********1970:
****yn:
Ist Sex denn für dich der Grundbaustein einer langfristigen Beziehung?
Ja, natürlich ist Sex für mich ein Grundbaustein, wenn nicht der Grundbaustein, eine längerfristige Beziehung einzugehen. Sollte ich den besser mit jemanden eine längerfristige Beziehung eingehen, mit der der Sex langweilig und öde ist? Tust du das?
Nun, da sind wir beide wohl grundlegend unterschiedlich. Nicht nur, dass es in einer Partnerschaft auch nicht um das "Meistern" des Alltags geht, das kann ich auch alleine. Weder brauche ich einen festen Partner, um Sex zu haben, noch um mir im Alltag helfen zu lassen.
Meine Beziehung baute nicht auf Sex auf. Wir hatten jahrelang fürchterlichen Sex und dann fünf Jahre lang überhaupt keinen Sex. Der Sex wird erst seit ein paar Monaten wirklich gut.
Ob der Sex gut oder schlecht ist, hat erstmal nichts damit zu tun, ob ich mit jemandem mein Leben verbringen möchte und ob ich jemanden liebe. Wenn ich mich verliebe - und Liebe ist die anddauernde Belohnung -, dann weil ich in einem Menschen die Werte vereint sehe, die mir im Leben am meisten bedeuten. Die reine Existenz dieses Menschen macht mich glücklich - nicht, was er mir bieten kann. Nicht die Ressourcen, die er mir für die Befriedigung meiner Bedürfnisse bereitstellen kann. Das wäre keine moralisch Liebe, sondern Narzissmus. Ein parasitäres Verhalten.
Liebe ist der Ausdruck eigener Werte, die größte Belohnung, die man erhalten kann für die moralischen Qualitäten, die man als Person erreicht hat, der emotionale Preis, den man bezahlt, für die Freude die man durch die Tugenden des anderen erhält.
Liebe ist keine statische Einheit, die man aufteilen muss, sondern eine unbegrenzte Erwiderung. Die Liebe für einen Freund ist keine Gefahr für die Liebe zum eigenen Partner, noch ist es die Liebe, die man für seine Familienmitglieder empfindet. Und auch die romantische Liebe - inklusiver ihrer Sexualität - ist keine Frage des Wettbewerbs.
Wenn zwei Männer dasselbe von einer Frau wollen - sei es eine sexuelle Praktik, oder Liebe - wird das, was sie für beide empfindet, nicht durch das bestimmt, was sie für den jeweils einzelnen empfindet. Was sie für den einen empfindet, wird weder von dem anderen bestimmt, noch von ihm zerstört. Wenn sie sich für einen von ihnen entscheidet, hätte der "Verlierer" trotz allem nicht genau dasselbe bekommen, wie der "Gewinner". Es macht daher überhaupt keinen Sinn, auf dieser "ausgleichenden Gerechtigkeit" zu beharren, denn was ein Mensch dir schenkt, kann er unmöglich in exakt derselben Form jemand anderem schenken. Es geht schlussendlich nicht um die Praktik, sondern immer um die Beziehung zwischen zwei Menschen, die immer und zu jeder Zeit einzigartig ist und sich von allen anderen unterscheidet. Man sollte sich daher weder gekränkt, noch bedroht fühlen, wenn ein Mensch seine Zuneigung und seine Sexualität gegenüber jemand Drittes anders ausdrückt, als gegenüber einem selbst. Wer hier in Konkurrenzeifer und Besitzdenken abdriftet, dem fehlt es, zumindest meiner Meinung nach, an rationalem Selbstwertgefühl.
Ich denke, man tut sich selbst keinen Gefallen, wenn man Sex als den ausschlaggebenden Grundbaustein für eine längerfristige Beziehung - sprich romantische Liebe - festlegt. Dabei überspringt man sehr viel wichtigere Werte. In meinen Augen gibt es heutzutage keinen schlimmeren Fehler, keinen größeren Grund für menschliches Leid in sozialen Beziehungen, als die Annahme, dass Liebe, Sexualität, Intimität, Zuneigung, Freundschaft, Respekt, Bewunderung, eine Frage "des Herzens" und der Gefühle sind, anstatt eine Frage der Vernunft und des Verstandes, und dass diese Dinge angeblich völlig losgelöst von Moral und Werten existieren.
Versteh mich nicht falsch - schlechter oder gar kein Sex in einer Beziehung kann diese definitiv belasten. Aber zu oft ist gar nicht der Sex das Problem, sondern die fehlende Intimität an sich (und Sex =/= Intimität oder Liebe). Wenn Sex als eine der Säulen einer Beziehung wegbricht, diese aber auf keiner anderen Säule stabil stehen kann - was genau für eine Beziehung führt man dann eigentlich? Hat man dann wirklich einen Partner, oder nicht vielmehr einen Fuckbuddy?
Ich halte Sex für einen sehr wichtigen Aspekt einer Beziehung, aber nicht für den Grundbaustein, auf dem ich eine Beziehung aufbaue. Schon gar keine längerfristige.