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Alternative Fakten oder Oktoberdepression im Hause Meier

*********zier Mann
1.026 Beiträge
Themenersteller 
Alternative Fakten oder Oktoberdepression im Hause Meier
Nein, das ist kein verspäteter Beitrag zum hocherotischen Schreibwettbewerb, nur ein kleiner Blick auf eine mögliche andere Realität. Da ich als Autor ja bekanntlich außer Satire nix kann, darf auch hier wahlweise gelacht, verkniffen gegrinst oder mit zusammen gebissenen Zähnen geschnaubt werden.



Berlin, 24.10.

Ich starre durch die nikotingelben Gardinen auf den nebelgrauen Oktobertag. Die versiffte Kaffeetasse noch in der Hand, drücke ich die elfte Selbstgedrehte im übervollen Aschenbecher aus. Mein schmuddeliges Unterhemd hängt über der müffelnden Boxershorts und ich schlurfe ins Bad. Während ich pullere und mich dabei in dem halbblinden Spiegel mustere, überfällt mich mein Spiegelbild mit der Frage, ob ich mal wieder duschen sollte.

„Wozu?“, frage ich zurück.

„Könntest dir dabei einen schütteln“, antwortet mein Gegenstück hoffnungsfroh. Ich nehme das wörtlich und schüttele. Auch meinen Kopf. Ein paar Tröpfchen fliegen umher, aber wen scherts.

„Davon wern die Depris ooch nich bessa und wer wees, ob dat Teil überhaupt noch steht. Is ja schon ne Weile her… Also wozu?“, beharre ich.

Der Spiegel beschließt das Thema zu wechseln. „Det Jeld vonna Stütze ist schon wieder alle. Wir haben erst den 22. und keen Tabak mehr…“ Ich seufze tief.

Es klingelt an der Haustür. Ich öffne sie und sehe, wie eine sexy gekleidete Dame mit einem Koffer in der Hand die steinernen Treppenstufen heraufkommt. Das Gepäckstück sieht, verdammich, genau so aus, wie dieser Sextoy-Koffer, für den sie im Internet soviel Reklame machen und den ich mir nie werde leisten können. Das Dingen soll es ja in sich haben. Handschellen, Peitschen, Dildos und was weiß ich noch alles. Sicher bin ich aber nicht, hab ja noch keins von den Teilen in der Realität gesehen. Jedenfalls könnte es sich lohnen, das ganze Zeug locker an der MILF zu testen, die da gerade die Stiege hochschlappt und ne Wolke billigen Nuttendiesel vor sich herschiebt. Mir läuft das Wasser im zahnlosen Munde zusammen.

Ich erwarte die Braut auf dem Flur und betrachte mit erwachender Neugier ihr geiles Fahrgestell und die gepuschten Monstertitten im tief ausgeschnittenen Kleid.

„Sind sie Herr Kurt Meier?“ strahlt sie mich an.

Ich kratze mich mit der Linken am Sack, während ich mit der Rechten durch den grau-schütteren Neun-Tage-Bart wuschele. Kurzerhand ziehe ich einen vorübergehenden Identitätswechsel in Betracht, denn ein bisschen Misstrauen ist sicher nicht unangebracht.

„Und wenn? Wat willze von dem?“, pflaume ich sie argwöhnisch an.

Sie bleibt etwa drei Stufen unter mir stehen und hat damit freie Aussicht auf meine haarigen Oberschenkel, eine Perspektive, die ihr offenkundig sehr behagt, denn sie hebt ehrfürchtig die Augenbrauen. Sie leckt sich die ohnehin schon feuchten Lippen, als sie meiner nicht ganz frischen Boxershorts gewahr wird. Wohl in freudiger Erwartung des Inhalts. Ihr Kopf wäre gerade in passender Höhe.

Ich starre in das tiefe Dekolletee mit den Turbomöpsen. Lange verschüttete Erinnerungen werden in mir wach. Dies, in Verbindung mit dem mutmaßlichen Kofferinhalt, hebt meinen Pullermann langsam aber sicher auf Halbmast und eine leicht gelbliche Beule entsteht auf dem Schlüpper. Ich wippe ein wenig auf den Zehen. Das macht größer, schindet Eindruck und unterstreicht meine natürliche Dominanz.

„Sind sie nun Herr Meier, oder nicht?“ Sie ist erkennbar verunsichert von meiner Präsenz und schnüffelt unentwegt mit leicht geblähten Nasenflügeln, wie mein Hund früher, wenn er eine läufige Töle irgendwo witterte. Ihr Blick fixiert meine Boxershorts und ich bin sicher, da ist Gier in ihren Augen.

„Dat sind die Pheromone,“ flüstere ich mir zu. „Klara Fall, die Torte riecht, det ick rattich bin und will jeknattert werdn.“ Mein Entschluss ist gefasst.

„Jestatten: Kurt Meier. Komm rin, Schnegge und mach et dir jemütlich! Ick zieh ma nua schnell wat leichteres an. Trinkse en Bier mit?“, lade ich sie mit meinem strahlendsten Lächeln ein.

„Nicht notwendig“, antwortet sie in einem Tonfall und mit einer Stimme die mir die Nackenhaare aufstellen. Langsam und mit laszivem Augenaufschlag öffnet sie ihren Koffer. Während ich mit offenem Mund in Schockstarre gerate und mir der Geifer aus dem linken Mundwinkel tropft, entnimmt sie dem Behältnis - einige Papiere.

„Mein Name ist Carola Kling und ich bin Gerichtsvollzieherin am Amtsgericht Tiergarten. Ich habe hier einen vollstreckbaren Titel gegen sie und fordere sie zur Zahlung von 248,23 € auf. Ansonsten müsste ich zur Pfändung schreiten.“ Lüstern richtet sie ihre Augen auf meinen nagelneuen Aldi-Laptop.

„Scheiße!“
krass
warum hast du das nicht in den WB rein
das hätte dir garantiert den Koffer gebracht
*******n69 Mann
6.845 Beiträge
@Der_Patrizier
Super, ich habe herzlich gelacht. Danke.
Mal wieder ein grandioses Stück Zeitgeschichte. Ja genauso könnte es sein.

Ich habe einen langjährigen Freund der (leider) inzwischen so gestrickt ist.
Seit seine demente Frau im Heim ist lässt er sich gehen und blendet die
Realität aus. Läuft genauso rum, ist inzwischen unästhetisch Fett aber sucht
für Weihnachten/ Silvester eine attraktive Reisebegleitung.
Ach ja und vergrault alte Freunde und verbittet sich jeglichen guten Rat.
Gruß Peter
*********zier Mann
1.026 Beiträge
Themenersteller 
Ja, die reale Welt ist manchmal anders
@*****Pan
So isses im wirklichen Leben. Wir wollen es nur manchmal nicht wahrhaben.

@****ah
Solange ich zwei gesunde Hände hab, kommt mir kein Koffer ins Haus. *ggg*
*********zier:
Solange ich zwei gesunde Hände hab, kommt mir kein Koffer ins Haus. *ggg*
*schmoll* und was ist mit deinen Lieben, die sollen doch auch was davon haben
***69 Paar
27 Beiträge
Lieber Patrizier,
mit einem Wort: sensationell!!!
Dieser Beitrag gehört wirklich in den Wettbewerb.
Das würde so manchem dort geposteten Beitrag (incl. dem meinen) die literarischen Grenzen aufzeigen *lol*
LG
Helmut
*****169 Frau
6.194 Beiträge
Wieder mal
... ein heimtückischer Anschlag, welcher auf unvorbereitete Bauchmuskeln trifft *mrgreen*

Leider oft tatsächlich bittere Wahrheit, aber ...

... grandios umgesetzt in einer fein gezeichneten Real-Satire *hutab*
Toll einfach nur Klasse!
einiges davon finde ich auch bei mir wieder *ja*
Oktoberdepression auch bei mir *kopfklatsch* *zwinker*
Und ich dachte ...
.... Satire sei auf Joy im Forum nicht erlaubt *lach*

Geht doch! Und wie *top*

Dass ich das noch erleben darf, hier heftig einen abzuschütteln ... Vom Zwerchfell!

Klasse!
Vielen Dank!
******s23 Frau
12.726 Beiträge
*haumichwech*

Das schießt echt den Vogel vom Baum lieber Patrizier... *anbet*
Vollangriff auf jedwede Muskulatur....
Ich kann grad nicht mehr ... 🤣
Ein Prachtstück *ja* .... neee nicht das auf halbmast stehend Hängende - sondern diese Story. *lol*

🌹Danke fürs versüßen des Abends.
*smile* *knuddel*
Bravo
*bravo* *top* und *top2*

Watt hab ick jelacht.... Suhpaaa...

Im Ernst: Selten eine so schöne und treffsichere Persiflage gelesen, lieber Patrizier. M.E. gehört das unbedingt in den Wettbewerb (aber der ist ja leider schon geschlossen).
Ich stimme zu; das gehört in den Wettbewerb.

Was die Firma Joy und Lila allerdings mit ihrem fliegenden Koffer nicht erfreuen wird ... *grins* Die Erzählung verfehlt, wenn auch nur haarscharf, die MarketingStrategie ... *lol*
****s_T Frau
1.128 Beiträge
*lach* 👍
Ich bin dafür ...
... Dass Du für diese Leistung einen extra Preis bekommen müsstest.

Ich gebe Dir alle meine Punkte vom Wettbewerb, und irgendwo müsste ich noch auf dem Speicher einen Koffer finden, den mein GroßOnkel mütterlicherseits nach der Flucht vor den Russen 1941 über den Don hievte. Und was sage ich, ich lege noch ne Banane dazu. Na, ist das ne Alternative zum Literaturwettbewerb?

Komisch, ich hatte hier vielmehr Spass!
Nochmals Danke!
*********ynter Frau
9.803 Beiträge
Ero-disch
Wer sagt eigentlich, dass Mann immer und überall rasiert zu sein und gepflegt auszusehen hat?
DerPatrizier beweist in unnachahmlicher Art das Gegenteil, treibt nicht nur mir dabei die Lachtränen in die Augen und sorgt für effizientes Muskeltraining (besser als jedes *pumpi* Bauch-Beine-Po-Programm) in der Bauchregion.

Großartig und hochero-disch *haumichwech* und ja - dafür sollte es auf jeden Fall einen Sonderpreis geben *ja* *anbet*
*********zier Mann
1.026 Beiträge
Themenersteller 
Jesses, da ist man mal einen Abend nicht da...
... und schon quillt der Postkasten über. Als Mann erlebt man solcherlei im

*joyclub*

ja eher selten. Also zunächst einmal: Allen Lesern, "Roteknopf"-Klickern und besonders den Kommentatoren ein ganz herzliches Danke.

Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen: Die Geschichte war nicht als Wettbewerbsbeitrag vorgesehen. Ich hatte das eingangs des Posts auch erwähnt, verhehle jedoch nicht, dass der Contest sie beeinflusst hat. Wenn ich mich allerdings daran hätte beteiligen wollen, wäre Zeit genug dazu gewesen.

Inhaltlich gehört meine Story dort auch nicht hin, denn wie https://www.joyclub.de/profile/4034132.clairvaux.html aus meiner Sicht völlig richtig anmerkt, war die Zielrichtung des Wettbewerbs offensichtlich und für jeden erkennbar eine andere.

Dass die wenigen kritischen Stimmen dazu von einem Tag auf den anderen, sang- und klanglos verschwunden waren, obwohl sie schon einiges an Zustimmung erfahren hatten, missfällt mir zwar. Ich betrachte dieses Handeln jedoch als legitim, wenngleich unglücklich. Wir befinden uns hier auf einer kommerziell betriebenen Plattform. Mit der Veröffentlichung meines Textes außerhalb des Wettbewerbs hat das aber nichts zu tun.

Ich wollte mit meiner Geschichte daran erinnern, dass unser aller virtuelles Leben vorwiegend aus feucht schimmernden Hochglanz-Bildern besteht, die auch von Menschen wie diesem fiktiven Kurt Meier, der seinen Aldi-Laptop nicht bezahlen kann, konsumiert werden.

Seit ich 1999 in einer schlaflosen Nacht und mit Hilfe einer Flasche Rotwein unter dem Nick "SX-Maus" den ersten Chatroom entdeckte, weiß ich, dass die schöne Welt des Scheins vielfach aus Lug und Trug und Vorspiegelung falscher Tatsachen besteht. Ich habe Tränen gelacht, damals. Man kann also in dieser Welt eine Menge Spaß haben.

Diesen will und werde ich keinesfalls vermiesen, aber trotzdem hin und wieder zum Wecken blasen. Auch das ist legitim und ich finde sogar notwendig, wie wir am Beitrag von PeterPan69 erkennen können. Nicht jeder kann so einen Weckruf hören und so mancher will es auch gar nicht. Trotzdem sollten wir es weiter gelegentlich, aber beharrlich tun.

Ich schließe meinen ausnahmsweise einmal recht philosophischen Beitrag mit der herzlichen Bitte auf Verzicht von Sonderpreis-Wünschen. Der Beifall der Leser ist mir Lohn genug. Diejenigen, die sich mit solcher "sozialkritischen Story in der Welt des Hedonismus" (Originalton eines CM-Schreibers) nicht anfreunden können, bitte ich um Vergebung. Aber so ist nunmal das Leben.
Keine Beschreibung angegeben.
*******W49 Mann
761 Beiträge
Eine amüsante Satire!
Beim Lesen musste ich herzlich lachen über das innere Scheinen und dem äüßeren Sein des unwiderstehlich erotischen Helden. *lol* *lol* *lol* Ein echtes Zuckerstückchen! *spitze* Vielen Dank dafür!
****ha Frau
6.263 Beiträge
Story und Erklärung: *top2*
*********zier Mann
1.026 Beiträge
Themenersteller 
Das war das 50. "Danke", Cashala
darüber freue ich mich besonders. Den Wettbewerb hätte ich damit zwar nicht gewonnen, aber für eine Geschichte ist es schon eine Menge Holz. *kuss*
****ha Frau
6.263 Beiträge
Innerhalb des Wettbewerbes hättest Du aufgrund der vielzähligeren Leserschaft sicher mehr "Danke" gehabt.

Wettbewerb hin oder her:
Danke für dieses Amüsement. *blumenschenk*
**********ker07 Frau
18.105 Beiträge
Ich liebe es, wenn es erst in der letzten Minute eine unerwartete Lösung gibt *haumichwech*
*******ing Frau
452 Beiträge
Product-Placement;-)
@*********zier
Einfach nur herrlich!

Beim Lesen sah ich Meier en Detail vor mir, den Dialekt habe ich jetzt noch im Ohr (Heimaterinnerungen.
Beim Dialekt ! Nicht beim netten Herrn Meier;-)

Und dem Product-Placement des begehrten Koffer samt Inhalt einen Gerichtsvollzug entgegengesetzt.

Erstklassige Brücke ...kann mit Grinsen gar nicht aufhören.

Danke für diese Koffer-Geschichte!
*********zier Mann
1.026 Beiträge
Themenersteller 
Neues aus der Mietskaserne
In etlichen Gesprächen und Clubmails bin ich in der kürzeren Vergangenheit gefragt worden, ob man diese Art Geschichten nicht fortsetzen könne. Ich bin eine Weile in mich gegangen, habe Ideen gesammelt und werde in Kürze eine weitere Erzählung dieses Genres anbieten. Sie trägt den Titel

Rothütchen und der Wolf

Sie spielt ebenfalls abseits der hedonistischen Hochglanzwelt und spiegelt wider, was einen Teil der Menschheit so umtreibt. Wer also mag, kann in Zukunft hier mitlesen, wie es in der Mietskaserne zugeht.

Viel Vergnügen damit.
*********zier Mann
1.026 Beiträge
Themenersteller 
Rothütchen und der Wolf
Das Leben ist kein Zuckerschlecken und so manche(r) tut sich schwer damit gegen seine Lebenserfahrungen anzukämpfen. Dass die Räder dadurch nur tiefer einsinken und der Karren sprichwörtlich eines Tages im Dreck stecken bleiben wird, ist oft nicht ohne weiteres zu erkennen. Wohl dem, der echte, reale Freunde hat, die dem Wortsinn auch gerecht werden, sprich: die Kraft haben, einen gelegentlich in den Hintern zu treten. Von den virtuellen achthundert Best-Buddies siehst du die meisten nicht einmal zu deiner Beerdigung. Was das mit dem folgenden Text zu tun hat? Nichts. Aber so ein wenig philosophisches Geschwätz zu Beginn einer Geschichte kommt immer gut.


Berlin, 13.2.

Elvira Rothut, von Freund und Feind gerne Rothütchen genannt, feierte in diesem Jahr ihren Siebenundfünfzigsten. Seit gut drei Jahren war sie arbeitslos, denn damals kreiste der Pleitegeier über dem Maklerbüro, für das sie tätig und mit dessen Chef sie in einem Anfall von Wahnsinn die Ehe eingegangen war. Dass Lebensstil und geschäftlicher Erfolg nicht zusammen passten, hätte ihr auffallen können, wenn sie denn ein Auge dafür gehabt hätte.

Bei schummrigem Licht und ein bisschen aufgebrezelt sah Elvira allerdings keinen Tag älter aus als neunundvierzig. Das wurde ihr gerade neulich wieder von so einem Milchbubi bestätigt, der sie in ihrer Stammkneipe, der Sonder-Bar angegraben hatte. Er wollte schon immer mal so eine tolle MILF abschleppen, hatte er unumwunden zugegeben und außerdem stehe er auf ältere Frauen, sogar wenn sie nicht mehr ganz so taufrisch seien. Elvira ließ ihn ziemlich kalt abblitzen, nachdem sie zunächst wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft geschnappt und die Backen aufgeblasen hatte. Sie brauchte keine Kneipenbekanntschaften. Das Netz war voll von knackigen Burschen, die sich alle zehn Finger nach ihr schleckten. Klar, sie hatte schon bessere Tage gesehen, aber so was wie dieser Youngster neulich spielte nicht in ihrer Liga und passte nicht im Geringsten in ihr Beuteschema.

Sie nahm noch einen Schluck von dem schal gewordenen Kaffee und verdrängte die trüben Erinnerungen. Ihrem aufgesetzten Selbstbewusstsein taten ihre temporär misslichen Umstände keinen Abbruch, wenngleich das Leben in den letzten Jahren anscheinend vorwiegend Zitronen für sie bereithielt. Natürlich traf sie daran keine Schuld. Im Gegensatz zu den anderen Hartzern hier in der Platte konnte sie auf eine gewisse Bildung und – ja, man darf es wohl so nennen -, intellektuelle Prägung zurückblicken. Die Hausbewohner betrachtete sie darum mit der gerechten Herablassung des Besserwissenden. Bei diesen Elendsgestalten durfte man sich nicht wundern, dass sie es zu nichts brachten und von Stütze leben mussten.

Sie selbst hatte seit Jahren immer auf die falschen Typen gesetzt, aber das konnte man ihr schließlich nicht vorwerfen. Der letzte Kerl hatte sie im Verlauf der Scheidung, vor knapp zwei Jahren, bis aufs Hemd ausgezogen und schlussendlich durfte sie froh sein, ihn von der Backe zu haben, diesen Loser. Die Schulden würde sie ohnehin nicht bezahlen können, also ging sie anschließend in Privatkonkurs. Sollte er glücklich werden, mit seiner Neuen, einer zwanzig Jahre jüngeren Fotze. Der Arsch. Sie würde schon Ersatz finden. Den Kerlen tropfte doch der Geifer, wenn eine wie sie auftauchte.

Im Handumdrehen war sie bei etlichen Single-Börsen und Erotikportalen, von friendship.net bis knatter-mich.de, angemeldet und harrte der sensationellen Dinge, die nun todsicher bald kommen mussten.

Im Moment läuft es noch nicht so gut, dachte sie. Naja, genau genommen läuft es von Anfang an beschissen. Viel Spreu und wenig Weizen, doch das wird sich ändern. Man muss positiv denken. Irgendwo wartet Mister Right. Er muss nur gefunden werden.

Auf den gelegentlichen Hedonistenpartys, für die sie sich das Eintrittsgeld buchstäblich vom Munde ab sparte, sah es genauso beschissen aus. Jede Menge Blender. Die roch sie schon Meilen gegen den Wind. Wenigstens fanden sich immer ein paar Jungs, die ihre Drinks bezahlten und nach dem dritten Cocktail wurde es meistens recht lustig.
Gott sei Dank, wenigstens die einschlägigen Clubs waren für Frauen kostenlos. Man konnte sich nach Herzenslust satt essen und trinken und im günstigsten Fall gab es noch einen mehr- oder minder guten Fick als Zugabe. Wenn nicht – auch kein Problem. Schließlich war sie ja nicht bedürftig und hatte die freie Wahl.

Ihre diversen elektronischen Postfächer quollen bald über vor Angeboten und sie sah sich schnell genötigt, ein Lastenheft zu erstellen, eine Ankreuzliste, auf der zumindest die unabdingbaren Voraussetzungen postuliert waren. Dieser Liste fielen meist schon mehr als achtundneunzig Prozent der Schreiberlinge zum Opfer. Deren Post beantwortete sie gar nicht. Der Rest kam in die Feinfilterung und wenn sie damit fertig war, blieb - leider - in der Regel nichts.



An diesem trüben Wintermorgen, das Frühstück, bestehend aus vertrocknetem Toastbrot und billigem Aldi-Kaffee, ist noch nicht verdaut. Elvira, ungewaschen, etwas übernächtigt und frustriert von der langen Nacht in ihren Lieblings-Chatrooms, raucht bereits die vierte Kippe. Sie bemüht sich redlich, mit dem raubkopierten Fotoshop ein paar freizügige Selfies aufzupimpen, die sie heute als zusätzlichen Anreiz ins Netz stellen wird. Sie spielt mit dem Gedanken, die Qualmerei aufzugeben. Einfach zu teuer. Schlimm genug, dass sie ihren Flurnachbarn, diesen schmierigen Kurt Meier, bei dem die Gerichtsvollzieher aus und ein gehen, von Zeit zu Zeit anschnorren muss. Zudem will der Idiot jedes geborgte Gramm Tabak zurückhaben. Mit Zinsen. Die Alte von gegenüber, Camilla oder so ähnlich, rümpft auch immer die Nase, wenn sie über den Flur schleicht. Rauchen sei ungesund, wird sie nicht müde zu wiederholen.

Es klingelt an der Haustür. Elvira öffnet sie und sieht, wie ein adretter Typ im sauberen Blaumann mit einem Koffer in der Hand die steinernen Treppenstufen heraufkommt. Sie bleibt in der halbgeöffneten Tür stehen, rafft den dünnen, schäbigen Bademantel vor der Brust zusammen und schiebt schnell noch eine fettige Haarsträhne hinters Ohr. Auf den ersten Blick scheint der Blaumannträger gar nicht so übel. Groß, dunkelhaarig, gute Figur, Südländer vielleicht. Dem wird sie gleich einmal auf den Zahn fühlen.

Der Besitzer des Koffers hat indessen den Treppenabsatz erreicht und richtet das Wort an Elvira:

„Sind Sie…?“, beginnt er, wird aber sofort mit keifender Stimme und der Eloquenz, die frau nach etwa tausend genossenen Folgen von „Das Familiengericht tagt“ zur Rächerin der Enterbten qualifiziert, eingebremst:

„Bevor du überhaupt den Mund aufmachst, hör dir gefälligst erstmal an was ich zu sagen habe oder bist du auch einer von den Typen die eine Frau nie ausreden lassen? Ich kanns auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihr Kerle schon beim ersten Blick nur an das Eine denkt. Als Frau habe ich schließlich auch Ansprüche und ich kann wohl erwarten, dass diese berücksichtigt werden. Schließlich habe ich studiert und muss mich nicht mit jedem Erstbesten abgeben. Ich treffe mich nicht mit Männern außerhalb meines Beuteschemas, damit das gleich klar ist. Wenn du jünger als 42 oder älter als 43 bist, kannst du gleich wieder abrauschen. Mit gebundenen Kerlen fange ich nichts an. Also schwirr ab zu Frau und Kind, wenn du zu dieser Kategorie gehörst.“

An der Stelle geht Elvira die Luft aus und sie holt tief Atem. Ihr stattlicher Busen hebt sich und der Mann mit dem Koffer sieht eine Gelegenheit den Redefluss zu unterbrechen. Mit wichtiger Miene legt er seine Stirn in Falten und streckt den Zeigefinger in die Luft:

„Ich komme…“, doch zu spät, Elvira reagiert sofort auf das Reizwort.

„Aha du gehörst also zu der Sorte, die schon kommt, wenn frau noch nicht mal warm geworden ist. Solche Burschen wie du stehen auf meiner „Geht-gar-nicht-Liste“ ganz oben. Wenn du nicht mal warten kannst bis das Vorspiel eingeläutet wurde, brauch ich weder dich noch deinen Scheißkoffer. Ich bin anspruchsvoll und habe meine Vorstellungen von einem Kerl, wie man das von einer Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, auch erwarten kann. Ein bisschen Rücksichtnahme auf die weiblichen Bedürfnisse ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Darüber hinaus schadet es nicht, wenn Mann ein paar Gramm Hirn in der Rübe hat und nicht nur mit dem Schwanz denkt. Schließlich will ich mich nach dem Sex ja auch noch gepflegt unterhalten. Ein Nichtraucher kommt übrigens überhaupt nicht infrage. Keine Lust auf moralinsaure Vorträge, wenn ich nach dem Pimpern noch eine qualmen will. Eine sportliche Figur, ein BMI von unter fünfundzwanzig sowie die Fähigkeit auf gesellschaftlichem Parkett zu glänzen sind ja wohl Selbstläufer und müssen nicht extra erwähnt werden. Ich stehe nämlich auf Männer in Anzügen. Ach so und ehe ich es vergesse: Haare sind nur auf dem Kopf eine Zier. Sonst wo am Körper haben sie nichts verloren.“

Neuerliche Sauerstoffknappheit nötigt Elvira zu einem weiteren Atemzug und der Besucher riecht eine zweite Chance, sein Anliegen vorzutragen:

„Ich wollte…“ Weiter kommt er nicht, denn Elviras rauchgeschädigte Lungen füllen sich blitzartig wieder und sind somit mühelos in der Lage, den benötigten Luftstrom an die Stimmritze abzugeben.

„Haha! Du wolltest? Ja das denke ich mir. Jeder von euch Lumpen will irgendwas. Zuhören ist nicht. Immer erst mal die eigenen Wünsche durchsetzen aber so läuft das nicht bei mir. Ich habe die Muschi, also darf ich auch bestimmen und zur Abwechslung hörst du mir nun mal zu und ich setze dir meine Wünsche auseinander: ich stehe auf Big Dicks und wenn du keine 22x6 Zentimeter vorweisen kannst, hast du die Arschkarte gezogen. Zu den Techniken, die für mich unabdingbar sind, gehören: küssen, Cunnilingus, streicheln, Massagen, harter Sex, Anal, Squirting, Handjob und Jüngere. Was gar nicht geht, damit du das auch gleich weißt, ist Fetisch, Nylons, Strip und Fisting. Keine Tattoos. Ich suche nicht, denn ich werde gefunden und das ist ein für allemal mein letztes Wort zu diesem Thema.“

Der Mann mit dem Koffer wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß ab, während Elvira nach Luft schnappt. Er dreht sich wortlos um und macht Anstalten die Treppe wieder hinabzusteigen. Elvira starrt ihm atem- und verständnislos hinterher.

„Was wolltest du nun eigentlich, Koffermann?“, keucht sie.

„Mein Name ist Ede Wolf“, antwortet der Besucher und dreht sich noch einmal halb um. „Ich bin Installateur und soll im Auftrag der Hausverwaltung ihren Gasanschluss prüfen. Aber zu unserer besseren Kundschaft geht mein Chef gerne selbst. Der ist auch fürs Rohrverlegen zuständig. Ich sag ihm Bescheid, er meldet sich dann.“ Wolf rumpelt kopfschüttelnd davon. Der Koffer rattert am Treppengeländer entlang.

Elvira knallt die Tür hinter sich zu, steckt sich eine weitere Kippe an und widmet sich wieder ihren Bildern. „Na, dem Vollpfosten hab ich mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Wohin du schaust, nur Pfeifen. Ja, verpiss dich du Lusche und schick mir deinen Chef. Dich setz ich auf Igno, zu den andern dreihundertvierundsiebzig Jammerlappen. Mal sehen, was es im Netz Neues gibt.“
**********eil60 Mann
76 Beiträge
Einfach
grandios!!!!! Wie nicht anderst gewohnt von Dir😀. Weiter so, bitte👍
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