Mal so aus dem Nähkästchen geplaudert ...
In meiner Kindheit war "anders sein" etwas völlig Normales. Meine Eltern haben uns Kindern immer vermittelt, dass jeder das Recht hat, so zu sein und zu leben, wie er glücklich damit ist. In unserem Freundeskreis und auch innerhalb der Familie gab es schwule und lesbische Paare, und war von daher für uns Kinder völlig normal.
Im Alter von circa 8 Jahren hatte ich dann für mich beschlossen, ein Junge sein zu wollen.
Ich kleidete mich anders, liess mir die Haare abschneiden und war damit sehr zufrieden. Zuweilen liess ich mich mit einem Jungennamen anreden. Mein komplettes Umfeld hat das so akzeptiert. Das hat keinen gejuckt, niemand fand das sonderbar. Der einzige Knackpunkt war, dass ich zur Kommunion keinen Anzug tragen durfte, sondern ein weisses Kleid anziehen musste. Der Pastor hatte zwar Verständnis für meinen Wunsch, sagte aber, dass es vorgeschrieben sei, wie man sich zu der Feier zu kleiden hätte. Zähneknirschend liess ich mich also in ein Kleid stecken. Die Kommunion war eine sehr große Feierlichkeit und es gab entsprechend große Geschenke. Mein Wunsch war ein BMX Fahrrad. Und dieser Wunsch wurde mir erfüllt. Also radelte ich mit dem Kleidchen auf dem Parkplatz des Restaurants herum und übte erste Kunststückchen. Dass das mit der Kleidung sagen wir mal suboptimal war, muss ich wohl nicht betonen.
. Immer wieder blieb das blöde Kleid irgendwo hängen. Also stelllte ich das Rad zur Seite und wir spielten Fussball. Die Lackschuhe eigneten sich auch nicht wirklich zum Kicken und flogen teilweise dem Ball hinterher. Meine Eltern hatten dann wirklich Mitleid mit mir und ich durfte, solbald das letzte Gruppenfoto geschossen war, endlich in (für mich) normale Kleidung schlüpfen.
Insgesamt hielt der Wunsch, ein Junge zu sein, bis zum 14. Lebensjahr an. Dann wurde ich so nach und nach wieder Mädchen, um festzustellen, dass ich Gothic total toll finde. Das Zimmer wurde entsprechend dekoriert. Mein Äusseres änderte sich drastisch und der Grundstein für mein Faible "spezieller Kleidung" war gelegt. Für meine Eltern war das alles kein Problem. Ihnen war es wichtig, dass ich glücklich bin.
Um nochmal auf das Thema Sexualität zurückzukommen: meine Eltern haben mich sehr früh aufgeklärt, da ich auch schon früh Fragen hatte. Nie haben sie mir ihre Sexualität auf die Nase gebunden, nur erzählt, was es so gibt. Ich wusste, dass ich immer mit allen Fragen zu Ihnen kommen konnte und keine Scheu haben musste. Zudem wusste ich, dass ich immer eine Antwort erhalten würde, egal wie komisch meine Fragen waren. Dieses Wissen gab mir viel Sicherheit und ich wagte in meiner Jugend viele Experimente, um zu schauen, was mir denn gefallen würde. Ich wusste über Verhütung, Krankenheiten, etc. Bescheid und konnte mich frei entfalten. Dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich so offen erzogen haben.