Ich denke man muss das Thema differenziert betrachten.
Auch wenn der Titel geändert wurde, nehme ich einfach mal direkt darauf Bezug: "Urteilt man eher 'zu dünn' als 'zu dick'"?
Die Sichtweisen die ich vorschlagen würde sind die Sichtweisen des persönlichen Umfelds, der Gesellschaft und schließlich die Selbstwahrnehmung.
Die nachfolgenden Zeilen sind natürlich vollkommen subjektiv.
Das persönliche Umfeld spiegelt, im Falle einer starken Persönlichkeit, die die eigenen Vorstellungen kommuniziert, die Wahrnehmung desselben im Hinblick auf das Erreichen oder Verfehlen der persönlichen Vorstellungen wieder. Mit einem Beispiel hinterlegt: Ich habe früher, in der Sekundarstufe II, sehr wenig gewogen und während des Abiturs sowie den Jahren danach viel Sport gemacht und noch mehr gegessen um meinen Körper in eine Richtung zu formen, die ich persönlich als ansprechender finde: Athlethisch mit einem gesunden Maß an Gewicht. Dabei geht es nicht unbedingt um den Körperfettanteil (KFA), denn ich war zwischendurch bei sieben Prozent KFA und überhaupt nicht zufrieden, bin mittlerweile bei grob vierzehn Prozent KFA und bin zufrieden. Als ich mich also über einige Jahre selbst in Richtung eines gesunden BMI bei gleichzeitiger Definition des Körpers entwickelt habe, kommunizierte ich meine Vorstellung in mein Umfeld, damit dieses mir wiederspiegelt, wie ich mich so entwickele und mir Feedback geben kann, mich quasi unterstützt.
Das lief sehr gut und ich war jahrelang zufrieden. Dann habe ich jedoch, nach dem Bachelor und einem Jahr Angestelltenverhältnis, entschieden, dass es Zeit ist den Master zu machen.
Im Gegensatz zu der Fachhochschule an der ich vorher war ist die Arbeitsbelastung an der Uni an der ich jetzt bin extrem gestiegen. Relativ in Arbeitsbelastung pro Credit-Punkt gerechnet ist es definitiv ein Anstieg um zweihundert Prozent. Dadurch bedingt, und durch meinen Ehrgeiz gefeuert, kommt bzw. kam es oft zu Zeiten in denen ich sehr viel gearbeitet habe, regelmäßig beim Sport war und wenig geschlafen sowie meist nur zwei Mahlzeiten am Tag gegessen habe. Bei solch einem "ungesunden" Lebensstil nimmt man zwangsläufig ab wenn man nicht nur Junk-Food isst sondern Spaß am Kochen hat.. Das wurde mir von meinem Umfeld sofort mitgeteilt. "Hey, Du hast ja ziemlich (sie nannten es eingefallene Wangen oder an den Armen an Umfang verloren, etc.) abgebaut.. Ist alles okay bei Dir?"
Mittlerweile habe ich das gut ändern können, indem ich versuche auf eine regelmäßige Ernährung zu achten und nur noch gelegentlich zum Sport gehe, mich als Ausgleich eher auf den Golfplatz oder das Motorrad begebe.
Die zweite Perspektive die ich vorschlagen möchte ist die der Gesellschaft. Wir leben in einer "fettleibigen" Zeit und der Großteil der Gesellschaft wird durch Fernsehen, Werbung, Instagram, Facebook & Co. manipuliert mit sich selbst und dem eigenen Erfolg, oder speziell dem eigenen Körperbau, unzufrieden zu sein, da überall Vergleiche angestellt werden und jede*r weiß, wie Du besser wärst. Derselbe Großteil der Gesellschaft reflektiert sich selbst und dieses Handeln nicht ausreichend und geht mit Beiden nicht ins Gericht. Die Mischung aus Meinungen die einem an den Kopf geworfen werden (seien es Kommentare, Likes, gut platzierte Werbung, Hollywood-Filme, etc.) werden oftmals ungenügend gefiltert aufgenommen und zur eigenen Meinungsvielfalt gemacht. Der vermeintlich glückliche Teil der Gesellschaft der sich selbst reflektiert und dieses Handeln tatsächlich geistig durchdringt sieht sich mit einer großen Gesellschaft konfrontiert die kontinuierlich diesen Meinungswirrwar an die eigene Person herantragen. Getreu dem Spruch "Stetiger Tropfen höhlt den Stein" und dem Umstand dass der Mensch nun mal ein soziales, in Gruppen lebendes, Wesen ist, kommt die gesellschaftliche Manipulation zwangsläufig auch bei den reflektierten Individuen an. Diese Meinungssuppe schwankt von Zeit zu Zeit, hat aber im Endeffekt eine hauptsächliche Botschaft: Du bist nicht richtig so und wir (Ich als Unternehmen, wir als Gemeinschaft, wir als die was-auch-immer) bieten Dir eine Lösung an. Es wird also gezielt das Bild des Individuums genommen und mithilfe div. Praktiken auf, für einen selbst, ungewünschte Ebenen reflektiert. Somit hat man gefälligst unzufrieden zu sein, was der deutschen Gesellschaft ja leicht fällt. Insbesondere der Punkt durch die Gesellschaft kann mit einer gestärkten Persönlichkeit gut ignoriert werden. Man kennt diese Menschen nicht und ist für dieselben nichts als Beiwerk im eigenen Film.
Kritischer wird es da mit der dritten Perspektive die ich vorschlagen möchte. Der Selbstwahrnehmung. Diese bildet sich ausgehend von div. Punkten. Einerseits den Prägungen und der Erziehung die man genossen hat oder zweifelhaft genießen durfte und andererseits den Erfahrungen und dem eigenen Weltbild welches sich, quasi als fluide und kristalline Intelligenz, über die Jahre herausbildet. An diesem Punkt möchte ich gar nicht so viel schreiben ~ wer für kritisches Denken zugänglich ist wird meine bisherigen Ausführungen interpretieren können und weiterdenken können. Kurz gesagt: Eigen- und Fremdwahrnehmung sind nicht identisch, beeinflussen einander mitunter aber stark. Wenn ich mich selbst zu dünn (oder zu dick) fühle und das in meinem Denken angekommen ist, dann wird es auch in meinem Handeln ankommen und mir durch meine eigene Wahrnehmung der Fremdwahrnehmung und der Meinungstortur der Gesellschaft reflektiert. Es gilt hier also die Maßstäbe selbst zu setzen.
Entschuldigt den Roman, aber aus irgendeinem Grund wollte ich meinen schriftlichen Erguss nicht stoppen.