Einfach zu tun, wonach einem gelüstet, muss nicht unbedingt der beste Weg sein und so etwas wie "Wenn er dich liebt, wird er es verstehen" halte ich ehrlich gesagt für ziemlich naiv. Denn nur weil man jemanden liebt, erträgt man trotzdem nicht alles, was derjenige tut und man kann nie vorher einschätzen, welche Gefühle sich einstellen. Mit "Liebe" lassen sich Ängste und Unsicherheiten nicht einfach wegträumen und man kann von niemandem verlangen, stumm und apathisch etwas zu ertragen, was ihm vielleicht furchtbar wehtut.
Meine offene Beziehunbg wurde im Vorfeld über ein Jahr ausgiebig besprochen und als es soweit war, wusste jeder, wo er steht, beide waren einverstanden, beide haben wir uns sogar gefreut, dass der "soziale Knast" nicht mehr da ist und man kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man mal ein Intermezzo mit jemand anderem hat.
Bis heute habe ich mit niemand anderem geschlafen, mich noch nichtmal mit jemand anderem getroffen und trotzdem ist alles den Bach runtergegangen und die Beziehung ist die Klippe hinabgestürzt, weil mein Freund nicht damit gerechnet hat, derart starke Verlustängste zu entwickeln, sobald ich mal den ersten Kontakt zu einem anderen Mann hergestellt hatte. Er kann seine Gefühle nicht mehr kontrollieren und kein Reden der Welt hat geholfen. Er ist ein wandelndes Pulverfass und zerstört ohne Kontrolle jede kleinste Brücke, die ich zu ihm schlage, ändert seine Meinung praktisch alle paar Tage von einem Extrem ins nächste und hat sogar meine beiden besten Freunde zu sich ins Boot geholt, sodass ich nun völlig isoliert dastehe und mich allen Ernstes dafür rechtfertigen muss, dass ich einen aktuell noch reinen Online-Kontakt zu einem anderen Mann habe, von dem ich mir in erster Linie eine Freundschaft erhoffe.
So extrem kann es werden und ich kann ihm doch nicht an den Kopf knallen "Wenn du mich liebst, dann würdest du mich verstehen." So funktioniert das nicht.
Deswegen würde ich persönlich nicht empfehlen, einfach zu "tun, worauf man Lust hat", sondern zu tun, womit beide klarkommen, mit offenen Karten zu spielen und auch damit zu rechnen, dass die vorher ausgemachten Regeln sich verschieben können. Am Anfang kann eine offene Beziehung eine ziemliche Stop-and-Go Geschichte werden, vor allem wenn einer der Partner nicht mit vollem Herzen dabei ist, sondern immer noch skeptisch ist.
Es ist manchmal fast so, als müsste man sich das Vertrauen des Partners erst einmal wieder ganz neu erarbeiten und das kann unheimlich anstrengend sein.
Ich denke, es ist auch ganz wichtig, sich selbst zu fragen, was man sich von einer offenen Beziehung verspricht, welche "Gelüste" man damit eigentlich stillen möchte. Eine generelle Neugierde auf fremde Haut kann man zum Beispiel auch gemeinsam mit dem Partner befriedigen.