Freiheit oder Fluch - Was ist, wenn ich die Auswahl habe?
Vor einigen Jahren bemerkte meine Großmutter einmal, dass ihr die riesige Auswahl an Marmeladensorten und die ständigen Veränderungen im entsprechenden Sortiment der Supermärkte tierisch auf den Zeiger gehe.„Junge“, sagte sie „vor Jahren gab es eine Sorte Kirschmarmelade, eine Sorte mit Erdbeere und dann auch noch Aprikose. Man ging nie mit dem Gefühl nach Hause, ob eine andere Kirschmarmelade – meine Oma war Kirschmarmeladenfan - vielleicht besser gewesen wäre! Heute hast du 20 Sorten Kirschmarmelade von 7 verschiedenen Herstellern im Supermarkregal und bist die meiste Zeit über unzufrieden.“
Dann kotzte sie sich darüber aus, dass sie lange rumprobieren musste, bis sie die vermeintlich optimal schmeckende Marmelade gefunden hatte, obwohl eigentlich alle sehr lecker waren. Aber dieses stetige Gefühl etwas zu verpassen, wenn sie bei der gekauften Sorte bliebe oder die Verunsicherung durch ihre Nachbarin, die Stein und Bein schwor, dass die von ihr gerade präferierte Sorte besser sei, führte dazu, dass sie rastlos meinte alle Sorten nacheinander ausprobieren zu müssen. Sie glaubte nur marginale Unterschiede zu erkennen, legte sich aber auf eine Sorte fest, Und genau die hatte der depperte Hersteller plötzlich aus dem Programm genommen und wieder durch eine neue, andere ersetzt, die irgendwie auch nicht fundamental anders schmeckte.
Meine Großmutter gehörte zu den älteren Menschen, die sich auch im hohen Alter noch mit neuen Dingen, wie zum Beispiel Computern und Internet, auseinandersetzte. Als achtzigjährige Akademikerin war sie noch immer exzellent in der Auswertung, Analyse von Information, darin diese zu Hinterfragen und in einen vernünftigen Kontext zu stellen, um sie schließlich im Gesamtzusammenhang zu bewerten.
Eigentlich ging es in dem Gespräch gerade auch gar nicht um Marmelade, denn ich hatte seinerzeit versucht ihr die Vorteile des Internets u.a. anhand der Partnersuche und sozialer Netzwerken zu erklären. Es war ihre Art, mir klar zu machen, dass sie insbesondere nichts von Partnersuche im Internet hielt.
Eine ihre Aussagen war: „Je mehr potentielle Partner vorhanden zu sein scheinen, umso größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass du auf jeden Fall den falschen Partner erwischt und keine dauerhafte, langfristige Beziehung aufbauen wirst. Über kurz oder lang – vielleicht schon während dieser Beziehung – wirst du wieder im Supermarkt der einsamen Herzen unterwegs sein, in die Regale schauen und den Prozess des Scheiterns deiner Beziehung damit bereits vorantreiben.“
Sie war der festen Überzeugung, dass die allermeisten Leute sich aus den Singlebörsen nicht wieder abmelden, auch wenn sie jemanden gefunden haben. Sie meinte, die meisten seien dazu viel zu eitel (Marktwert testen) und zu vergleichend (habe ich tatsächlich eines der Premium-Schnäppchen erwischt) oder zu ängstlich (was ist, wenn es nicht klappt) sind.
„Und dann“, so ihre Meinung, „wird es wie bei der Marmelade laufen. Immer, wenn du wieder an dem Regal vorbeiläufst, sitzt da ein kleines Männchen und fragt dich unterschwellig, ob es nicht vielleicht doch die eine, ganz besondere Kirschmarmelade gibt, die völlig anders als alle anderen Kirschmarmeladen schmeckt! Und genau diese Illusion hält dich unterbewusst davon ab, jemals dauerhaft zufrieden und glücklich sein zu können und wirklich mit ganzem Herzen in einer Partnerschaft anzukommen.“
Egal ob Partnersuche oder Shoppingtour:
• Wie wichtig ist viel Auswahl für euch, um zufrieden und glücklich zu sein?
• Schränkt euch zuviel Auswahl ein?
• Wie erlebt ihr das Gefühl irgendwie unterbewusst scheinbar auf Suchmodus getrimmt zu sein und die damit verbundenen Gedanken „Vielleicht hätte ich mich doch besser für... entschieden!“
• Warum ist für euch eine Riesenauswahl im Vergleich zu einer kleinen eher Fluch oder Segen?
Ich bin auf eure Meinungen gespannt!
Seine