Es ist sicher richtig, dass die Toleranz für Tattoos in den letzten was-weiß-ich-wie-vielen Jahren gestiegen ist. Eine wirklich intolerante Zeit habe ich vermutlich gar nicht miterlebt.
Ich glaube aber, dass neben jenen, die diesen Faible dadurch neu für sich entdecken, viel mehr die das öffentliche Bild prägen, die jetzt einfach offener damit umgehen.
Hat man sich früher kleine zierliche Motive an gut zu kaschierenden Stellen stechen lassen, neigt man heute vielleicht doch schneller zu massiveren und offensiveren Motiven. Einen massiven Anstieg von großflächigen, mitunter sogar Ganzkörpertattoos beobachte ich durchaus.
Ich würde also schon sagen, dass jemand mit bunten Sleeves oder Bildchen am Hals und/oder im Gesicht gewissermaßen dem Zeitgeist folgt oder zumindest gut hinein passt. Ich würde aber nicht auf die Idee gekommen, jedem auch genau diese Intention dahinter zu unterstellen. Solche Tätowierungen können genau so aus Überzeugung und Leidenschaft entstanden sein, wie jedes andere auch. Wer sich eben doch aus der Trend-Motivation heraus dazu entschließt...tja. Ich würde auf den Zug nicht aufspringen, fühle mich dadurch aber auch nicht gestört. Ich habe Tattoos, Piercings oder sonstigen "Schmuck" noch nie als Statussymbol oder Alleinstellungsmerkmal betrachtet, also kann mich dadurch auch niemand in meinem vermeintlichen Status angreifen. Wenn jetzt irgendwas totsal angesagt wäre, wofür ich schon immer eine Passion hatte, würde ich mich aber genau so wenig "schämen" plötzlich Teil des Mainstreams zu sein. Ich bleibe ganz bei mir, unabhängig von der Strömung und zu wem oder wie vielen ich da Parallelen haben könnte, ist mir vollkommen schnuppe. Das betrifft aber jeden möglichen anderen Trend genau so und ist nicht allein auf Bodymodifications bezogen.
Die Attraktion durch Tattoos kann ich absolut nicht pauschalisieren. Sie können sehr anziehend auf mich wirken und mich genau so sehr abstoßen - abhängig von Motiv, Positionierung, wie gut oder schlecht es gemacht ist und so weiter, natürlich auch eine Typfrage.
Leugnen kann ich definitiv nicht, dass ich ein Tattoo auch je nach Hintergrundgeschichte (sofern vorhanden) anders beurteile. Ich persönlich kann zum Beispiel mit Hello Kitty, Spongebob und Co. als Motiv überhaupt nichts anfangen und vermutlich sind genau das so typische Trend-Tattoos. Wenn mir dann aber jemand von einer super persönlichen und individuellen Verbindung zu dem Motiv erzählt, betrachte ich das schon nochmal aus einer anderen Perspektive. Mich spricht es schon mehr an, wenn unter der Haut eben mehr steckt, als nur die Tinte und es eine Geschichte dazu zu erzählen gibt. Ich kann es aber auch als reinen Körperschmuck betrachten, der Tätowierungen letztendlich nun mal sind. Unabhängig davon bewerte ich sowas aber nur für mich ganz persönlich, quasi um meinen eigenen Geschmack in Frage zu stellen und würde niemandem einen Vorwurf daraus machen oder seinen Charakter deshalb abwerten. Es kommt aber durchaus vor, dass ein Tatto den Eindruck eines Mitläufers bei mir erweckt und sich das in anderen Aspekten später bestätigt. Dann freue ich mich über meine Menschenkenntnis und bin dankbar für den Warnschuss, der durch das Tattoo ausging.
Das Gegenteil ist genau so möglich, ich schließe da im Vorfeld keine bindenden Rückschlüsse.
Ich denke übrigens, dass man in allen Altersgruppen mehr und weniger gut durchdachte Tätowierungen vorfindet und das Alter nicht sonderlich aussagekräftig ist. Ich habe bisher nur ein Tattoo und plane die weiteren seit Jahren akribisch. Das aber nicht aus Angst vor Falten, sondern weil ich sie den Rest meines Lebens mit Stolz, Würde und aus voller Überzeugung tragen möchte und wenn das der Fall ist, dann auch, wenn ich schrumpelig bin.
Auch wenn ich Tattoos an sich grundsätzlich als eine Interesse oder vielleicht sogar Vorliebe bezeichnen würde, heißt das nicht, dass blanke Haut für mich deshalb ein Ausschlusskriterium ist, es ist nicht mal wirklich eine schlechtere Startposition. Es kann eben ein netter Aufhänger sein, bietet fast immer ein interessantes Gesprächsthema, macht Untätowierte deshalb aber nicht minder interessant und schon gar nicht "out".