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Da gibt es immer die Dualität, dass wir in der Funktion, die wir wahrnehmen, tatsächlich austausch bar sind und in Konkurrenz stehen, dass aber der Mensch einmalig ist und weit mehr als die Summe der Funktionen, die er wahrnimmt.
Vielen Dank für diese schöne Aussage!
Natürlich äußert hier jeder seine ganz persönliche, subjektive Sichtweise, und das ist auch völlig in Ordnung. Bei manchen spricht daraus allerdings vor allem der Frust – und zwar ihr ganz persönlicher.
Es liegt nun mal in der Natur der Sache, dass die Qualitäten, mit denen hier gepunktet wird, zumindest teilweise andere sind als real. So spielt online die Fähigkeit zum schriftlichen Ausdruck eine große Rolle, während real nur die mündliche Gewandtheit zählt. Beides muss keineswegs miteinander einhergehen; Menschen mit einem höheren Bildungsgrad sind daher online in dieser Hinsicht im Vorteil.
Grundsätzlich besteht online aber vor allem ein (scheinbares) Überangebot, und je größer das Angebot, desto mehr muss gefiltert werden – wenn man denn nicht einfach wahllos das erstbeste nehmen möchte. Dieses Angebot besteht auf den ersten Blick vor allem auf Seite der Männer, jedoch sehen sich die einigermaßen anspruchsvollen Frauen derselben Problematik gegenüber.
Die Filterung funktioniert nun anhand anderer Kriterien als real. So ist der erste Eindruck beim Online-Dating eben nicht die Person selbst mit ihrem gewinnenden Lächeln und den strahlenden Augen, sondern ein Profil mit ein paar mehr oder weniger gelungenen Fotos, einer mehr oder weniger originellen Selbstbeschreibung und ein paar Eckdaten – bzw. ein mehr oder weniger gewinnendes Erstanschreiben, dessen Briefkopf von dem mehr oder weniger gelungenen Profilfoto geziert wird.
Die Eckdaten sind toll, wenn man irgendwelche speziellen Kriterien anlegt, die unbedingt erfüllt sein müssen. So kann jemand mit BDSM-Interesse jemanden, der BDSM unter "geht gar nicht" hat, auf dieser Grundlage sofort aussortieren. Und oft sind auch die "falschen" (d. h. nicht zu den eigenen Bedürfnissen passende) Angaben bei Alter, Wohnort, Beziehungsstatus und Körpergröße direkte Ausschlusskriterien.
Das Problem ist, dass das Überangebot dann immer noch besteht. Entsprechend ist eine weitere Filterung nötig. Man kann eben nicht jeden, dessen Eckdaten mal gerade so passen, sofort real treffen, um festzustellen, ob man sich mehr mit ihm vorstellen könnte. Real neigt man eher dazu, Kompromisse einzugehen, weil man an dem Abend vielleicht nicht allein nach Hause gehen möchte oder der-/diejenige ja "ganz OK ist" und man es nicht übers Herz bringt, ihm/ihr einen Korb zu geben. Online ist die Distanz größer, die auf einen Korb folgende Enttäuschung weiter weg und die Hemmschwelle größer, erstmal aus dem Haus zu gehen. Entsprechend sagt man eben im Zweifelsfall öfter mal nein als ja.
Dieses Problem haben übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer – zumindest die, die sich gut "verkaufen können". Diese stechen nämlich aus der Masse der Durchschnittsprofile heraus und stellen damit eine durchaus gefragte Minderheit dar.
Dazu kommt das Problem, dass es zu einem Kennenlernen ja immer zwei braucht. Sprich, da kann man noch so toll vorab gefiltert haben – wenn der/die Auserwählte dann selbst kein Interesse hat, war der ganze Prozess umsonst.
Die Behauptung, es komme kaum zu realen Begegnungen, kann ich trotzdem nicht bestätigen. Im Gegenteil, ich habe bereits wirklich viele JOYler real kennengelernt – darunter auch meinen Gefährten. Und in meiner Dating-Zeit ist es mehrmals passiert, dass ich ein reales Treffen in Aussicht stellte und der Mann dann aus irgendeinem Grund einen Rückzieher machte.
******era:
Virtuelle und reale Möglichkeiten sind also komplementär, nicht in Konkurrenz zu einander zu sehen.
Das kann ich so unterschreiben.