Was sehr persönliches vom Nacktzeiger
Tach !
Auch davon kann ich so mein Liedchen singen. Ich bin nicht im klassischen Wortsinne behindert - nur seit meinem 5. Lebensjahr chronisch krank. Erst war es nur ein grausliger Heuschnupfen, dann Asthma, und ganz später kam dann noch Akne inversa hinzu. Die war noch bis letztes Jahr so heftig gewesen, daß ich sogar erwogen habe, meinen Beruf aufzugeben, Berufsunfähigkeitsrente zu beantragen, und mich in dem sich dann ergebenden finanziellen Desaster einzurichten - ich kenne mich mit sowas aus, Angst davor habe ich keine. Ich habe mich informiert - ich könnte die Anerkennung als Behinderter beantragen - so zwischen 30 und 50 Prozent wären wohl drinn - aber nützen würde es mir kaum was. Noch nicht mal n Parkausweis wäre drin, obschon die Abszesse der Akne Inversa zeitweise jeden Schritt zur Qual gemacht haben ... Pffft. Da kann ich es auch lassen.
Was ich auch gelassen habe ist: mich fortzupflanzen. Meine Krankheiten sind großenteils genetisch bedingt - im klassischen eugenischen Sinne habe ich mich schon sehr früh in meiner Jugend davon verabschiedet, Kinder haben zu wollen, die dasselbe tun, wie ich auch: ihren Eltern Vorwürfe darüber zu machen sie mit der Veranlagung zu diesen Krankheiten in die Welt gesetzt zu haben. Das ich das tue, ist ungerecht - so what ? Ich kann an meinen Gefühlen nichts ändern.
Angst hat man vor der Welt der Gesunden, und ihren ästhetischen Ansprüchen. Jedenfalls habe ich lange unter dieser Angst gelitten - tue es auch heute manchmal noch. Mich trotz der Narben, die meine Abszesse hinterlassen haben, nackt zu zeigen - es bedurfte irgendwo einer gewaltigen Aufpumpung des Selbstbewußtseins und ist irgendwo auch ein Akt der Rebellion gegen das, was mir Angst macht.
Die Ablehnung, auch konkret körperliche Ablehnung - ich habe sie oft genug erlebt - inzwischen zucke ich nur noch mit den Achseln, es "juckt" mich nicht mehr. Im Gegenteil erfüllt es mich mit einem fast perversen Stolz, sexuell aktiver zu sein, als die meisten derjenigen, die den aktuellen "fit for fun" - Kriterien (fast) perfekt entsprechen, die sich aber selbst ständig im Weg stehen.
"Charme ist die Chance der Häßlichen" schrieb Casanova, der angeblich unter ähnlichen Problemen litt.
Ich hatte einen Schul- und Jugendfreund, in den ich auch mal furchtbar verliebt war - er ist ein richtig schöner Mann: schlank und wohlproportioniert, sehr erotisch behaart (was einige schon wieder als "ungepflegt" bezeichnen würden), und mit einem sympathischen, ruhigen und bescheidenen Wesen. Richtig lieb - ein Typ zum Knutschen, ein Anti-Macho. Ich habe ihn immer beneidet. Er brauchte sich nur hinzusetzen, und zu warten. Irgendwann, als wir über das Thema mal sprachen, hat er es auch erfrischend bekannt: er wüsste es garnicht, wie man Frauen anmacht - es schwirrten ständig genug um ihn herum, und bräuchte es nur zuzulassen ... meine Güte habe ich diesen jungen Mann damals beneidet, regelrecht zerfressen hat mich das Gefühl, vom Schicksal so ungerecht behandelt worden zu sein.
Nunja - man wird älter, und man lernt um sein Stückchen Glück zu kämpfen und daran zu arbeiten - wenn auch manchesmal, oft, fast immer - mit dem Mut der Verzweifelung.
Heute, mit 44 Jahren, schon deutlich in der 2. Halbzeit des Lebens, habe ich endlich erkannt, konkret erfahren: auch ich habe mir den größten Teil des Lebens aufgrund meiner "Behinderungen" selbst im Weg gestanden.
Im Spiel des Lebens nicht bei einer Stunde Null, sondern bei 100 Minuspunkten anzufangen, und in dem Bewußtsein, daß es erst bei 100 Pluspunkten die Baggerfahrt durch die Eifel gibt, endeckt man irgendwann: man muß einfach besser sein, als die andern, die
Glatten und Schönen. Und man kneift irgendwann mal die Arschbacken zusammen, schiebt all den Krimskrams beiseite, von dem man sich behindert fühlte, und legt los.
Nein, ich bin heute noch nicht ganz frei von dem Neid auf die glatten und schönen, und träume mir manchmal Tagträume vom "glatt-und-schön-sein" zurecht. Aber dann gibt es auch immer wieder diese Erlebnisse, die mich dankbar sein lassen, daß mir die Welt der Glatten und Schönen verschlossen geblieben ist. Das, was ich kann und bin - verdanke ich zu einem Großteil eben auch meinen Behinderungen. Zum Beispiel auch die Tatsache, mit 44 Jahren eine berufliche Position zu haben, die mir bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von ca. 25 h bei freier Zeiteinteilung mehr Kohle lässt, als den meisten 40-h-Jobbern. Ist doch auch was, jaja, schnöder Mamon, "materialistisch" - na und ? Mir gehts nicht um die Kohle, sondern darum, mehr Zeit zum Leben zu haben, eben auch für die schönen Dinge im Leben, Sex zum Beispiel, oder Motorradfahren, oder nackt mit dem Hund durch den Wald spazieren - und überhaupt den Mut dazu - siehe oben.
Wer mit Behinderungen lebt, ist mutiger. Er braucht weitaus mehr Chuzpe, als die Glatten und Schönen - muß mehr einstecken, mehr risikieren - aber er gewinnt auch immer wieder, wird immer besser, arbeitet an sich, trainiert - und der Mut nimmt zu mit jedem Sieg über dieses Scheissleben, das dann doch kein Scheißleben mehr ist, sondern eigentlich sogar "ganz ok" - und irgendwann ... empfindet man sogar Momente des Glücks und der Dankbarkeit.
Gruß vom
Nacktzeiger