Ich geriet in meiner Vergangenheit in die Verlegenheit, meinen linken Arm nahezu komplett zu zerschnitzen. Anfangs habe ich meine Narben durch lange Ärmel verdeckt (wobei ich das eher auf Wunsch meiner Eltern tat), irgendwann hatte ich aber die Schnauze voll, weil sich dieses Körperteil durch das „Geheimhalten“ seines kosmetischen Zustandes wie etwas angefühlt hat, das nicht (mehr) zu mir gehört. In der ersten Zeit trafen mich sehr viele schockierte, angeekelte oder schlicht irritierte Blicke. Mein Highlight geschah an einem sonnigen Festivaltag (Rock im Park), als ein fremder Altersgenosse seine Stimme erhob, um laut hörbar Exquisitäten wie „Alter, guckt mal, die ist’n Emo! Boah, wie kann man so krank sein?! Ist ja widerlich!“ herauszuposaunen. Ich – meinerseits stets um Harmonie bemüht, doch auch mit einem abstrus eisernen Gerechtigkeitssinn gesegnet – habe ihn daraufhin lautstark und bestimmt darauf hingewiesen, dass er absolut kein Recht hat, so mit mir zu sprechen, dass solche Worte verletzend sind und unter anderem ein Grund sein können, wieso Menschen „so krank“ werden und dass er sich gefälligst auf das Konzert konzentrieren soll.
Wenige Stunden später bekam ich dann an einem der Tattoostände ein ernst gemeintes Kompliment von einem vollständig bunt bestochenem Kerl, bei welchem Artist ich denn meine coolen Narben habe machen lassen. Ich war völlig perplex.
Die Reaktionen waren also durchaus vielseitig, wenn auch zu 90 % negativ.
So viel zum Damals. Was ich heute mit voller Überzeugung sagen kann: Wenn man sich seiner Narben selbst permanent bewusst ist (aka self-concious), dann strahlt man das wohl teilweise aus und lenkt so ungewollt Aufmerksamkeit auf eben diese Verletzungen. Seit ich mich an meine Kurzärmeligkeit gewöhnt habe und nicht mehr beschämt und ehrfürchtig durch die Gegend schleiche, wurde ich nur noch ganz selten auf die Narben angesprochen. Und falls es doch wieder vorkommt, dann passe ich meine Reaktion auf die Verfassung/den Charakter des Gegenübers an. Ist die Person besoffen, labere ich irgendeine Story von wegen „Bin in einen Tigerkäfig gefallen/Wurde von einem Rasenmäher überfahren“, bis es ihr zu verwirrend wird und sie das Weite sucht. Ist die Person anbiedernd besorgt („Ach Mädel, wieso machst Du Dich so kaputt, Du bist doch so hübsch!“), sage ich mit festem Blick: „Das ist Geschichte, also heute irrelevant“. Ist die Person vertrauenswürdig, sage ich „Es ging mir eine Zeitlang nicht gut und das war eine Strategie, damit umzugehen“. Ich glaube, es ist wichtig, sich im Vorhinein zu überlegen, wie man auf etwaige „Anmachen“ reagieren kann. Ich wünsche Dir sehr, dass Du Deine Strategie findest, damit Du nicht in ätzende Diskussionen verwickelt wirst!
(Sorry, das wurde etwas lang...)