@ EP: Einsamkeit oder Zugehörigkeit
Einsamkeit ist neue Volkskrankheit!
Einsamkeit selbst ist keine Krankheit.
Doch das Gefühl der Zugehörigkeit ist ein sehr wichtiger Faktor bei der Stressbewältigung und der Entstehung von Gesundheit (Salutogenese). Die WHO verzeichnet in den hoch entwickelten Indurstriestaaten eine enorme Zunahme an stressbedingen somatischen Erkrankungen und an stress- und angstbedingten psychischen Erkrankungen.
Dazu aus dem Vorwort des Buches: "verbunden gesunden. Zugehörigkeitsgefühl und Salutogenese", von C. Krause, N. Lehmann, R.-F. Lorenz, T. D. Petzold (Hrsg.), 2007.
**************** Hüther:
Eine der wichtigsten Ressourcen bei der Bewältigung von Belastungen und Bedrohungen ist das Vertrauen. Zunächst ist das das Vertrauen zu sich selbst, den eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, den eigenen Kompetenzen. Immer dann aber, wenn es allein nicht mehr weitergeht, wenn sich das Gefühl von Verunsicherung und Ohnmacht auszubreiten beginnt, braucht der Mensch Vertrauen zu anderen. Er muss wissen, dass dann jemand da ist oder aufgesucht bzw. herbeigerufen werden kann, der ihn unterstützt, ihm Mut macht und ihm zur Seite steht.
Damit dieses Vertrauen wachsen kann, braucht der Mensch das Gefühl der Zugehörigkeit und des Angenommenseins, also der Geborgenheit innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft.
Damit dieses Vertrauen wachsen kann, braucht der Mensch das Gefühl der Zugehörigkeit und des Angenommenseins, also der Geborgenheit innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft.
Nun, das Gesundheits- und Sozialsystem ist leider auch nicht mehr das, was es einmal war. Es ist schwierig geworden, echte Hilfe zu bekommen, wenn man diese benötigt. Und das eigene soziale Umfeld besteht nun Mal in der Regel nicht aus Fachleuten für Arbeits- und Sozialrecht oder Medizin und/ oder Therapiemethoden. Es ist also mit den gegebenen Fragestellungen auch oftmals überfordert.
Bzw. war mein soziales Umfeld im ersten Moment oftmals vollkommen perplex, wenn es durch mich etwas vom Umgang diverser offizieller Stellen mit Hilfsbedürftigen mitbekommen hat. Sprachlos und wütend und zu großen Teilen auch ohnmächtig. Und dann schleichen sich Zweifel an der Glaubwürdigkeit ein. DAS darf doch gar nicht wahr sein! Sollten sich die Zeiten derart gewandelt haben?! Wenn man das glaubt, dann muss man Angst haben selbst einmal in eine vergleichbare Situation zu kommen. Wer kann schon von sich behaupten, niemals unser Gesundheits- und Sozialsystem zu brauchen?
So eine Zukunftsangst ist wirklich ungemütlich. Selbst wenn man sich entschieden hat, dem betroffenen Menschen Glauben zu schenken, zum Teil wünscht man sich, dass der Fehler nicht im System sondern beim Betroffenen liegt. Und so bleiben die Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Das merkt man als Betroffene an den Fragestellungen seiner Lieben. In solchen Momenten der Fehlersuche stellen sich dann auch Gefühle der Einsamkeit ein, obwohl im Prinzip hilfsbereite Menschen da sind. Ich zog es in solchen Momenten vor, alleine zu sein, um mir meinen Glauben an mich selbst zu bewahren. Und dann ging ich eigene Wege, suchte nach hilfreichem und fand Gleichgesinnte in Selbsthilfeforum und später auch in lokaler Selbsthilfegruppe.
Die dortige Kultur der Hilfe zur Selbsthilfe, konnte ich dann auch in mein soziales Umfeld hinein tragen.
Die Fähigkeit zu kommunizieren, wer wann und wo mir wie helfen und mich unterstützen kann und wo nun Mal die Grenzen sind, ist ungemein wichtig. Zur besseren Übersicht zeichnete ich dann auch das gesamte Netzwerk auf. Mit diversen Institutionen des Gesundheits- & Sozialsystems sowie der Justiz, den jeweiligen Ansprechpartnern, Vereinen und privaten Kontakten und den jeweiligen Funktionen, welche diese erfüllen sollten oder freiwillig erfüllen können & wollen. Dadurch wurde es für jedes Familienmitglied und jeden Freund begreiflicher. Zum einen erhöhte dies meine eigene Glaubwürdigkeit und zum anderen sahen meine Lieben dann auch, dass er/ sie nicht mit mir und "meinem Problem" alleine ist. Damit sich die Menschen nicht selbst überfordern oder aber dazu übergehen, einem kontraproduktive Hilfe überzustülpen.
Auch lassen sich mit Hilfe so einer Übersicht eher Strategien entwickeln, wie man überhaupt an das kommt, was gebraucht wird. Denn "Recht haben" und "Recht bekommen" sind nun Mal zwei verschiedene Paar Schuhe.
In erster Linie brauchte ich diese Übersicht aber auch für mich. Im Rahmen einer PTBS mit einhergehender Depression und Sozialphobie drohte mich nämlich dieses ganze Wirr-Warr völlig zu überwältigen. Durchs Erstellen solcher Collagen gewann ich zunehmend Abstand und Klarheit. Und diese Klarheit brachte mich gefühlsmäßig auch wieder mehr in die Nähe meiner Lieben. Getreu dem Motto: "Schau, meine kognitiven Fähigkeiten sind noch da. In Zeitlupe zwar, aber immernoch vorhanden." So kam ich Stück für Stück raus aus diesem Einsamkeitsgefühl und wieder rein ins Zugehörigkeitsgefühl.
Die letzten Reste aller Zweifel an mir und meiner Glaubwürdigkeit lösten sich dann auch auf, als mein Onkel starb bzw. davor, als er endlich die richtige Diagnose erhielt. Fehldiagnose von mehreren Stellen. Ab in die Psychiatrie und danach ambulante Therapie. Zwei Jahre Fehlbehandlung bis seine Krebserkrankung im Endstadium endlich diagnostiziert wurde. Da war diese allerdings nicht mehr behandelbar.
Mit der Geschichte meines Onkels und seinem eigentlich vermeidbaren vorzeitigen Tod brachen die Dämme. Plötzlich trauten sich viele im sozialen Umfeld meiner Familie, offen über ihre Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen zu sprechen (auch über die psychischen!). Somit war ich kein Einzelfall mehr. Alle Zweifel verschwanden und meine persönliche Glaubwürdigkeit wurde komplett wiederhergestellt. Und mein Onkel konnte mir vor seinem Tod noch ein verdammt gutes Vorbild im Umgang mit so einer Situation sein. Das ist aber auch das einzig Gute, was ich dem Tod meines Onkels abgewinnen kann.
Einsamkeit ist neue Volkskrankheit! Warum ist das so?
Ich denke, in unserer Gesellschaft mangelt es an einer lebendigen Kultur der Hilfe zur Selbsthilfe. Anstatt den Menschen das zu geben, was diese für ihr Wachstum brauchen, gibt man ihnen das, was man selbst sehr gut gebrauchen könnte. Das Gegenüber fühlt sich dann jedoch 1. nicht gesehen und angenommen 2. wirkt "falsche Hilfe" wie ein Kotz am Bein oder ein zusätzliches Hindernis und 3. stellt sich in Beziehungen oftmals auf beiden Seiten das Gefühl ein, mehr zu geben als man bekommt..