Schubladen
Ich hätte noch einen Gedanken dazu, warum das immer diskutiert aber nie beantwortet wird. Zum einen sind die Begriffe nicht wirklich hilfreich, wie ja schon an vielen Beispielen hier gezeigt wurde.
Beispielsweise hilft mir die Unterscheidung, ob es dabei um Verliebtheit oder nur um sexuelle Anziehung geht, irgendwie nicht. Genauso wenig, ob ich nun lieber sie oder ihn wählen würde, hätte ich zwei Menschen zur Auswahl. Eben weil da noch viel Anderes eine Rolle spielt.
Und ist ein Mann, der gerne bläst aber nicht knutscht nun genital schwul und oral hetero?
Ich bestreite auch nicht, dass so mancher den Begriff Bisexuell verwendet, weil er sich (noch) nicht eingestehen will, dass er schwul ist. Genauso wenig, wie es Menschen gibt, bei denen die Intensität der sexuellen Anziehung nicht vom Geschlecht abhängt.
Interessanter finde ich, warum man nun aber immer wieder ganz genau diese Begriffe definiert haben möchte, obwohl man ansonsten im Leben ja auch nicht so der Mathematiker ist und kein Problem damit hat, mal fünfe gerade sein zu lassen.
Die Begriffe definieren eben nicht nur Verhalten, sondern auch soziale Gruppen und Identitäten. Ich esse nicht einfach nur Nudeln, sondern ich BIN Nudelesser und gehöre damit zur Gruppe der Nudelesser und eben nicht zur Gruppe der Reisesser.
Und weil ein Mensch in der Urzeit als einzelner nicht überlebensfähig war, ist es heute noch eine der Urängste, aus einer sozialen Gruppe heraus zu fliegen.
Darum kann man nicht einfach mal Reis essen, sondern muss immer wieder ganz genau und vor allem auch von Anderen immer wieder bestätigt haben, wer man IST und dass man noch dazu gehört.
Dieser ständige Wunsch nach möglichst genauer Definition der Schubladen ist doch nichts anderes als die panische Angst, dass man mit seinen Vorlieben und Neigungen nicht mehr hinein passt.
Und leider übersieht man, dass man hier und jetzt sehr viel mehr Freiheiten hat als früher oder woanders auf der Welt und auch die genaue Kategorisierung gar nicht notwendig ist.
Anstatt vor sich selbst einzugestehen, was man wirklich mag, beschäftigt man sich lieber mit Definitionen. Mich interessiert bis heute nicht, ob ich nun Nudelesser bin, obwohl Nahrungsaufnahme auch sehr sinnlich sein kann.
Man sortiert lieber das Küchenregal, als heraus zu finden, was man gerne isst. So wird das nichts.
Die Neigung xy-Interessiert finde ich übrigens gar nicht mal so negativ. Denn das Ganze ist ja ein Prozess und hier öffnet jemand schon mal die Jalousie, um aus dem Fenster zu schauen. Das ist ein erster Schritt.
Ich weiß, ich habe die Frage nicht beantwortet. Die Beschäftigung mit der Frage ist schon wichtig, nur die Antwort nicht.