"offene Beziehung"
Wenn zwei Menschen für zwei unterschiedliche Dinge das gleiche Wort benutzen - geht das vermutlich schief.
"Offene Beziehung" - wir alle glauben, wir wissen, was gemeint ist, wenn wir das hören. Ist das wirklich so? Ich wähne mich in meiner Ehe monogam. Wenn jemand von Monogamie spricht, ist auch damit tatsächlich immer dieselbe Sache, dieselbe Art von Beziehung gemeint? Man erlaube mir zwei Extrembeispiele.
a) Das Kommunardenmodell:
"Offene Beziehung" kann man z. B. so verstehen (sehr offen, fast gleichgültig, das gebe ich zu): Wir leben in einer Wohn- (und womöglich Güter)gemeinschaft und gehen miteinander ins Bett. Wenn aber jemand von uns beiden mit einer dritten Person ins Bett geht, dann ist das ok, er ist dabei nur sich Rechenschaft schuldig, kann alle anderen Umstände vor allen anderen Beteiligten offenlegen oder verheimlichen, sogar innerhalb oder außerhalb der Beziehung sein, kommen und gehen, ganz wie es ihm behagt.
b) Das goldener-Käfig-mit-elektrisch-geladener-offener-Tür-Modell:
"Offene Beziehung" kann man aber auch ganz anders verstehen (und dann fast enger und strikter, als der vielgeschmähte Monogamiekäfig): Wir leben in einer innigen Liebesgemeinschaft, die das Universum nur für uns beide geschaffen hat. Dieser innigen Liebe sind wir uns gewiss, sie erträgt alles und erduldet alles. Sogar, wenn einer der Partner z. B. sexuelle Wünsche hat, die der andere Partner nicht erfüllen kann, unsere Liebe schafft auch das. Aus dieser Liebe heraus und als Symbol für die Unzerstörbarkeit dieses tiefen Gefühls toleriere ich, wenn mein Partner sich seine sexuellen Wünsche mit einer dritten Person erfüllt, denn dadurch wird unsere Liebe nicht kleiner und nicht tangiert. Ich möchte aber über diese sexuellen Erlebnisse grob oder sogar detailliert informiert werden, behalte mir also gleichsam das Verfügungsrecht darüber und damit über meinen Partner vor. Tut mein Partner das nicht, dann ist das ein furchtbarer Regelverstoß und Missbrauch, der unsere ganze romantische Liebe und Beziehung sofort in Frage stellt.
Zwischen diesen beiden Beziehungsmodellen sind multipelste Varianten denkbar, sogar eine Ehe, in der sich ein Partner einen geheimen Seitensprung erlaubt. Das ist nur auf den ersten Blick sehr weit weg von Variante b). Die "elektrisch geladene Tür", die Sanktion, das in Frage Stellen der Beziehung, kommt spätestens dann zum Tragen, wenn der betrogene Partner die geheime Affäre entdeckt. Erkennbar also: nur weil eine Beziehung das scheinbar progressive Label "offen" trägt oder auf der Ehe das scheinbar konservative Etikett "monogam" prangt, sind damit die wirklich gelebten Inhalte noch lange nicht klar.
Was ist nun hier passiert:
Die TE wähnte sich offenbar in Beziehungsmodell b), ihr Partner aber vermutlich näher an Beziehungsmodell a). Fand jemals eine wirkliche Kommunikation, eine gemeinsame Begriffsbestimmung statt? Wenn ja, wurde diese Begriffsbestimmung von beiden zusammen regelmäßig aktualisiert? Ich fürchte nein.
So konnten beide immer mit Fug und Recht von sich behaupten, in einer gemeinsamen Beziehung zu sein, der sie sogar voller Stolz (oder voller Begehren?) das gemeinsame Etikett "offen" verliehen hatten, aber jeder war ganz offensichtlich in einem eigenen Film. Die Inhalte hatte man aber nie richtig kommuniziert. Ist es ein Wunder, wenn die TE dann aus allen Wolken fällt, als sie das von ihrem eigenen völlig verschiedene, persönliche Verständnis ihres Partners von "offener Beziehung" sehr plastisch am eigenen Leib erfährt?
Es gab in dieser Partnerschaft nie eine gemeinsame Beziehungsdefinition.
Was jetzt ansteht hängt von beiden Partnern ab: entweder verhandelt man das Verständnis der gemeinsamen Beziehung neu und offen (das
gemeinsame Verständnis sollte offen sein, wie man dann die Beziehungsform nennt, ist letztlich egal), oder man erkennt, dass es dieses gemeinsame Verständnis von Beziehung gar nicht gibt oder nie gab und dass es auch nicht zu finden ist, was natürlich traurig wäre. Tut mir leid.