Ikarus

Ikarus

I.
Mein Vater,
wie herrlich sind diese Flügel
Aus Wachs,
die du mir geschaffen hast, damit
ich mir dir fliegen kann!
Damit ich mit dir reisen kann
Auf deinen Bahnen um die Erde, um den Mond und
Um die Sonne.
Sie passen genau,
sie tragen mich und
Sie lassen mich segeln, gleiten, fliegen.
Sie bringen mich dorthin, wo ich sehen kann,
dass alles Leben
Wunderschön und lebenswert ist und
Dafür geschaffen, von dir und mir betrachtet zu werden.
Ich danke dir, mein Vater,
für diese Flügel, die du mir gegeben hast.

II.

Mein Vater,
ich fliege, ich tanze, ich taumle in den Lüften!
Sieh mich an, sieh, wie ich schwebe!
Lass meine Hand los, ich kann alleine fliegen!
Höher, höher, höher!
Siehst du, wie ich immer weiter emporsteige?
Dafür hast du mich geschaffen und meine Flügel.
Sieh die Sonne, mein Vater,
wie du kann ich sie umkreisen, in ihrem Licht immer weiterfliegen.
Mein Vater, dieser Schmerz…
Es ist heiß, es brennt, es glüht.
Hilf mir, mein Vater!
Meine Flügel versengen, meine Flügel schmelzen,
sie tragen mich nicht mehr…
Mein Vater,
ich falle, ich stürze!
Verzweifelt versuche ich, mich zu fangen,
ich taumle, ich falle, ich bin nicht mehr
Wie die Luft, sondern wie ein Klumpen
Asche und Wachs und Schwerkraft und Angst.
Ich falle. Ich falle. Ich falle…

III.

Mein Vater, das Meer hat mich empfangen
Wie ein gnädiger Schoß
Aus Kühle und Linderung und Dunkelheit.
Ich kann nicht mehr fliegen. Ich muss ruhen
In den Tiefen der Ozeane,
muss rasten in der Kälte des Wassers,
das mich erst umtost und nach und nach
Umspült und bettet
und meine brennenden Wunden sanft umarmt.
Mein Vater, ich bereue nichts, keine Sekunde
Unseres Fluges,
keinen Zentimeter der Luft, die ich
erklommen habe und
keinen Moment des Falls,
der mich ereilt hat.
Ich ruhe im Wasser
Und du reist in der Luft,
und so bleiben wir auf ewig verbunden
In einem Gleichklang aus
Mut und Angst
Und
Mut und Angst
Und Mut
Und Angst.
Ich danke dir, mein Vater,
für diese Flügel, die du mir gegeben hast.