Moinsen Denis,
du, das war nicht so böse gemeint, wie es wahrscheinlich rüberkam. Also nicht jetzt speziell gegen dich
Glaub mir, ich bin der erste, der sagt, dass man sich umfassend über ein Thema bilden muss und finde, dass grundsätzliche Offenheit das absolute Wesensmerkmal einer liberalen, freien Gesellschaft ist. Glaube, da sind wir beide einer Meinung
Das Problem, dass ich aber seit mehreren Jahren in der Gesellschaft sehe, ist aber, dass es, gerade durch das Internet, sehr sehr einfach ist, zu jedem Thema irgendeine Meinung zu finden, die die eigene Position bestätigt - oder aber scheinbar schlüssig das Gegenteil aufzeigt, oft im Stile einer Dokumentation, mit "wissenschaftlichen" Argumenten usw. untermauert. Das Problem ist, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung nicht in der Lage ist, Informationen (oder sich [scheinbar] widersprechende Informationen) auch einzuordnen. Ich persönlich glaube, dass das paradoxerweise mit dem höheren Bildungsstand der Bevölkerung zu tun hat:
Wenn man wirklich wenig weiss bzw. sich dessen bewusst ist, vertraut man Fachleuten. Ab ner gewissen "Informiertheit", Bildung und Intelligenz misstraut man "festen" Aussagen aber mehr. Ist nur natürlich, kennt man ja durchaus auch von sich selbst in der Pubertät usw. Ein Problem ergibt sich dann, wenn man einerseits "zu klug" [oder meinetwegen reflektiert] ist, um Aussagen einfach so zu schlucken, aber "zu dumm" [oder uninformiert], um Argumenten auf Fachniveau zu folgen oder zu verarbeiten.
Ich merke das ganz krass im akademisch-linken Milieu (zu dem ich mich auch zähle): Da gibt es Menschen (es sind meist Mütter...
), die sehr gut ausgebildet sind, einen wissenschaftlichen oder zumindest Abitur + Ausbildungsabschluss haben und, um mal ein populäres Beispiel zu nutzen, Impfungen nicht so einfach hinnehmen wollen. Die gehen also ins Netz und stöbern erstmal - und werden auch mehr als fündig: Es gibt zu allem eine Meinung, einen Experten, Studien, Erklärungen usw. Ihnen fehlt aber das Wissen, um schlechte/dumme Information, die einfach nur Humbug sind, von den wirklichen Perlen zu unterscheiden. Wie ein Fischer mit einem Netz wird einfach ALLES mitgenommen und auch alles gleich gewichtet - der halbkaputte Fahrradkorb wird dem teuren Sushi-Thunfisch gleichgesetzt. Es gibt aber nun mal sehr viel mehr Plastikmüll im Meer als Edelfische.
Am Ende gibt es dann, wie in Berlin vor n paar Jahren, Masernepidemien in Waldorf- und Montessorischulen etc. - oder gar Kinder, die zu jung waren, um geimpft zu werden, sich beim Kinderarzt angesteckt haben und dann schwerstbehindert sind oder gar sterben.
Deshalb die ganzen Beispiele, die es wirklich (!!!) so in der Form gibt mit den ganzen affigen Argumenten, die ich da mitgezeigt habe. Meinungen findet man zu wirklich allem im Netz, das ist nicht das Problem. Jeder Horst kann seine Meinung laut und theatralisch hinausposaunen, mit gefälschten, hingebogenen, aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen aufwarten.
Echte Fakten und Erklärungen zu finden, ist ungemein schwerer. Man muss genügend über ein Thema wissen, um zuimndest einigermaßen gescheit filtern zu können. Das liest man sich in der Regel nicht eben mal kurz an, zumindest nicht auf wissenschaftlichem Niveau (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Das Aufzeigen, dass es mehrere Meinungen gibt (in deinem Beispiel AIDS), ist halt für jemanden mit Wissen völlig absurd. So wie es für dich wahrscheinlich völlig absurd wäre zu sagen, es gäbe "andere Meinungen" zu der Aussage, die Erde ist rund und man solle erstmal mehrere Seiten betrachten. Ich habe nichts dagegen, dass man sich mit den Argumenten der Flach-Erdler beschäftigt (überhaupt nicht! Man lernt erst so, warum man überhaupt weiss, was man weiss, eben WEIL es früher mal solche Diskussionen und Argumentationsaustausche gab), aber du gehst ja nicht ans Thema Kugelerde mit dem Grundgedanken, dass beide Aussagen 1. Erde flach 2. Erde rund gleich wahrscheinlich sind und beiden das gleiche Gewicht beigemessen werden muss.
Verstehste, was ich meine? Mich macht diese gesellschaftliche Entwicklung in den letzten ~10+ Jahren wirklich wahnsinnig, was das angeht, deshalb auch diese Antwort. In den Raum zu stellen, dass das mit HIV auch ne Verschwörung sein könnte, ist einfach gefährlich. Gibt genug Leute, die an die flache Erde glauben, und das kann man echt einfach widerlegen. Biochemie, Mikrobiologe, Virologie, Pathologie usw. sind viel abstrakter und viel schwerer zu verstehen, als dass Otto-Normalbürger sich da eben mal aufgrund von hingerotzten YT-Dokus, Blogs und Foren als "alternativen Informationsquellen" adäquat bilden kann. Um bei den Impfmüttern zu bleiben: Die meisten werden wahrscheinlich den Unterschied von Viren und Bakterien nicht wissen, oder warum und wie Antibiotika wirkt und bei welchen Krankheitserregern usw. Aber der Meinung sein, dass sie dem kompletten naturwissenschaftlichen und mediznischen Fachelite widersprechen können.
War nicht böse gemeint, nichts für ungut, eher ne Portion Verzweiflung dabei...