Ich persönlich halte ja recht wenig von Floskeln wie „Liebe dich selbst, dann werden es auch andere tun“. Das klingt häufig nach der Garantie, dass einem dann das andere Geschlecht zu Füßen liegt und dem ist nun mal nicht so.
Dennoch will und kann ich keinesfalls leugnen, dass ein gewisses Auftreten eine wichtige Grundvoraussetzung ist, um sich „interessant“ zu machen. Kaum jemand hat aber eine Idee davon, wie das zu erreichen ist. Auch ich hab‘ kein Patentrezept dafür, will aber gern meinen persönlichen Prozess teilen, der mich auf einen besseren Weg geführt hat.
Der Begriff Selbstbewusstsein fällt immer wieder. Meiner Meinung nach wird dieser aber oft falsch interpretiert. Sich seiner selbst bewusst zu sein, bedeutet keinesfalls, dass man sich selbst abgöttisch lieben muss. Es bedeutet nicht, dass man sich auf dem Mantra „Ich bin, wie ich bin – es ist, wie es ist.“ ausruhen soll und sich so einfach ein neues Leben aus dem Hut zaubert. Für mich heißt es viel mehr, dass man einen regen Kontakt zu sich selbst pflegt, sich immer wieder reflektiert, einem die eigenen Stärken und Schwächen immer wieder vor Augen führt und bestrebt ist, ein gutes Gleichgewicht zwischen beidem herzustellen.
Jeder Mensch ist unzufrieden – womit auch immer. Natürlich ist der einzige zielführende Weg, diese Unzufriedenheit langfristig und effektiv zu beheben. Auf keinen Fall sollte sie deshalb aber alles andere in den Schatten stellen. Ich selbst habe mir lange verboten, etwas Gutes in oder an mir zu sehen, da ich mich auf Grund meines Übergewichts schon immer unansehnlich fand und dachte, dass dadurch alles andere ohnehin keinen Wert hätte. Mir mich schön(er) zu reden, wäre mir wie Selbstbetrug vorgekommen. Bis ich mich „einfach“ darauf eingelassen habe und mich ganz bewusst auf die Suche nach positiven Eigenschaften begeben habe und mir diese immer wieder eingetrichtert habe. Ich habe mir dadurch nichts aufdiktiert, was nicht ohnehin in mir gesteckt hätte. Ich habe einer neuen Facette von mir erlaubt in den Vordergrund zu treten, die etliche Jahre durch das Gewicht unterdrückt wurde.
Es ist fatal, sich mit seinem größten Problem einzusperren und im Spiegel immer nur ein und dieselbe Konfrontation zu sehen. Dadurch wird nur der Leidens- und Leistungsdruck immens hoch und erschwert jedes Vorankommen unnötig. Auch wenn es einem nicht immer klar ist, gibt es etliche Situationen, die einem völlig unabhängig von Statur und Gewicht Freude bereiten können. Diese Situationen sollte man suchen und nutzen, auch wenn man dafür so einige Male die fiese flüsternde Stimme im Kopf, die einen schlecht redet, ganz aktiv beiseite drängen muss. Nur die positiven Dinge geben einem die nötige Kraft und die Motivation, den negativen den Kampf anzusagen. Das Leben ist durch Übergewicht nicht vorbei.
Sexuell habe ich mich durch meine Pfunde nie einschränken lassen. Während meiner Pubertät war ich der festen Überzeugung, ich würde als eiserne Jungfer enden, es würde niemals jemanden geben, der mich attraktiv finden könnte. Die Realität sieht gänzlich anders aus, weil ich mich nicht hinter dieser Angst eingemauert habe. Schließlich kann ich Anderen ihre eigene Wahrnehmung nicht absprechen und ich finde es völlig in Ordnung, zwischen der eigenen Betrachtung und der von Anderen zu unterscheiden. Es misst nicht jeder mit dem gleichen Maßstab wie ich. Der Glattrasierte verfällt ja auch nicht gleich in Komplexe, nur weil ich auf bärtige Männer stehe – um eines von vielen Beispielen zu nennen. Seit ich mehrmals die Erfahrung gemacht und verinnerlicht habe, dass Außenstehende für gewöhnlich kaum einen Unterschied zwischen be- und entkleidet machen, habe ich auch kein Problem mehr damit nackt zu sein. Mein Körper bleibt der selbe und ich trage diesen sehr offensichtlich mit mir herum, da ändert auch ein XXL-Shirt nichts dran.
Kleiden und zurechtmachen tue ich mich grundsätzlich so, wie ich mich sehen will und nicht so, wie es „von einer Dicken erwartet wird“ (auch wenn die Auswahl in entsprechender Konfektionsgröße natürlich begrenzt ist). Etliche Male wurde ich schon darauf angesprochen, wie ich dazu kommen würde mit meiner Figur Miniröcke zu tragen. Beinahe, als wäre es eine Straftat. Ich tue das, weil ich mich wohl und fraulich darin fühle und mir mein Spiegelbild plötzlich fünfmal besser gefällt. Erlaubt ist, was sich gut anfühlt und in einem Sweatshirt oder Maxikleid passiert eher das Gegenteil.
Da ich mich schon immer viel online herumgetrieben habe, war ein weiterer wichtiger Aspekt, mich von den festgefahrenen Schemen durch Like- und Dislike-Listen und zu konkreten Vorstellungen zu befreien. Wenn ich mit jemandem in Kontakt komme, frage ich mich nicht, wie gut die Profilangaben zueinander passen (auch wenn ich sie natürlich nicht gänzlich außer Acht lasse), sondern wie eine Begegnung auf offener Straße mit dieser Person ablaufen würde. Mir ist völlig egal, ob auf dieser Plattform jemand mollig unter unbedingt oder geht gar nicht einsortiert hat. Die Einhaltung der eigenen Prinzipien obliegt ja demjenigen selbst und nicht immer automatisch mir. Und in der realen Welt hat mir noch nie jemand nach der Begrüßung sowas wie „Mit dir rede ich nicht, du bist mir zu fett.“ um die Ohren gehauen. Ich gehe offen auf jeden Menschen zu und gehe davon aus, dass dieser selbst in der Lage dazu ist, unsere Kompatibilität abzuschätzen.
Heute lasse ich mich also nach etlichen Selbstfindungsphasen kaum noch durch die Wirkung auf Andere beeinflussen. Geblieben ist natürlich das Kernproblem, die eigene Unzufriedenheit. Ich befinde mich aber auf einer Reise in ein glücklicheres Leben, weil ich genau das zu meiner Priorität gemacht habe. Ich ändere mich nicht, weil ich schöner oder schlanker oder gesellschaftsfähiger werden will, sondern weil ich mich gesünder und erfüllter fühlen will. Natürlich geben mir die immer kleineren Zahlen auf der Waage und in der Kleidergröße ein gutes Gefühl, aber was mich wirklich am Ball bleiben lässt, ist die Tatsache, dass ich mich auch völlig unabhängig davon von Tag zu Tag besser in meinem Körper fühle – auch wenn der Rest der Welt in mir immer noch genau das Gleiche sieht, wie mit 20 Kilo mehr auf den Rippen.
Zum Abschluss ein Sorry für meine Ausschweifungen – mich kurz zu fassen liegt mir nicht sonderlich.