Kenn ich auch....
Ich kann 90% der Fotos von mir selbst nicht akzeptieren, und ich bin Portraitfotografin.
Im Studio wurde klar, dass mehr als die Hälfte meiner Kunden/innen dieses Problem mit mir teilte. Die wenigsten von ihnen hatten körperliche Makel, welche diese Einstellung hätten erklären können. Es betraf alle Altersklassen, vielleicht die jungen Kunden sogar mehr als die Älteren.
Es bedurfte einer Menge liebevoller Empathie, einem Menschen diese Ängste soweit zu nehmen, dass er/sie sich auf die Situation entspannt einlassen konnte. Je mehr ich vermittlen konnte, dass ich liebte was ich sah, um so mehr konnten sie sich aus ihrem Schutz trauen und mir einen Blick auf ihr Inneres Selbst gestatten. Daraus folgte, dass ihnen auf einmal gelang einige Fotos mit meinen Augen zu sehen und nicht nur mit ihren.
Bei einigen konnte ich allerdings trotzdem keine Akzeptanz ihrer Fotos erreichen, obwohl wir viel Spaß im Studio hatten, und die Fotos auf dem Kamera-Monitor gefielen. Sie konnten ihr positives Erleben während des Shootings nicht mit den Fotos verknüpfen.
Da es mir ja oft ähnlich ging, hab ich drüber nach gedacht was beim betrachten meiner Fotos in mir vorgeht.
Ich finde jeden Schnappschuss von mir so häßlich, dass es mir echt sowas wie körperlichen Schmerz bereitet. Wer mich auf einer Familienfeier snappen will, muss echt schnell sein oder mit einem Tele hinter der Hecke lauern. Klingt lustig, ist es für mich aber nicht.
Portraits sind etwas anders, da gefallen mir sogar einige wenige. Pro Shooting vielleicht 2-3 die mir gefallen, plus einige die ich ertragen kann. Ich glaube es liegt an dem Grad der Kontrolle, die ich auf die Fotos ausüben kann. Als könnte ich damit auch auf den zukünftigen Betrachter Einfluss nehmen und das Schlimmste dadurch im Zaum halten.
Was also ist für mich das Schlimmste, wovor ich soviel Angst hab:
Das mich jemand ablehnt ohne mich zu kennen.
Das mich Andere häßlich/eklig finden, deren Zuneigung/Wertschätzung ich nicht verleieren möchte. Die mich vielleicht plötzlich mit anderen Augen sehen könnten.
Das man/ich mir die Hoffnung nimmt, es wäre alles gar nicht so schlimm wie befürchtet.
Klingt echt schräg, ich weiss. Ist aber das Ergebnis meiner emotionalen Vernachlässigung in meiner Kindheit, welche jede Entwicklung eines Selbstwertgefühls für etliche Jahrzehnte zu verhindern wusste.
Mein liebevoller Rat an Polly:
such dir jemanden, der dir unbegingt das Gefühl gibt, es wäre eine Freude dich fotografieren zu dürfen. Denn das sollte es für jeden Fotografen sein, der seinen Job liebt. Da jeder Fotograf seinen eigenen Stil hat, schau vorher in seine/ihre Portfolios. Der nettest Fotograf nützt dir nix, wenn dir seine Fotos nicht gefallen.
Mach die Fotos nur für dich, sieh es als eigene Entdeckungsreise. Verlieb dich ruhig ein bisschen in Details von dir und geniesse das Gefühl, dass vorerst niemand von deinen aufregenden Fotos weiss.
Ich rate dir auch zu Experimenten mit Requisiten. Spiele mit Möglichkeiten und Andeutungen. Lass dich einfach darauf ein, denn das Spiel ist allein schon eine großes Abenteuer.
Das Fazit meiner langjährigen Arbeit für mich persönlich:
Es gibt keine unfotogenen Menschen, nur unfotogene Szenen und Posen für diesen oder jenen Menschen. Das liebendswerte in jedem Menschen zu finden, und idealerweise für Andere sichtbar zu machen, war das faszinierendste was mir meine Arbeit vermitteln konnte.
lg Kerstin