Gnadenlose Ehrlichkeit
Die Partnersuche im Internet stellt Frau und Mann immer wieder vor beträchtliche Probleme. Insbesondere das Fehlen der nonverbalen Kommunikation und die erhebliche Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten der schriftlichen Selbstdarstellungen sowie der daraus resultierenden Erwartungshaltung führen zu mancherlei Schwierigkeiten.
Berlin, 10.6.
Kurt Meier las den Inhalt des vielversprechenden Profils bei
knattermich.de sicher zum hundertsten Mal und qualmte dabei aus allen vorgesehenen Öffnungen. Neben den beträchtlichen körperlichen Vorzügen der Dame, schienen auch die geistig-moralischen Auffassungen mit seinen eigenen hohen Ansprüchen völlig kompatibel.
„Das Wichtigste in einer Beziehung“, stand da zu lesen,
„ist mir Ehrlichkeit. Diese und Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander sind die Basis einer jeden guten Partnerschaft. Ich bin immer und unter allen Umständen ehrlich. Zu mir selber und auch zu Anderen. Mag sein, dass daran schon manche gute Freundschaft zerbrochen ist, aber dann war es eben keine gute Freundschaft. Freundschaft muss das aushalten. Partnerschaft erst recht. Wer meine Ehrlichkeit nicht ertragen kann, sollte gleich weiterklicken und sich eine andere suchen. Gibt ja genug hier, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.“
Wieder einmal war Kurt froh, den Laptop damals aus den gierigen Fängen der Gerichtsvollziehertussi gerettet zu haben. Er blätterte noch einmal zurück zu den Bildern und schnalzte mit der Zunge. Das war doch mal eine Prinzessin nach seinem Geschmack. Für die feucht glänzenden Ü18 Mösenbilder hatte er extra ein teures Monatspremium gekauft und die Fotos natürlich sofort kopiert. Für später. Man wusste ja nie.
Gut, bei genauerer Betrachtung gäbe es an der Dame schon die eine oder andere Kleinigkeit auszusetzen. Die Titten schienen ein bisschen zu hängen und die linke Brustwarze schielte etwas nach außen. Dafür war die rechte Brust unwesentlich größer. Den kräftigen Hintern fand Kurt jedoch verlockend und an der stoppeligen Bärbel konnte man noch was tun. Die Falten am oberen Ende des Dekolletés passten nicht recht zum angegebenen Alter, aber Gesichtsfotos gab es ohnehin keine. Den dies begründenden Absatz im Profil kannte Kurt auswendig und gedachte ihn in Kürze in seiner eigenen Selbstdarstellung einzusetzen.
„Für Dich ist das erste Date immer ein Blind-Date, erspare mir also das Gejammer nach einem Gesichtsbild, denn ich gebe keine Bilder aus der Hand. Von Dir erwarte ich selbstverständlich spätestens beim Anschreiben ein Face-Pic und ein Body-Pic. Ich kaufe keine Katze im Sack.“
Mit dieser Aussage war er völlig einverstanden. Man wusste ja, wohin das führt. Das Internet vergisst nichts und er selbst hatte aus ähnlichen Gründen nur Bilder seines besten Stückes veröffentlicht. Dass Photoshop dabei Pate gestanden hatte, musste Mann nicht erwähnen. So ein bisschen Schummeln ist noch nicht gelogen.
Vorsichtshalber hatte Kurt schon vor Wochen mal ein Match auf die Dame gesetzt und seitdem Tag für Tag jeweils fünf ihrer dreiundvierzig Fotos geliked. Bei den letzten Dreien hatte er sich gar zu je einem Kommentar verstiegen. Mit überzeugender Ehrlichkeit postete er unter dem ersten der drei Bilder:
„Hübsche Monstertiten, das sie ein wenig hängen, stört mich nich im geringsten.“
Na, wenn diese aus tiefstem Herzen kommende Anmerkung seine lauteren Absichten nicht transportieren konnte, ja, dann wusste er auch nicht mehr.
Und weiter, das nächste Foto:
„Ganz süße Möse. Da würd ic gärn mal dran schleggn. Muss aber vorher bissl besser rasiert werdn.“
Das war der Durchbruch. Zweifellos. Aber besser noch einen draufsetzen. Also Numero drei:
„Ich maks, wenn die ärsche der Mädels bischen fetter sind. Gibt nix schlimmeres als wie so ne vertrockenede, faltige Haut.“
Nun, freute sich Kurt, werde ich ein Anschreiben entwerfen, dem sie nicht widerstehen kann. Auf die Antwort bin ich schon gespannt. Er kopierte seinen Standardtext in das Mailfenster und drückte auf „Senden“.