Einen Brief an die Familie ...
... sehe ich jetzt auch noch als die letzte Rettung an.
Nicht was deine Mutter angeht. Sie wird ihre Meinung behalten. Denn da kommt sie ja jetzt auch nicht mehr raus, sie kann da nicht mehr zurück ... denn würde sie zurückrudern, würde sie sich vor ALLEN ANDEREN blamieren, zugeben müssen dass sie sich geirrt hat, ihr Gesicht verlieren.
Nein, bei deiner Mutter ist der Zug abgefahren.
Bei deinen Verwandten aber noch lange nicht.
So ein Brief ist sehr, sehr schwierig zu schreiben. Schreib ihn in Ruhe, schlaf drüber und ganz wichtig: Lass ihn dir von einer relativ neutralen Person (doch ein Familienmitglied? Einer guten Freundin die vielleicht deine Neigung auch komisch empfindet sogar ...?) gegenlesen.
Eines ist in so einem Brief sehr wichtig:
Wirke darin erwachsen.
Pöbele nicht herum, werde nicht emotional ("was meine Mutter Euch gesagt hat war totaler Bullshit, das müsst ihr wissen!"), beleidige nicht deine Mutter.
Sondern bleibe ganz neutral, ruhig.
Tue so als wärst du nun Bundeskanzlerin (oder amerikanische Präsidentin, wenn dir das Bild mehr behagt), wirke "präsidial", staatsmännisch.
Etwa so dass du zum Beispiel einleitest "wie ihr wisst, hat meine Mutter in der letzten Zeit vieles über mich erzählt. Ich möchte das nicht weiter kommentieren, jeder von Euch kann und darf sich ein eigenes Bild darüber machen ob ihr das, was sie sagt, mir zutraut oder nicht.
Ich liebe meine Mutter, sie ist ein guter Mensch, ich weiß dass sie es nicht immer leicht mit mir hatte und bin stolz darauf, dass sie ein Mensch ist, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Ohne sie hätte ich sicher einer schwierigere Kindheit gehabt, ich wäre jetzt mit Sicherheit nicht dort wo ich heute stehe.
Mir ist der Kontakt zu Euch auch sehr wichtig. Wenn Ihr Euch grade Sorgen macht um mich, dann sagt es mir ruhig und gerne auch warum.
Eure Meinung ist mir wichtig. Schließlich seid ihr meine Familie, und ich mag Euch sehr.
Meine Tür steht jedem offen, egal ob Ihr meiner Mutter glaubt oder nicht oder was Ihr im Moment über mich denkt. Wie ihr vielleicht schon erfahren habt, bin ich ausgezogen - meine Adresse ist ... und meine Telefonnummer ... - wer neugierig ist wie meine Wohnung jetzt aussieht (ich fühle mich hier sehr wohl), der kann mich gerne auf ein Käffchen besuchen, ich freue mich sehr über Besuch.
Ansonsten macht mir meine Ausbildung gerade sehr viel Spaß [hier irgendwelche Sachen einsetzen die etwas Smalltalk sind, aber halt auch klar machen dass du ja ein stinknormales Leben einer jungen Frau führst die flügge geworden ist] ...
Eure ShyKajira"
öhm, ja, irgendwie sowas in der Art.
Ganz wichtig ist auf jeden Fall dass du dich nicht verteidigst! Wieso auch? Das hast du doch gar nicht nötig. Jede Beteuerung wirkt auf andere jetzt eh wie "na, das muss sie ja jetzt sagen. Sagen Sektenmitglieder ja auch immer."
Nein, sei ruhig selbstbewusst. Mach deine Mutter nicht schlecht, hab Verständnis für ihr Auftreten. Bringe ihr gegenüber deinen Verwandten Respekt entgegen. Auch wenn sie diesen Respekt nicht dir entgegenbringt, musst du ja nicht gleich selbst sie schlecht machen. Denn das würde wieder nur aussehen als würdest du deine Lebensweise für die bessere halten und die deiner Verwandten für nicht so gut. Das käme auch nicht gut an.
Kurzum: Wirke einfach erwachsener als sie.
Denn so wirst du auf Dauer bei irgendwem in deiner Familie Erfolg haben.
Und spätestens dann hast du eine(n) Verbündete(n), mit dem/der du dann die Gräben wieder schließen kannst.
Viel Glück.