Sand im Getriebe
Endlich. Sein Gesicht war leicht gerötet, denn die Parkplatzsuche hatte sich schwieriger gestaltet, als er angenommen hatte. Seine Achselhöhlen waren leicht feucht geworden, kein Anlass zur Besorgnis, er würde mit Sicherheit Gelegenheit haben, vor dem Sex zu duschen. Vorausgesetzt sie gingen zu ihr, denn bei ihm ging das nicht, da wartete Elisabeth auf ihn. Und Elisabeth sollte von alldem hier nichts wissen. Jetzt saß er in diesem italienischen Restaurant und wartet auf Veronika. Oder hieß sie doch Angelika? Mist. So viele Frauen hatte er in den letzten Wochen angeschrieben, so viele Profile gestöbert, noch mehr Körbe gesammelt, kurze Schreibeinheiten, ich bin der Frank, du die Martha, die Elke, die Monika, die… ach, viel zu viele Namen für sein Gehirn, sie sich zu merken, geschweige denn diese lästigen Fantasienamen, die Menschen sich gaben, um ihre Anonymität zu wahren. Ob sie überhaupt kommen würde?
Egal, wie ihr Name war, an die tollen Bilder konnte Frank sich gut erinnern. Da waren ihre vollen Brüste, wohlgeformt und verpackt in einem sicherlich kostspieligen, schwarzen BH, der sich unter der offenherzigen Bluse neckisch zeigte. Sie war nicht voll schlank und auch nicht vollschlank, wahrscheinlich irgendetwas dazwischen und Frank hoffte sehr darauf, dass die Fotos der Wahrheit entsprachen, so sehr gefielen sie ihm.
Der Kellner kam zu seinem Tisch. Ein rassiger Italiener Mitte 30, zumindest sah er so aus, und Frank war kurz unsicher, ob er schon für seine neue zukünftige Bekanntschaft ein Glas Wasser mit bestellen sollte. Oder einen Wein? Seine Achselhöhlen wurden ein klein wenig feuchter als zuvor. Frank bestellte sich ein kleines Bier. Pils. Mit einer schönen weißen und festen Schaumkrone oben drauf. Seine Gedanken wanderten bald wieder zu dem Profil, ihrem Profil, das der namenlose Dame, mit den vollen weichen Lippen. Wie sie wohl schmecken würden? Und wie sich diese vollen Brüste anfühlen würden? Weich und warm bestimmt, mit einem leichten Hauch eines süßen fruchtigen Damenparfums. Seine Lippen liebkosten bereits dieses zarte weiche Weiberfleisch, da riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
„Frank?“
Eine Sekunde war Frank benommen, schaute auf, zuckte zusammen und beim Aufstehen fiel sein Stuhl fast um. Nach hinten. Da, wo ein anderer Gast saß. Nur fast, was für ein Glück! „Ja, also, “, setzte er stotternd an, „das ist aber schön, äh, dass Du hier bist.“ Sie sah ihn an, ihre braunen Rehaugen musterten ihn von unten nach oben und wieder zurück bis zu seinen Schuhen. Nur ganz kurz. Dann lächelte sie: „Das finde ich auch. Du hast dir schon ein Bier bestellt, wie ich sehe? Wartest Du schon länger hier?“
Autobahn. Am Karfreitagmorgen vor Ostern. Rauschen, eine unangenehme Enge in seinem Gehirn, die einen Stau verursachte. Und so spontan wie ein Stau entsteht, nämlich durch sich entgegenstehende Handlungsimpulse, stand Frank vor der schönen Namenlosen und wusste nicht, was er zuerst tun, nein, ob er überhaupt etwas tun, nein. Seine Augenlider schlossen sich kurz. Ganz fest. Das half nicht. Sein Motor würgte ab. Zündschlüssel nach links drehen, linker Fuß auf die Kupplung, durchdrücken, den richtigen Gang einlegen, den anderen Fuß auf die Bremse, damit dasselbe nicht noch einmal passieren konnte. Den Zündschlüssel nach rechts herum drehen, Kupplung kommen lassen, Fuß von der Bremse und leicht Gas geben. Ganz behutsam.
Frank funktionierte wieder. Er lächelte die schöne Frau an, trat zu ihr herüber und zog ihren Stuhl ein Stück weit zurück, die freie Hand zu einer Geste geformt, sie darum zu bitten, Platz zu nehmen. „Setz dich doch bitte.“, ihr Name war ihm noch immer nicht eingefallen, „Und ja, ich habe mir erlaubt mir schon ein kleines Bier zu genehmigen, was möchtest Du trinken?“ Sie lächelte. Seine Achselhöhlen waren jetzt richtig nass geworden. Frank bemerkte es nicht. Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl ihr gegenüber. „Bitte ein Glas Orangensaft für mich.“, sprach sie, faltete ihre Hände zusammen, die Ellenbogen wie die geschwungenen Stützpfeiler einer aparten Statue auf dem Tisch abgelegt. Ihr feminines Kinn legte sie auf ihren Händen ab und sie musterte Frank mit einem leichten Blitzen in ihren Augen. Lachte sie ihn an oder aus?
Wer kennt nicht das Gefühl, wenn Sekunden zu Stunden und Minuten zu Jahren wurden? So fühlte es sich für Frank an. Und genau in diesem Augenblick lief ein Schweißtropfen langsam die Achselhöhle hinab. Und kitzelte ihn. Frank zuckte kurz. Sein Motor stotterte erneut. Oh Nein. Bitte nicht.
„Ist alles in Ordnung, Frank?“, fragte sie. Er ignorierte ihre Frage, weil in diesem Augenblick der rassige Italiener vorbei kam und zum Überholen ansetzte. Frank hob seinen Zeigefinger, doch der Mann lief an ihm vorbei. Wieder stieg diese Röte in sein Gesicht, wie warme Lava, unangenehm, und erst jetzt fiel ihm auf, dass die schöne Frau vor ihm eine Frage gestellt hatte. Wieder ein Schweißtropfen, der sich aus einer Pore quälte, diesmal auf seiner Stirn.
„Ja, entschuldige bitte. Äh… ja, es ist alles in Ordnung, ich wollte nur eben…“, vermasselt. Frank sah die Frau vor ihm an, seine Augen nahmen eine kugelige Form an, wie die Scheinwerfer eines VW Käfers, und als er einatmete, tief einatmete, hoben sich seine Schultern und senkten sich sofort wieder, während der gesamte Oberkörper in sich zusammenzusacken schien. Er sah ein bisschen aus wie ein Unfallwagen. Zerknautsche Front, rundes Dach. Hannahs Lachen klang in seinen Ohren wie blanker Hohn. Was ihn weitere drei Zentimeter Höhe einbüßen ließ.
„Frank, es ist alles gut, kein Grund nervös zu werden.“, sie hob ihre Hand, rief energisch den Kellner an ihren Tisch und bestellte sich ihren Orangensaft selbst. Frank beobachtete sie dabei uns es fühlte sich an, als würde ein weiterer Wagen ihn in die Seite fahren. Der Airbag ploppte mit einem lauten Knall auf, drückte sich gegen sein Gesicht und seine Brust und nahm ihn jede Möglichkeit zu atmen. Er hatte versagt. Vergeigt. Verschissen. Er überlegte, wie er dieser furchtbaren Situation entkommen konnte. Dann spürte er ihre weiche warme Hand auf seiner. Ihr Parfüm, möglicherweise auch eine Bodylotion, stieg in seine Nase auf. Frank's Gehirn überlegte kurz, ob sie heute diesen schwarzen BH trug. Dann zuckte er wieder zusammen.
„Hey, Du datest wirklich nicht häufig, kann das angehen?“, ihre Stimme klang samtig und süß.
Seine Augen schlossen sich schon wieder, während er endlich antwortete und seine Worte sprudelten wie Getriebeöl aus ihm heraus, flutschig und nicht zu bremsen: „Es war ein stressiger Tag im Büro und ja, ich date nicht oft.“, dann brach aus ihm heraus, „Ich date eigentlich nie. Ich lebe in Scheidung, ich war zwölf Jahre verheiratet, mit Elisabeth, lebe derzeit in Trennung, aber wir wohnen noch zusammen. Deshalb können wir heute nicht zu mir. Und ich fand dein Profil so wundervoll, deine Texte und diesen BH, und ich war so froh, als Du zugestimmt hast für heute. Also, vergiss es, bitte. Ich muss jetzt gehen, das war heute alles irgendwie Scheiße. Ich habe es vergeigt und mein Hemd ist durchgeschwitzt und ich habe so viele Frauen angeschrieben, ich weiß nicht einmal mehr wie dein Name ist…“
So fuhr Frank fort. Mit noch immer geschlossenen Augen. Erzählte ihr von seiner Ehe, den Schwierigkeiten seiner Parkplatzsuche, seinen vielen Körben auf diesem Portal, wo er sich heimlich registriert hatte. Davon, dass er sich wie ein alter Hund fühlte, den keiner will und ob er sich nicht besser einschläfern lassen sollte. Und Hannah saß da und hielt seine Hand. Und wunderte sich. Ihre Augenbrauen zogen sich abwechselnd hoch, auch ihre Mundwinkel, und wieder runter. Sie hatte bei Dates schon viel erlebt, aber DAS? Das noch nicht. Sie zog ihre Hand zurück. Frank schloss seinen Mund und öffnete seine Augen. Sie sahen einander an.
„Ich heiße Hannah.“, flüsterte sie ihm zu. Und dann schwieg er. Hannah trank ihren Orangensaft und Frank sein Bier. Der rassige Italiener kam an ihren Tisch und räumte ihre leeren Gläser ab. „Wünschen Sie noch etwas?“ Hannah winkte ab. Der Kellner ging. Auch seine Augenbraue hob sich kurz und senkte sich wieder.
Hannah stand auf, nahm ihren Mantel und ihre Tasche und verließ das Restaurant. Frank sah ihr hinterher. Als sich die Eingangstür hinter ihr geschlossen hatte, drehte sie sich um und betrat erneut das Restaurant. Hannah ging direkt auf den Tisch zu, wo sie eben noch mit ihm gesessen war, und streckte ihm lächelnd ihre Hand entgegen: „Hallo, ich bin Hannah, ich nehme an, Du bist Frank?“
Sie lachten. Hannah lag in Franks Armen, sie schauten zu der stuckverzierten Decke des Altbaus auf, in dem sie das Hotelzimmer für diese eine Nacht gemietet hatten. Frank hatte vorher geduscht und Hannah hatte ihren schwarzen BH anbehalten. Damit er ihn ihr ausziehen konnte, um mit seinen Lippen ihre Rundungen zu schmecken. Sie hatten sich gegenseitig erforscht. Ganz behutsam. Frank hatte herausgefunden, dass Hannah es mochte, wenn er seine Zunge ganz langsam oberhalb des Kitzlers auf und ab gleiten ließ. Hannah hatte gelernt, dass sein hübscher Schwanz erst nach dem ersten Mal Sex ruhig genug war, um ihn mit ihrer Zunge zu verwöhnen. Beide wussten, dass das nur der Anfang war. Und beide wollten mehr.
„Ich hätte nicht gedacht“, flüsterte er, „dass wir …“
„Pssst.“ Hannah legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. „Halte einfach den Mund.“
Frank schwieg.