Wie wird "wahre" Liebe definiert?
Wenn es sich dabei um eine ganz und gar bedingungslose romantische Beziehung handelt, in der es nie Konflikte gibt, wo alles perfekt abläuft und sämtliche Bedürfnisse immer und jederzeit gestillt werden, halte ich das für unrealistisch.
Bedingungslose Liebe gibt es nicht. Ob wir jemanden lieben, ist immer an Bedingungen geknüpft, denn jeder Mensch ist theoretisch dazu in der Lage, etwas zu tun, das wir ihm nie und nimmer verzeihen könnten. Wir erwarten gewisse Wertvorstellungen von unserem Partner und generell verlieben wir uns in Menschen, die das Spiegelbild unserer Werte sind. Was uns wichtig ist in dieser Welt, was wir bewundern und begehren, das finden wir in diesem Menschen. Wir lieben ihn nicht bedingungslos, sondern aufgrund bestimmter Eigenschaften, die uns wichtig sind. Deswegen ist Liebe auch nicht dasselbe wie Verliebtheit, wo die Messlatte deutlich niedriger liegt und man sich in der Regel nur auf ganz bestimmte, positive Eigenschaften konzentriert.
Eine Beziehung, in der nichts schief läuft, es nie Konflikte gibt? Vielleicht passiert das einzelnen Menschen und dann auch wirklich sehr selten, das macht ihre Liebe aber nicht "wahrer", sondern sie haben unter den unzähligen passenden Möglichkeiten rein zufällig die eine gefunden, mit der sie am besten harmonieren. Ihr Leben könnte aber auch mit jemand anderen und mit mehr Konflikten immer noch "perfekt" sein.
Ich schwärme viel und oft für verschiedene Menschen, aber keiner von diesen Menschen ist fester Bestandteil meiner Gedanken, wenn ich meinen Tag oder meine Zukunft plane. Ich denke, es gibt nicht den "einen" Deckel für jeden Topf, sondern sehr, sehr viele Deckel, aber wie gut sie passen, hängt manchmal situationsbedingt von Zufällen ab, zum Beispiel von Lebensphasen und individuellem Fortschritt.
Auch denke ich, dass jede Liebe für sich und für die Zeit, die sie dauert, "wahr" ist - denn man fühlt sie. Sie existiert, sie wäre sogar in objektiven Testverfahren messbar, deswegen kann sie nicht "falsch" sein. Vielleicht ist die eine Beziehung zusammengefasst unglücklicher gewesen, als alle anderen, vielleicht hat man sich von dem einen Partner mit einem hässlichen Streit getrennt, vielleicht hat eine Beziehung nur ein paar Wochen gehalten und vielleicht hat man festgestellt, dass man mit einem bestimmten Partner unterm Strich eigentlich nicht viel gemeinsam hatte. Aber dennoch hatte man Gefühle, die über Freundschaft hinausgehen, man hat dennoch geliebt und das macht zumindest für mich jede Liebe wahr, aber nicht jede Beziehung erfolgreich oder erfüllend.
Oft habe ich den Eindruck, "wahre Liebe" wird daran gemessen, wie lange eine Beziehung hält und wie wenig Konflikte es in dieser gibt und wie "selbstlos" man sich verhält. Das halte ich persönlich nicht unbedingt für aussagekräftige Kriterien. Wir wissen alle, dass Menschen jahrzehntelang in unglücklichen Beziehungen feststecken können. Dass manche Leute in zwei Monaten Beziehung mehr voneinander lernen und mehr aneinander wachsen, als andere in einem Jahr. Dass die Abwesenheit von Streit nicht gleichzeitig die Anwesenheit von Harmonie bedeutet, dass einige Paare viele Konflikte ausstragen, diese aber sinnvoll lösen und damit jedes Mal eine weitere Sprosse auf der Leiter zum Glück hinaufgehen, dass Selbstaufopferung unter gewissen Umständen selbstzerstörerisch ist und damit - zumindest für mich - moralisch eher abstoßend.
Jeder stellt individuelle Bedingungen an eine für ihn funktionierende und erfüllende Beziehung, deswegen ist es wohl so, dass die besten Beziehungen die sind, in denen alle Beteiligten dasselbe wollen - dasselbe Leben, dieselben Ziele.