser Stelle. Wir wollen den Nachfolgern dieser fleißigen Samaritaner lauschen und erfahren, wie wir durch segensreiches Tun und Handeln dem Wohl unseres Nächsten am besten dienen können. Deshalb freuen wir uns, dass wir einen erfahrenen Rettungssanitäter vom Bund der arbeitsamen Samaritaner gewinnen konnten, der uns heute Abend zu frischen Kenntnissen in der Rettung verhelfen wird. Begrüßen Sie mit mir Herrn Michael Gans.“ Er begann zu klatschen und das Publikum schloss sich dem höflichkeitshalber an.
„Du Babbsack, du raulicher, dir helf ich, wart nur“, knurrte Kleinschmidde Gredel, die sich ärgerte, weil der Pfarrer sich so produzierte und sich nicht an die abgesprochene Reihenfolge hielt.
„Was reechtn dich so uff?“ Funke Berda warf einen fragenden Blick auf ihre Busenfreundin.
„Was hadn der sich do jäz misse vordrängele? Es isch doch noch ga ned alles besproch. Un es Intrittsgeld isch aach noch ned kassiert.“
Der Sanitäter stand bereits etwas irritiert vor der Front und wusste nicht recht, ob er mit seinem Vortrag beginnen sollte oder nicht. Flöter, ganz Diplomat, hielt ihn noch ein wenig zurück:
„Wir danken unserem guten Seelenhirten fier die einführenden Worte. Er war jo, es is noch gar ned so long här, auch schon einmal froh, dass ihm die eerschde Hilfe rechtzeidich ereilt hat, bevor ein schlimmeres Ungemach häd bassiere kinne.“ Er nickte dem Gottesmann freundlich zu. Schallendes Gelächter folgte auf Flöters Worte und der Pfarrer lief rot an, während er sich flugs auf seinen Platz verzog.
„Bei der Gelegenheit: wänn ich mich Recht entsinne wars laut Bibel e voriwwerziehender Priester, der wo dänne aame Deiwel hot leiegeloss un kään Bauer ned.. Die machen so ebbes nämich ned, die Bauere. Der biederne Landmann dräht däm sterwende Vieh wenischdens der Grotze rum un losts ned ääfach leie.“ Schleicher schwoll der Kamm. Das Publikum gröhlte und klatschte lautstark Beifall. Da hatte Flöter den Gottesmann schön vorgeführt.
„Nachdem mir ausgangs des Winders wie jeder wäß bei unsam Faasenachtsumzuch vun einem schweren Ungligg heimgesucht wor sin“, fuhr Flöter fort, „was dank göttlicher Füchung keine Toden nicht gefordert hat, nur einische Verletzde und auch dodabei kää edle Körperdähle zu schaden kumm sin, sondern nix lebenswichtiches, sin mir awwer trotzdem froh, heit owend denne Kurs do ze mache, weil wie ma sieht, wääs ma jo nie wanns ähne alsemol treffe kann.“ Flöter machte eine Kunstpause um seine Worte wirken zu lassen, was dem Publikum Gelegenheit gab, durch eifriges Kopfnicken seine Zustimmung zu erklären.
„Weil das also heit owend e Uffrischungskurs isch, gäbts kää feschdes Progromm. Es dirfe Froche gestellt wäre. De Herr Gans schreibt das uff däm Flipschatt do, also do uff dera weiß Babierdafel, alles uff und dann vasuche ma die Probleme, die wo sich do stellen am lebende Objekt ze löse.
Es hän sich jo schun e paar freiwillich gemeld, die wo node die Opfer darstelle, also zum Beispiel de Härbärt un ich und ich bin sischa, de Herr Parre wärd sich aach ne weichere, wänna aan die Reih kummt.“ Erneutes Gelächter im Auditorium bewies Flöter, dass er mit seiner Ankündigung auf dem richtigen Weg sei und mit diesem geschickten Schachzug war ein vorzeitiger Abgang des Gottesmannes zuverlässig verhindert.
Mein Gott flehte Anke innerlich, die von dieser Ansage ebenso auf dem falschen Fuß erwischt wurde wie unser braver Pfarrer, mein Gott, bitte mach dass er mir heute einmal ungehorsam war.
„Ich bitte doch, mir die Opferrolle mit Rücksicht auf den priesterlichen Rock zu ersparen…“, stammelte Schleicher.
Doch Flöter, da er den guten Hirten nun einmal bei den Eiern hatte und nicht gedachte, dieselben wieder los zu lassen, fuhr gnadenlos fort:
„Mit dänne Opfer känne mir Kadoligge uns jo aus, Herr Parre un dänne priesterliche Rock ziehe mir ihne schun vorher aus. Hähähä.“ Das Auditorium amüsierte sich köstlich, doch so mancher hatte Mitleid mit dem Gottesmann.
Der Bürgermeister ging wieder zur Tagesordnung über:
Bevor ma jäz aanfange: Mir losse glei noch e Kässje rumgehn, wo jeda sei Unkoschdebeitrach vun zwä Euro eninn leje konn. Das Geld dient zur Deggung vun da Unkoschde. Solld widder erwarde was iwwerich bleiwe, geht das als Spende an die Landfraue, die wo die Vaanstalung heid owend so trefflich organisisert hän. In dämm Zusommehong emol ein kräftisches Dankescheen un en Applaus an unser Kleinschmidde Gredel un sein Gehilfinne, die wo sich im Vorfeld schun Gedange gemacht un denne Ablauf ganz genau geplant hän.“
Dem Pfarrer wurde es schwummerig vor Augen und auch in Bickelmann regten sich plötzlich Bedenken. Schleicher überlegte blitzschnell, wie er seinen zweifellos beschämenden Auftritt noch verhindern könne. Eine plötzliche Ohnmacht oder ein Schwächeanfall kamen nicht in Frage, da wäre er sofort fällig gewesen. Aufs Klo verschwinden und durchs Fenster die Fliege machen? Das wäre seiner nicht würdig gewesen, aber wenn es nicht anders ging. Blitzschnell entwarf er einen ausgefeilten Fluchtplan.