@B_Sunny
Ich gebe Dir recht - einerseits!
Sie fragt ja gar nicht wie sie ihre Beziehung führen soll oder ähnliches, sondern wie sie mit dem Verzicht besser umgehen könnte.
Jedoch bin ich diesbezüglich anderer Meinung:
Dabei ist die Frage nach dem warum die Beziehung gerade etwas in Schieflage geraten ist doch völlig unerheblich.
Denn andererseits ist der Umgang mit Verzicht in meinen Augen definitiv von ganz unterschiedlichen Faktoren geprägt:
• persönlichen Dispositionen und Prägungen
• erlebte Erfahrungen (Lebensgeschichte)
• persönliche Prioritäten und Wertehaltungen
• eigene Lebensziele
• aktuelle Lebensbedingungen
• Machbarkeitsspielräume (pragmatisch/praktisch den Lebensumständen geschuldet, sowie auch durch persönliche Charaktereigenschaften beeinflusst)
• Auslöser /Anlaß für die aktuelle Verzichtsituation
• tiefere Gründe und Ursachen, in der Paarkonstellation, gemeinsamer Geschichte, Kommunikation etc. begründet
...
Kaylin läßt uns an einigen, wenigen ausgewählten Aspekten teilhaben, und sie hat selbstverständlich jedes Recht, genau das zu tun, d.h. selbst auszuwählen, was sie uns mitteilen möchte und was nicht.
Allerdings bin ich der Meinung, das es keine allgemeingültige "Technik" zum Erlernen des Umgangs mit Verzicht im allgemeinen gibt, sondern dass ein fruchtbarer, konstruktiver Umgang mit Verzicht immer zentral gebunden sein wird an die genannten jeweils individuellen Faktoren , sowie der persönliche Bedeutung, die jemand diesem Verzicht beimißt, an der faktischen oder vermeintlichen Not, die durch den Verzicht empfunden wird, und, soweit es sich um mehrere Beteiligte handelt, wie im konkreten Fall, ist alles zusätzlich noch beeinflußt von Art und Geschichte der Kommunikation zwischen dem Paar, der Unterschiedlichkeit in Bezug auf den jeweiligen Zustand, der eben, wie offenbar hier, nur von einer Seite als "Verzicht" empfunden wird, sowie dem Maß an geübter und gewohnheitsmäßiger Reflektion über gemeinsame Ziele, Zwischenstadien, Kompromißmöglichkeiten, "Meilensteinen" im Verlauf der Bewertung, wie weit ein gemeinsam beschlossenenr Prozess gerade ist, ob alles im grünen Bereich ist oder ob es neuer regulatorischer Abmachungen bedarf, usw.
"Verzicht" impliziert für mich im übrigen eine Freiwilligkeit. Ich verzichte auf etwas mir Angenehmes und Genußvolles, weil ich es bewußt möchte, um etwas auszuprobieren, evtl. ob ich zur Sucht neige etc. (also z.B. wenn ich mir einen Zeitraum setze, in dem ich auf diverse Genüsse verzichte, um abzuklären, ob ich suchtgefährdet oder bereits abhängig bin , wie z.B. Alkohol, Zigaretten, Spiele, Smartphone, Pornos, einen bestimmten Fetisch oder was auch immer), oder um einfach zu sehen, ob der Verzicht irgendwelche Auswirkungen auf meine Lebensführung hat. Das ist ein Spiel mit offenem Ausgang, und je nach Ergebnis entscheide ich anschließend,
ob Handlungsbedarf besteht und gegebenenfalls welcher.
Wenn ich z.B. nur ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze habe, "verzichte" ich nicht auf Teilhabe an Teilen des sozialen Lebens wie etwa Besuch eintrittsbehafteter kultureller Veranstaltungen oder teurer Restaurants, sondern ich bin gezwungen, dies zu tun. "Zwang" und "Verzicht" wären also zusätzlich voneinander zu unterscheiden im Sinne der Fremd- bzw. Selbstbestimmtheit, was einen entscheidenden Unterschied macht in der Bestimmung aktueller Spielräume bzw. Wahlentscheidungen, mich situativ derart einzuschränken.
Das, was Kaylin beschreibt, ist für mich in erster Linie jedoch kein Verzicht, sondern ein Mangelempfinden, das sich akut zwar in Form von unbefriedigendem Sex äußert, aber dem letztlich andere Dinge zugrunde liegen.
Deshalb ist es meiner Meinung nach nicht besonders erfolgsträchtig, nach Wegen zu suchen, den Mangel zu ignorieren bzw. ihn zu überspielen oder lediglich auszuhalten.
Doch das, was der derzeitigen Schieflage zugrunde liegt, kann niemand außer Kaylin und ihrem Partner, eventuell mit Hilfe einer professionellen Beraterperson, hier wirklich beurteilen, sondern nur darüber mutmaßen. Was m.E. nicht gleichbedeutend ist damit, Kaylin anzugreifen oder sie zu kritisieren.
David Schnarch bezeichnet schlechten Sex in einer Partnerschaft sogar als einen Segen (
https://www.zeit.de/lebensar … ch-partnerschaft-sexualitaet), der zwingend erfordert, dass beide sich bewegen, und insofern ist es durchaus legitim, wenn BeitragschreiberInnen hier immer wieder darauf verweisen, dass es darum geht, an den Ursachen anzusetzen, wenn sich grundlegend etwas ändern soll, nicht darum, den empfundenen Mangel zu kultivieren.