Ich dachte mir, vielleicht hilft es für das bessere Verständnis auch mal zu definieren, was Liebe meiner Meinung nach NICHT ist, um dann am Ende eines (leider) recht langen Textes darauf zu kommen. Sorry, aber das weite Ausholen ergab sich, weil es so viele Klischees und daher auch Missverständnisse gibt. Und weil diese die wahren Gründe für zahllose Herzensbrüche, Energieverschwendungen und Enttäuschungen sind, bedürfen sie wohl einer Erklärung. Wohingegen das mit der Liebe eigentlich ganz einfach ist. In diesem Sinne: siehe letzter Absatz. Der klassische Fall von lange Rede, kurzer Sinn.
Liebe ist nicht Selbstaufgabe oder Dienstleistung. Liebe ist nicht Kampf, Opfergabe und Drama für die Gunst eines anderen Menschen à la Hollywood-Schmalz. Sie ist auch nicht der von der Natur eingerichtete Hormon-Rausch, der Dich Liebe zu fühlen glaubt, der aber in Wahrheit nur für Euphorie und Gier sorgt, während Du Deine körperlichen Lust-Bedürfnisse befriedigst. Zumindest eine Zeit lang, bis immer "mehr" bzw. wieder etwas Neues "gebraucht" wird, wenn der Kick wie bei einer Droge abebbt. (Was dann der Fall ist, durch den sich Menschen auch zurecht als Objekt behandelt fühlen.)
Liebe macht im Gegensatz zur Lust und zur konditionierten Beziehung nicht abhängig. Im Gegenteil, sie macht frei. Denn wahre Liebe ist nicht an Bedingungen und Erwartungen geknüpft. Deshalb fängt im Grunde alles bei Dir selbst an. Wie hier im Thread schon absolut richtig auf die Selbstliebe verwiesen wurde:
Liebe Dich bedingungslos!
Was bedeutet: Erkenne Dich selbst - und akzeptiere Dich mit mit all Deinen Stärken und Schwächen. Kenne und akzeptiere auch Deine wirklich dunklen, Dir unangenehmen, sogar verdrängten Ego-Seiten, abseits Deines wahren Selbst. Wenn Du diese durchschaust, bist Du nicht mehr unbewusst von ihnen getrieben und kannst gewisse negative Muster vielleicht sogar auflösen und zu Deinem echten Selbst finden. Du tappst dann auch nicht mehr so leicht in die Falle einer Beziehung, die nur diese unbewussten Muster befriedigt haben will und Dich (und andere) deshalb unglücklich macht. Gerade weil viele Menschen im Bezug auf ihr wahres Selbst eher unsicher sind, ist der Rat, man solle einfach man selbst sein, oft so "hilfreich".
Aber erst ab diesem Punkt kannst Du auch andere Menschen bedingungslos und tatsächlich mit einer wohlwollenden Gelassenheit lieben. Denn dann erkennst Du, dass Du als Individuum in Dir komplett bist und dass Dir hier niemand etwas von Außen geben muss, bzw. geben kann. Du bist mit Dir im Reinen. Du bist unabhängig, sowohl was Bestätigung als auch die Dir entgegengebrachten Gefühle anderer Menschen betrifft.
Weil diese Erkenntnis in der Regel fehlt oder noch nicht komplett ist, sind zwischenmenschliche Beziehungen oder Partnerschaften an Grenzen, Erwartungen und Bedingungen geknüpft. Werden diese missachtet, wird die vermeintliche Liebe zum wahren, oft sehr tiefen Schmerz.
Wenn man die Ursachen des Schmerzes nicht wahrhaben will und dagegen à la Hollywood-Klischee ankämpft, wird man irgendwann doch realisieren müssen, dass partnerschaftliche Liebe auf wohlwollender Gegenseitigkeit und Vertrauen beruht - und dass wahre Liebe
nicht weh tut. Und dass wahre Liebe Dir Energie gibt, anstatt sie Dir zu nehmen. Wahre Liebe ist ein bewusster, ganz selbstverständlicher Kreislauf, und nicht der oft leider übliche unbewusste Teufelskreis aus zunächst Idealisierung und Lust und dann Enttäuschung und Schmerz.
Wenn dieses oben genannte Vertrauen und Wohlwollen nicht gegeben ist und sein Fehlen immer mehr weh tut, ist der Punkt erreicht, wo man den wahren Stand einer Beziehung erkennen und sie loslassen muss. Aus Gründen des Selbstwertgefühls und der Selbstliebe. Dann ist es Selbstschutz und auch deshalb ist Selbstliebe so wichtig. Durch sie erkennt man, dass Abstand leider notwendig ist, weil wichtige Bedürfnisse nicht befriedigt oder Gefühle mutwillig verletzt werden. Du hast immer auch eine große Verantwortung für Dich selbst. Alles andere wird dann toxisch.
Mit einem gewissen Grad an echter Selbstliebe kommt auch die Selbst-Bewusstheit. Und aus dieser Bewusstheit kommt Klarheit ins Handeln. Dann kannst Du selbstbewusst loslassen. Denn dann erkennst und akzeptierst Du, dass Dich mit Deinem Partner mehr verbindet, als ihn umgekehrt mit Dir. Deshalb kann wahre Liebe in diesem Fall ohne die übliche Wut oder Ego-Gehässigkeiten loslassen. Auch wenn dies dann sehr traurig ist, ist die Liebe dann wohlwollend und klammert nicht bedürftig. Sie braucht den anderen nicht und erkennt: es ist das Bestmögliche für alle.
Das ist deshalb nicht mit Selbstlosigkeit zu verwechseln. Im Gegenteil, wie ich oben schon schrieb: erkenne Dich selbst. Und erkenne den anderen Menschen. Lasse ihn einfach sein. Wie er ist. Nimm ihn an oder lass ihn ziehen. Du kannst ihn vielleicht sogar trotzdem weiter lieben, weil Du trotz allem Anderen das Gute und Schöne in ihm erkannt hast und es wenigstens für Dich in gewisser Weise bestehen bleibt. Auch wenn der Rest nicht mehr passt. Deshalb ist wahre Liebe frei von konditionierten Vorstellungen, wie der andere Mensch zu sein hat.
Genauso wie Du umgekehrt sein willst, wie Du bist - und dafür bedingungslos geliebt oder gemocht werden willst. Das ist die Authentizität, die Liebe braucht. Und wenn dieser Zustand von beidseitigem, bewusstem Fühlen herrscht, dann erkennt der eine Mensch in dem jeweils anderen die ungespielte seelische Schönheit oder Energie, die aus ihm heraus strahlt. Das kann zur fühlenden Erkenntnis von echter Nähe und Vertrautheit wachsen. Das ist der berühmte Gleichklang. Dann ist es Liebe. Und deshalb braucht Liebe Zeit für diese Erkenntnis, abseits von projiziertem Wunschdenken, das schnell enttäuscht werden kann. So wie das bei vielen Verliebten nach den ersten Monaten oft leider passiert.
Bei Liebe wird der harmonische Gleichklang nicht leiser. In der Praxis bedeutet das: Der Mensch wird Dir nicht langweilig. Du fühlst Dich seelisch verbunden. Das ist dann nicht die (unmögliche) Komplettierung des Ego, sondern in Wahrheit eine Erweiterung des eigenen Selbst, Deiner wahren, unkonditionierten Natur.
Bei dieser liebenden Verbundenheit ist Sex nur eine Form, dieses wohlige Vertrauen auszudrücken, zu erleben und zu erweitern. Sex ist die größtmögliche körperliche Verbundenheit, die möglich ist. Echte Verbundenheit schaffen nur Siamesische Zwillinge.
Eigentlich sollte man es daher korrekterweise "Nähe" nennen. Es ist das gegenseitige sich Nahe-Fühlen, das man auf vielerlei Weise, auch abseits von Sex, teilen und genießen will und das man in den anderen Menschen als Gefühl der Leidenschaft fließen lässt.
Ich habe für mich verstanden, dass Liebe also die Energie ist, die wie auch die (Lebens-)Freude aus Deiner Selbstliebe und somit aus Dir heraus in die Welt fließt. Du lässt sie in die Dinge fließen, die Du "liebend" gerne tust. Oder in die Menschen, die Dir nahe stehen. Es ist die unerschütterliche fühlende, positive Erkenntnis, mit dieser Welt und mit sich selbst, abseits von Ego-Verwirrungen, eins zu sein. Und im Idealfall bekommst Du dieses Gefühl zurück gespiegelt.
Also erwarte nicht zuviel. Und verschluck Dich nicht mehr an den scheiß Schmetterlingen!