ich war 8 jahre betroffen und kann sagen, das ich 8 jahre meines lebens verloren habe.
kein tag, der mich keine überwindung gekostet hat, das haus zu verlassen.
die magenschmerzen begannen schon, als morgens um 7 der wecker klingelte.
der weg zur arbeit die reinste qual. das haus verlassen und sich in überfüllte busse setzen zu müssen, der reinste albtraum.
ergo: man hat sich am besten in die letzte reihe verkrochen. nix sagen, am besten nicht mal zur seite gucken. immer schön unauffällig mit der masse mitschwimmen.
alles, nur nicht auffallen.
mit ach und krach den tag rumgebracht, abends auf der rückfahrt das gleiche spiel, nur mit dem unterschied, das es inzwischen dunkel war und ich mich sicherer gefühlt habe.
die einfachsten dinge wie einkaufen wurden zur qual.
überfüllte fussgängerzonen habe ich gemieden wie die pest. grosse supermärkte ebenso. wenn überhaupt, bin ich geschwind zum nächsten edeka reingehuscht und auch dies immer erst dann, wenn im kühlschrank schon gähnende leere herrschte.
selbst dann hab ich noch überlegt: muss ich jetzt wirklich wegen ner tüte milch zum edeka? och nö.. das hat eigendlich auch noch bis morgen zeit <<<
kino? unmöglich. flohmärkte? welch graus. rummelplätze? bin ich niemals hingegangen und wenn, dann nur zu zeiten, wo ich mir sicher sein konnte, das nicht mehr allzuviel betrieb herrschte.
zeitweise bin ich nicht mal mehr zum briefkasten gegangen...
da wurde erst durch den spion geguckt, die tür aufgerissen, zum briefkasten gehuscht und schnell wieder rein...
mein ganzes leben war damals eine lüge.
wollte eine freundin mit mir ins strassencafe, habe ich ausreden erfunden, um nicht mitgehen zu müssen.
wollte ein freund mit mir ins kino, war ich krank.
wenn andere sich abends ins bett gelegt haben, fing mein leben erst an.
so bin ich beispielsweise nur mitten in der nacht spazierengegangen. die strassen waren leer und kaum noch menschen unterwegs, was mir ein sicheres gefühl gegeben hat.
niemand wusste davon. ich konnte mich niemanden anvertrauen. die angst, als
verrückt abgestempelt zu werden, war einfach zu gross.
wie erklärt man zb einem
normalen menschen, das man nicht bus fahren kann, weil man eben angst hat?
also hab ich nix gesagt und mir nächtelang den kopf darüber zerbrochen, warum das alles so ist.
warum ich angst habe. und vor WAS. hab mich gefragt, ob ich verrückt bin, ob ich mir das alles nur einbilde...
irgentwann hab ich erkannt, das ich ein problem habe und mich erstmals einer freundin anvertraut, welche mich eine woche zuvor auf einen rummelplatz geschleppt hat - nichtsahnend, wie grausam das für mich war...
mich meiner freundin anzuvertrauen war das beste, was ich tun konnte.
sie hatte verständnis und ich war geradezu geschockt, als ich feststellen musste: he. die findet mich gar nicht verrückt. die will mir sogar helfen <<
irgentwie hats bei mir 'nen schalter umgelegt, das ich immer öfter und offener darüber sprechen konnte.
bald wusste mein ganzer freundeskreis bescheid und alle haben mich super unterstützt. mir ist ein unendlich grosser stein vom herzen gefallen, weil ich endlich endlich (!) keine ausreden mehr erfinden musste....
eine therapie habe ich nicht gemacht. ich habe mich selbst therapiert. ich habe mich dazu gezwungen, viermal am tag das haus zu verlassen. einkaufen zu gehen. spazieren zu gehen. irgentwann konnte ich wieder durch eine fussgängerzone schlendern, ohne, das ich schweissausbrüche und herzflattern bekam...
jeden tag hab ich mich stück für stück zurückgekämpft-ins leben.
heute gehts mir gut.
ich geh shoppen, ich geh ins schwimmbad, geh ins kino. wochenenden zuhause vebringen zu müssen, sind mir ein graus. ich geh zum briefkasten und wenn ich meine nachbarin treffe, muss ich aufpassen, das ich mich nicht verquatsch und zu spät komm.. ;o)
ich geh raus und es ist gut. ich habe keine angst mehr. ich weiss, das kein mensch mir etwas böses will, aber es hat lange gedauert, bis ich das begriffen habe.
ich mag noch anmerken, das ich niemals ein schüchterner mensch war, wie es bei vielen anderen SP-betroffenen ist.
ich hatte niemals ein problem damit, auf fremde menschen zuzugehen und diese anzusprechen. so habe ich zb oft menschen angesprochen, die später zu mir gesagt haben: mensch sonnchen. ich bin so froh, das du mich damals angesprochen hast. ich hätte mich das nicht getraut <<
mein problem waren viele menschen. volle büsse, volle züge, volle fussi-zonen, supermäkte. einfach orte, an denen sich viele menschen aufhielten.
um deine frage nochmal geschwind aufzugreifen @ neuro_manic:
sexualität war kein problem für mich. ich hatte niemals probleme, männer kennenzulernen und mein liebeslieben zu geniessen, aber du meinst gewiss die SP-betroffenen, die noch mit extremer schüchternheit zu kämpfen haben?!