Transsexualität
Von Dr. med. Christian Tschuschke
Die Behandlung transsexueller Menschen nimmt eine besondere Stellung in der Praxis des niedergelassenen Urologen ein. Standards oder Leitlinien zur Behandlung des Transsexualismus gibt es nicht. Ich habe Transsexuelle immer als Patienten erlebt, die außerordentlich gut informiert sind. Gleichzeitig haben sie eine sehr hohe Motivation ihre Behandlung durchführen zu lassen. Ihr Ziel der Identitätsänderung verfolgen sie mit viel Energie, die für den oft schwierigen Verlauf auch nötig ist. In meiner Praxis behandle ich Transsexuelle seit 1993. Zuvor habe ich an der Urologischen Klinik der Westfälischen Wilhelms-Universität mit ihnen zusammengearbeitet.
1. Die Behandlung in der Praxis des Urologen
Der niedergelassene Urologe ist bei der Behandlung, oder besser Begleitung transsexueller Menschen derjenige, der die physischen Veränderungen intensiv betreut. Seine Untersuchungen müssen ergeben, dass der Transidente biologisch gesund ist und keine genitalen Abweichungen, Fehlbildungen oder eine Chromosomenanomalie vorliegt. Er führt die Hormonbehandlung durch und überwacht Wirkung und Nebenwirkung der Therapie. Auch die Betreuung nach der geschlechtsanpassenden Operation, wie Wund- und Funktionskontrollen erfolgen in seiner Praxis. Vom ersten Kontakt an begleitet er die transsexuellen Patienten während der gravierenden Veränderungen, die diese erleben. Einfühlungsvermögen und Verständnis für die psychische Situation ist daher mindestens genau so wichtig wie fundierte Kenntnisse von Endokrinologie und Pharmakologie. Ein enger Kontakt mit den behandelnden Psychiatern und Psychologen ist wichtig.
2. Hormontherapie
Die Behandlung mit dem gegengeschlechtlichen Hormon kann nach Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens, wenn möglich unter Einbeziehung eines Alltagstestes, erfolgen. Der Beginn der Behandlung wird von den Patienten immer mit Sehnsucht erwartet, diese Hürde muss aber genommen werden. In der Medizin ist eine Therapie stets von der Indikation abhängig, und diese wird in dem Gutachten überprüft. Auch für die Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkasse ist das Gutachten unbedingt erforderlich. Der Urologe muss ausführlich über Risiken und Nebenwirkungen aufklären, denn seine Behandlung wird erhebliche, wenn auch erwünschte, körperliche und seelische Veränderungen bewirken. Er hat sich durch seine Untersuchungen davon zu überzeugen, ob die Hormonbehandlung überhaupt durchgeführt werden kann. In seltenen Fällen kann es Kontraindikationen geben, wie eine erhöhte familiäre Thromboseneigung, oder Lebererkrankungen, die eine Therapie unmöglich machen oder eine Modifikation erfordern.
Für beide Formen des Transsexualismus ist das Prinzip der Behandlung gleich. Es wird das gegengeschlechtliche Hormon verabreicht, um die Wirkung der körpereigenen Hormone aufzuheben und die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Sämtliche verwendeten Medikamente werden auch im Rahmen anderer Erkrankungen oder Behandlungen (Empfängnisverhütung) eingesetzt. Für die Hormonbehandlung transsexueller Menschen sind oft allerdings sehr hohe Dosen erforderlich, die wiederum erhöhte Nebenwirkungen mit sich bringen. Zum Teil sind diese auch ausdrücklich gewünscht, zum Beispiel das Größenwachstum der Brustdrüse bei der Gabe weiblicher Hormone.
Hormonspiegel im Blut lassen sich sehr gut messen. Normbereiche für Männer und Frauen in verschiedenen Lebensaltern stehen in jedem Lehrbuch für Frauenheilkunde und Urologie. Im Prinzip versucht der Behandler diese Werte des gewünschten Geschlechtes einzustellen. In der Praxis zeigt sich oft, dass diese Parameter-orientierte Behandlung die Bedürfnisse des Patienten nicht erfüllt. Häufig lassen sich körperliche Veränderungen und ein gesundes seelisches Empfinden mit geringeren Dosen an Medikamenten erreichen, auch wenn die „Ziel-Parameter“ nicht erreicht sind. In wenigen Fällen muss die Dosierung erhöht werden, da erst supra-normale Hormonwerte beim Patienten die gewünschten Wirkungen erzielen. Neben der Laborkontrolle ist also das Gespräch über das Befinden des Patienten wichtig. Hierbei muss die gesamte Situation des transsexuellen Menschen berücksichtigt werden. Was er oder sie während der ersten Jahre der Identitätsveränderung an psychischen Turbulenzen erlebt, kann nicht allein durch die Gabe von Hormonen aufgefangen werden. Schwere Depressionen sind oft nicht nur Folge einer ausbleibenden Wirkung der Medikamente oder eine Nebenwirkung, sonder durch die schwierige Lebenssituation bedingt. Der Kontakt zu den behandelnden Psychiatern und Psychologen ist also kontinuierlich erforderlich.
2.1. Mann-zu-Frau Transsexualismus
Die weiblichen Hormone, die zugeführt werden müssen, können als Depot-Spritze, als Tablette oder Hautpflaster verabreicht werden. Pflaster und Tabletten haben sich als Standard-Behandlung wegen der auftretenden Nebenwirkungen nicht durchsetzen können. Die besten Ergebnisse werden mit der intramuskulären Injektion von Ethinylestradiol, 100 mg alle 2 Wochen intramuskulär verabreicht, erzielt. Der Hersteller hat die Produktion leider eingestellt. Alternativ stehen Estradiol oder Ethinylestradiol als Tabletten und als Hautpflaster zur Verfügung.
Zweite wichtige Therapie besteht in der Gabe des Antiandrogens mit zusätzlicher Gelbkörperhormonkomponente Cyproteronacetat. Der vornehmlich gewünschte Effekt des Cyproteronacetats, Rückgang des Bartwuchses, ersetzt allerdings nur selten eine Epilationsbehandlung. Viele Transidente nehmen Cyproteronacetat nur in der zweiten Zyklushälfte. Nach der geschlechtsangleichenden Operation kann auf Cyproteronacetat häufig verzichtet werden. Andere Antiandrogene, haben sich praeoperativ nicht durchgesetzt.
2.1.1. Probleme der Hormonbehandlung
Hormonspezifische Probleme, d.h. durch das Medikament verursachte unerwünschte Nebenwirkungen, sind eher selten. Thrombosen treten selten auf, die Thrombosegefährdung zum Beispiel bei operativen Eingriffen ist aber erhöht. Viel häufiger beklagen die TransFrauen eine zu geringe Wirkung der erwünschten (Neben)Wirkungen. Ihre Hoffnungen auf einen völligen Stillstand des Bartwuchses oder eine große Brust erfüllen sich nur selten durch die Gabe der Hormone allein zur völligen Zufriedenheit.
2.2. Frau-zu-Mann Transsexualismus
Die Hormon-Therapie der Wahl bei Frau-zu-Mann Transidenten besteht in der 14-tägigen intramuskulären Injektion von Testosteronenantat . Höhere Dosierungen erbringen keine weiteren positiven Effekte. Die biologische Verfügbarkeit des Testosterons ist durch Einnahme in Tablettenform schwerer zu erzielen, da der Wirkstoff, um einem Abbau in der Leber vorzubeugen, chemisch verändert werden muss. Sehr gute Bioverfügbarkeit bieten auch Hautpflaster, die alle 24 Stunden erneuert werden müssen. Mit ihnen lässt sich auch ein physiologischer Tagesrhythmus erzielen, der mit der intramuskulären Gabe nicht erreicht wird. Die Hautpflaster haben sich aber als Standard-Behandlung nicht durchsetzen können. Das Handling ist kompliziert. Es treten relativ häufig Pflasterallergien auf.
2.2.1. Probleme der Hormonbehandlung
Transidente Männer sind eher mit der Hormonbehandlung zufrieden. Durch das Absinken des Oestrogens kommt es u.a. zu Veränderungen der Schleimhäute in Vagina und Harnblase. Die Blase wird anfälliger für Entzündungen. Nach der geschlechtsanpassenden Operation verringert sich das Risiko der Blasenentzündung durch die Verlängerung der Harnröhre.
3. Die genitaltransformierende Operation
Auf die Details der Eingriffe wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Die Operationen und die unmittelbare postoperative Betreuung sind einigen wenigen hochspezialisierten Zentren vorbehalten. peri- und postoperative kosmetische und funktionale Korrekturen werden in den Zentren selbst vorgenommen. In der urologischen Praxis spielen die langfristigen Nachsorgeuntersuchungen eine Rolle.
3.1. Mann-zu-Frau-Transsexualismus
Wichtig sind regelmäßige Bougierungen der Neovagina, um eine Schrumpfung zu vermeiden. Diese Behandlung wird von den Patientinnen selbst vorgenommen. Kontrolluntersuchungen sind bei Beschwerden erforderlich. Die Funktion der verkürzten Harnröhre sollte durch Harnflussmessungen überwacht werden. Verengungen sind Folge einer Narbenbildung oder Schrumpfung im Bereich der neuen Harnröhrenöffnung. Unerkannt können sie zu Fehlfunktionen der Harnblase führen.
3.2. Frau-zu-Mann Transsexualismus
Auch hier werden in der urologischen Praxis nur die langfristigen Nachsorgeuntersuchungen am Penoid vorgenommen. Die schwierige Bildung der Neoharnröhre im Penoid bedingt die meisten der auftretenden Probleme. Fistelbildungen werden naturgemäß vom Patienten selbst erkannt. Narbige Verengungen fallen durch eine Abnahme des Harnstrahls oder bei Harnflussmessungen auf. Die häufigsten geäußerten Klagen von TransMännern beziehen sich auf das kosmetische Ergebnis.