Was ist Vergebung?
An den Themenersteller; sei an dieser Stelle erstmal ehrlich zu Dir selbst, anstatt es wieder allen anderen recht machen zu wollen:
Liebst Du Deine Frau? Oder beschäftigt Dich mehr als die verlorene Liebe die gewonnene Kränkung? Das Gefühl nicht genug geleistet zu haben oder versagt zu haben? Bedenke wie Du beschreibst, wie Du sie aufgrund Deines Rollenbildes und Anspruchsdenkens hinten angestellt hast. Und nirgendwo in Deinem Eingangstext lese ich das Wort Liebe. Was alles kein böser Vorwurf sein soll, sondern vielmehr die ernsthafte Frage an Dich selbst, was Dir Deine Frau, eure Beziehung und die Familie bedeutet? Wieviel bist Du bereit dafür zu geben? Wieviel kannst Du noch geben? Mache Dir auch klar, dass "alles geben und leisten" nicht gleichbedeutend mit Qualität ist und dieser Zustand schnell zur Selbstaufgabe und zum Burnout führen kann.
Wir haben oft das Ideal von bedingungsloser Liebe im Kopf. Oder die irrige Meinung, dass man für Liebe kämpfen und Opfer bringen muss. Dann die Ansprüche an die eigene Rolle. Letztendlich sind das alles Konzepte, die uns das Leben schwer machen können. Es geht immer um die Balance im Leben. Es gehören eben immer zwei Partner dazu und es gibt schlicht Dinge, die die Grenzen des einen so stark verletzen oder ein so starkes Ungleichgewicht erzeugen, dass eine Beziehung schlicht nicht mehr möglich ist. Du bist gerade an dem Punkt das alles für Dich zu erfahren und zu klären und Du darfst Dir da nichts vormachen. Denn das wird früher oder später extrem ungesund, wenn Du weiter zu "funktionieren" versuchst. Und diesen Eindruck habe ich.
Akzeptiere: Es gab einen schwerwiegenden Vertrauensbruch und viele Lügen. Im Grunde weißt Du damit längst genug, um für Dich entscheiden zu können, ob Du in der Situation Deiner Ehe bleiben willst oder ob Du Abstand brauchst. Du spürst längst, ob Du Dich wohlfühlst oder nicht. Denn auch wenn Du das aktuell vielleicht nicht wahrhaben willst: das sind die wirklich entscheidenden Fragen, die Du Dir stellen musst und die nur Du beantworten kannst. Du musst Dir Dir zuliebe eine Situation schaffen, in der Du heilen und vergeben kannst. Das ist die wichtigste Entscheidung, die Du derzeit treffen musst: Kann es so weitergehen? Fühlt es sich für Dich gesund an? In einer Situation die Dich vergiftet, kannst Du nicht heilen. Und eine kaputte Beziehung somit auch nicht.
Erst wenn das in Dir ehrlich geklärt ist und Du den ersten handelnden Schritt getan hast, damit es Dir langsam wieder besser geht, wirst Du für euer Kind so da sein können, wie Du Dir auch Deine optimale Präsenz als Familienvater vorstellst. Um diese Entscheidung für Dich ehrlich erfühlen und beurteilen zu können, ist es auch wichtig zu berücksichtigen, inwiefern seitens Deiner Frau klar geredet wurde, um eherettend, fair und ehrlich zu sein, BEVOR es zu ihrem Vertrauensbruch kam. Auch das weißt Du selbst am besten. Vielleicht wirst Du so Deinen Anteil erkennen, der Dir zeigt: Sie hat klare, handfeste Wünsche geäußert und Du hättest zuhören müssen, anstatt zu ignorieren. Das würde das Verzeihen einfacher machen.
Zum Thema Vergebung möchte hier noch etwas ins Detail gehen: Kann es also so weitergehen, wie oben schon gefragt? Diese Frage stellst Du Dir natürlich unbewusst, denn Du hoffst dass Du durch Vergebung und Verzeihen die Situation am Laufen halten kannst. Das Entscheidende ist aber Deine innere Position, aus der heraus Du handeln willst: Du willst offensichtlich den anderen zuliebe verzeihen. Damit Du bzw. damit letztendlich die Situation weiter funktionieren kann.
Aber verzeihen und vergeben, das solltest Du
DIR zuliebe tun. Vergebung bedeutet im Kern nichts anderes, als dass man ohne Negativität und inneren Widerstand akzeptiert, dass die Dinge sind wie sie sind. Um nicht mehr zurückblicken zu müssen und um im Jetzt anzukommen. Du leistest keinen inneren Widerstand gegen das, was längst ist. Du gibst Dich den Tatsachen hin. In Deinem Fall bedeutet das die radikale Akzeptanz eines massiven Vertrauensbruches. Du redest ihn Dir nicht schön. Du entschuldigst ihn nicht. Du sorgst durch Vergebung auch nicht dafür, dass Du die Handlung verdrängst, weil Du Dir erfolgreich einredest, dass alles nur halb so schlimm war. Nein, Du bist Dir bewusst was passiert ist und weil Du ohne Negativität akzeptierst was passiert ist, kannst Du nun klar, gemäß Deinen Maßstäben handeln. Was konkret bedeutet: Du erkennst dass Du Dich trennen musst oder Du erkennst, dass es weitergehen kann. Mit neuen Regeln, anderem Umgang, etc... Aber eben ohne Groll, Hass, Wut, usw... Deshalb vergibst Du dem anderen letztendlich im Sinne der inneren Reinigung Dir zuliebe.
Ganz wichtig ist hier zu verstehen: Vergebung darf nicht als ein innerer Zustand missverstanden werden, der "helfen" soll weitere Vertrauensbrüche oder emotionalen Missbrauch zu tolerieren, um weiterhin in einer ungesunden Situation "funktionieren" zu können. Vergebung erfordert große Bewusstheit und es wird in jedem Fall eine Transformation stattfinden. Im Grunde ist das der Weg in die Spiritualität. (Die nichts anderes als geistige Tiefe und echte Bewusstheit ist.)
Jetzt kommt das große ABER: weil Du Dich zunächst der Situation hingeben musst, um vergeben zu können, wirst Du naturgemäß extrem großen Schmerz erleiden. Du wirst diesen Schmerz erst hinter Dir lassen, wenn Du ihn voll annimmst und durch ihn hindurch gehst. Und das kann mitunter ein langer Weg sein. Wie Du siehst hast Du aktuell das Gefühl nicht vorwärts zu kommen, sondern festzustecken. Denn anstatt den Schmerz einfach anzunehmen, um ihn sein zu lassen, hältst Du krampfhaft an ihm fest. Du hast weder Abstand, noch suchst Du Abstand. Weder zu Deiner Frau, noch zu dem Vorfall. Denn Du wirst zum Detektiv.
Als allgemeine Faustregel einer jeden Partnerschaft gilt: wenn man das Gefühl hat zum "Schnüffler" werden zu müssen, weil man denkt dass etwas schief läuft - dann tut es das längst. Dann ist eine problematische Schieflage im Vertrauen längst entstanden - die man zu dem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben will. Auch wenn Irritation oder Schmerz schon die Lebensqualität stark mindern. Vertrauen ist die wichtigste Währung in einer Beziehung. Ohne Vertrauen gibt es keine Partnerschaft. Und was ist eine Partnerschaft? Eine vertrauensvolle, ausgewogene Beziehung auf Augenhöhe.
Erkenne also das Ungleichgewicht in Deiner Beziehung. Erkenne im Sinne von Ursache und Wirkung wer von euch beiden seinen jeweiligen Anteil hat und versuche fair zu gewichten, wie schwer das jeweilige Verhalten wiegt. Dass Du aktuell nicht auf Augenhöhe mit Deiner Frau bist, zeigt sich dadurch wie Du nach den Fakten suchst, die nur sie kennt. Grundsätzlich: die Fakten werden Dich nur immer weiter in der Vergangenheit feststecken lassen. Diese Vergangenheit wird Deine bzw. eure Zukunft definieren. Gewinnen wirst Du also nur immer klarere Informationen, WIE Deine Frau Dich betrogen hat. Alles was Du an Details herausfindest, wird Dir nur immer größeren Schmerz zufügen. Aber es wird nicht ändern WAS passiert ist. Das WIE macht alles nur schlimmer. Dein tief verletztes Ego wird auf diese Art keine Lösungen finden, sondern nur immer größere Probleme für Dich erzeugen.
Es ist verständlich und normal, wissen zu wollen was passiert ist. Aber Du wirst dadurch nicht mehr Herr über eine Situation, die Dir längst entglitten ist. Und das Verzeihen wird Dir so auch nicht gelingen. Was noch viel wichtiger ist: die Negativität wirst Du so auch nicht los - im Gegenteil, Du nährst sie! Ohne Dir dessen bewusst zu sein leistest Du aktuell Widerstand gegen das, was längst ist. Du willst es natürlich nicht wahrhaben und suchst manisch-panisch nach Antworten, um die Schuldfrage, bzw. die Situation "irgendwie" leichter zu machen. In der Hoffnung besser verstehen und alles wieder gut machen zu können. Dieser unbewusste Widerstand erzeugt den tiefen Schmerz. Und Du siehst: Dein Verstand dreht sich auf diese Weise nur noch im Kreis. Du leidest schon seit einem halben Jahr. Du wirst diesen Teufelskreis nur durch Akzeptanz durchbrechen können und erst die Akzeptanz wird Vergebung und dann entsprechendes Vorwärtskommen ermöglichen.
Wie ich eingangs schon schrieb: Du hast längst schon genug Fakten, um zu wissen ob es sich für Dich gut oder schlecht anfühlt, in der aktuellen Situation zu bleiben. Es ist Deine Verantwortung Dir und Deiner Familie gegenüber, für Dich Verhältnisse zu schaffen, die Dir gut tun. Denn erst dann wirst Du (vielleicht!) als Ehemann wieder attraktiv. Aber definitiv erst mit neuer Ruhe und Kraft wirst Du wieder (oder weiterhin) ein guter Vater für Dein Kind sein.