Zum Beispiel ist dieser gezielte öffentliche Tabubruch ein Stilmittel in der Kunst. Und dort wird er anscheinend eher hingenommen als im alltäglichen Leben wie mir scheint...
Genau hier besteht aber auch eine Abgrenzung. Wenn etwas als Kunst identifiziert wird, wird es auch von der Öffentlichkeit anders wahrgenommen. Beispielsweise Shibari, da kannst du Public Disgrace mitten in belebten Fußgängervierteln mit machen, weil es schlicht als Kunst wahrgenommen wird. Eine Dame, die kunstvoll verschnürt wird (oder auch mal ein Herr) sorgt eher für Zuschauer, die nach der Darbietung Beifall spenden als Abscheu.
Meine persönliche Grenze habe ich ja dargelegt. Was ist dann deine, Lusthandwerker? Hast du keine? Tabus brechen um des Brechens willen? Sehe ich persönlich keinen Sinn drin. Ich sehe vielmehr einen Sinn darin, wenn sie Gewohnheiten (durch-)brechen, beispielsweise Sehgewohnheiten, und so dann zum Nachdenken anregen.
Zum Nachdenken! Nicht zum (sich davor) ekeln. Ekelprovokation finde ich persönlich ein Unding. Ja, auch in Zeiten des Dschungelcamps noch, wobei dort die Zuschauer ja wiederum die Wahl haben, ob sie einschalten oder eben nicht.
Wenn jetzt jemand z.B. sich in komplettes Flüssiglatex taucht, sodass diese Person komplett angezogen wirkt, es aber nicht ist, wäre das ein spannendes Projekt! Man sieht es ja erst auf den zweiten Blick. Sprich: Nur, wer sich für den Menschen direkt interessiert, wer sich dafür interessiert, dass an diesem Menschen
irgend etwas anders ist, erst dann entdeckt er den Bluff. Dann ist es aber auch ok, denn in dem Fall hat sich diese Person aktiv dafür entschieden, hinzugucken.
Ich halte es dann legitim, wenn sich auch zweite, harmlose Erklärungen anbieten.
Beispielsweise eben der Kunstbegriff.
Ein schrilles Outfit an einer Bahnhaltestelle kann aber auch Produkt einer Party sein, auf die diese Person gehen wird. Ist dann eine Sache des Geschmacks. Oder eben auch, dass es Geschmack dieser Person ist.
Im übrigen, wenn diese Person an der Reeperbahn in Hamburg sich irgendwo hinstellen würde, wäre für diese der Thrill vermutlich auch wieder weg. Da ist jedes zweite Junggesellenabschied-Outfit schlimmer. Von denen es ebendort jeden Abend im Schnitt fünf Stück gibt, die Anwohner sind das schon gewohnt.
Wo für mich die Grenze wieder überschritten wäre, wäre jenes, wenn diese Person ein Schild um den Hals hängen hätte, auf dem z.B. drauf steht "Ich habe meine Herrin beleidigt, beschimpft mich, ich habe es verdient!". Das würde dann wiederum Unbeteiligte in Verlegenheit bringen. Da kann man auch nicht sagen "na, wer sich nicht interessiert, soll es halt nicht lesen". Schrift triggert, sie wird automatisch gelesen. Könnte ja z.B. auch ein Hilferuf sein etc.
Kurz gesagt: Halböffentlich (SM-Club etc.) geht für mich so ziemlich alles. Öffentlich dann, wenn es nicht automatisch eine sexuelle Konnotation hat, sondern auch eine andere haben kann. So haben dann jene, die mit dem sexuellen Aspekt nichts zu tun haben möchten, noch einen "Notausgang", um sich nicht belästigt zu fühlen. Das wäre für mich dann in Ordnung.