Beziehung und Selbstwertgefühl
Eine offene Beziehung zu führen erfordert ein intaktes Selbstwertgefühl. Wenn das eigene Selbstwertgefühl von der Beziehung zu einem anderen Menschen abhängt, kann der Gedanke, nicht dauerhaft alle Bedürfnisse des Partners befriedigen zu können, unerträglich sein. In einem solchen Fall kann man schlicht keine offene Beziehung führen. Daher würde ich auch auf keinen Fall davon sprechen, dass eine offene Beziehung ehrlicher ist. Ehrlich kann man erst sein, wenn man sich selbst kennt. Ich würde dazu raten, aus Interesse am eigenen persönlichen Wohlergehen zu erforschen, warum man das eine oder andere Modell für sich selbst als das einzig richtige empfindet. Monogamie halte ich zwar nicht für ausgeschlossen, aber ich stehe der unbedingten und unreflektierten Forderung nach Monogamie ein wenig skeptisch gegenüber. Die von mir oben beschriebene Form der Bedürftigkeit ist sicherlich ein Extremfall. Sie kann dazu führen, dass man die Partnerschaft überwiegend oder sogar ausschließlich zur Stabilisierung des eigenen Selbstwerts braucht. Liebe ist dazu gar nicht erforderlich. Und genau das würde mich als Gegenpart in einer solchen Beziehung zum Zweifeln bringen, weil für mich Liebe ein Wert von alles überragender Bedeutung in einer Beziehung ist. Damit will ich keinesfalls sagen, dass man seinen Partner nur liebt, wenn man ihm alle Freiheiten gewährt. Aber eine gesunde, dauerhaft funktionierende Beziehung erscheint mir nur möglich, wenn keiner von beiden in psychischer Abhängigkeit lebt, die manche anscheinend mit besonderer Hingabe verwechseln, während mir eher das Gegenteil der Fall zu sein scheint: Der bedürftige Partner verlangt Aufopferung seines Gegenübers bis zur Verleugnung der eigenen Bedürfnisse.