Um die ganze Bredoullie des eigentlichen Themas mal um ein paar rationale Gedanken zu bereichern (die selbstverständlich niemand teilen muss):
Ich glaube, dass eine Diskussion über das, was Liebe und ähnliche Gefühle voneinander unterscheidet, nicht zu einem Konsens führen
kann. Man muss sich klar machen, dass das, was diesen Gesamteindruck ausmacht, eine Kombination aus vielen Faktoren ist, die sich nach und nach graduell ändern. Wie lange kenne ich einen Menschen schon, wie sehr vertraue ich ihm, was weiß er schon über mich, was weiß ich über ihn, etc... All diese voneinander unabhängigen Parameter ändern sich im Laufe der Zeit, und irgendwann sprechen mehr Zeichen für die eine Kategorie als für die andere, aber keine der Kategorien ist komplett voll oder leer... In der Mathematik spricht man von "Fuzzy-Logik", wo eine theoretisch als Ja-Nein-Frage formulierbare Frage nicht "ja oder nein" sondern eben mit Quantifizierung ("wie sehr") beantwortet wird.
Ein Beispiel: Was löst es aus bei dir, wenn ich sage 'drei Uhr mittags'? Instinktiv werden viele Leute sagen "das heißt drei Uhr nachmittags". Wo ist die Grenze zwischen Mittag und Nachmittag? Jeder ist sich darüber einig, dass es Unterschiede zwischen "Mittag" und "Nachmittag" gibt, und auch dass "Nachmittag" das Spätere ist. Aber der Übergang ist fließend... "fuzzy" eben.
Was Sympathie und Liebe angeht, möchte ich dir eine Analogie, ein anschauliches Beispiel geben: Nehmen wir eine Person, die du grundsätzlich magst, Sympathie ist also gegeben. Diese steigert sich im Laufe der Zeit. Jetzt ist die Frage: ab wann ist es Liebe?
Stellen wir uns dazu eine Waage vor, die eine Waagschale ist "Liebe", die andere "Keine Liebe". In der Waageschale "Keine Liebe" liegen ganz viele unterschiedlich-farbige Steinchen - jeweils ein Stein für etwas, was du von einem Partner etwartest, zum Beispiel "guter Sex", "bedingungsloses Vertrauen", "philosophische Gespräche", "gemeinsamer Urlaub", "gemeinsame Freunde", "bringt mir Blumen mit", "trägt tolles Parfum", "hat schöne Augen", etc. Das Gewicht des Steinchens codiert die Wichtigkeit, die du dieser Sache beimisst, und die Farbe die Art der Sache - rote Steinchen sind Äußerlichkeiten, gelbe sind Charaktereigenschaften, grüne Aktivitäten, blaue Überzeugungen, und so weiter.
Immer, wenn eine Sache zutrifft, legst du das Steinchen von "Keine Liebe" in die "Liebe"-Waagschale, und wenn es irgendwann doch nicht mehr erreicht wird, dann wieder rüber. Nach und nach lernst du die Person immer besser kennen. Manchmal legst du Steinchen rüber, weil du etwas herausfindest, was dir gefällt. Manchmal entwickelt sich aus der gemeinsamen Zeit ein Vertrauen, das dann bestimmte Aktivitäten ermöglicht, weswegen diese Steinchen erst nach einiger Zeit rübergelegt werden können.
Irgendwann kippt die Waage.
Nun stellt sich die Frage: war diese eine Sache jetzt essentiell? Kommt drauf an, wie groß das Steinchen war. War es dir extrem wichtig und alles andere ist für dich super nebensächlich, könnte dieser Stein schwerer sein als alle anderen Steinchen zusammen. Dann kann es sogar das einzige rüber gelegte Steinchen sein und trotzdem ausreichen, um das Gefühl zu kippen.
Wahrscheinlicher ist aber, dass mehrere Dinge mehr oder weniger gleich wichtig sind, und es war bloß zufällig genau dieses Steinchen, was die Waage ins Kippen brachte. Ein anderes hätte es auch getan. Üblicherweise werden außerdem verschiedene Farben in der Waageschale der Liebe liegen. Vielleicht viele gelbe, einige grüne, nur zwei aber dafür ziemlich schwere rote, ein paar blaue... Man kann nicht sagen "Aussehen ist unwichtig", aber die Tatsache, dass auch noch viele kleinere rote Steinchen in der "Keine Liebe"-Schale liegen, ist dann das Berühmte "Aussehen ist nicht alles".
Jeder Mensch hat andere Steinchen (Dinge, die ihm wichtig sind) mit anderen Gewichten (wie wichtig sie ihm sind). Darum ist es bei jedem Menschen und je Partner immer wieder eine individuelle Mischung an Steinchen, die in der "Liebe"-Waagschale liegt. Man kann nicht sagen, was "auf jeden Fall" drin liegen muss, man kann nur feststellen, dass gewisse Steinchen häufig drin liegen und ähnliches Gewicht haben.
Ich nehme gerne zwei unterschiedliche Worte in Anspruch, um mir ein wenig auszuhelfen, das "Kippen dieser Waage" zu formulieren: verknallt und verliebt. Von Verknallt-sein spreche ich bei Begeisterung für eine Person, die über Bewunderung oder Schwärmen hinausgeht. Eine gutaussehende Frau kann ich bewundern, wenn ich sie öfters sehe und jedes Mal angetan bin von ihrem Anblick und Auftreten kann ich von ihr schwärmen. Denke ich in der Folge auch völlig unabhängig von äußeren Triggern immer wieder an sie, bin ich verknallt. Für alle diese drei Stufen muss ich diese Person aber nicht einmal kennenlernen, sondern allein das Bild, das ich mir selbst gezeichnet habe ist Ziel meiner Phantasien und Emotionen. Ich kann mir
vorstellen, dass ich mit dieser Frau ausreichend viele Steinchen rüberlegen könnte. Lerne ich die Frau dann nach und nach bei Treffen kennen, ersetze ich mehr und mehr Dinge, die ich mir zusammengereimt habe durch echtes Wissen und fange an, eifrig Steinchen rüber zu legen. Ich bin immer noch total angetan von dieser Frau, ich bin immer noch verknallt. Irgendwann fühle ich mich bei ihr wohl, ohne dass sie irgendetwas bewundernswertes sagt oder macht oder anhat. Einfach die bloße Anwesenheit dieser Person gibt mir ein gutes Gefühl. Ich habe das Gefühl, dass es reichen wird. Dabei hat sich aber auch gleichermaßen eine gewisse Gewöhnung an die ursprünglich besonderen Dinge eingestellt. Man lernt vielleicht auch Schwächen kennen, die das rundum positive Bild der Person erschüttern können - die sagt nie "Danke" zur Bedienung im Café, mit dem Argument "wieso sollte ich dankbar sein dass jemand seinen Job macht, ich danke der Supermarkt-Kassiererin ja auch nicht dafür, dass sie den Joghurt scannt". Dieses Steinchen wird also nie rüberlegt werden, oder ich muss es zerkleinern und ein paar Brösel drüben lassen, dieses bekannte "naja, nicht ganz perfekt, aber größtenteils". Trotzdem finde ich die Frau natürlich prinzipiell weiterhin toll, und ich habe Vertrauen zu ihr. Das ist der Moment, wo es vielleicht zum ersten Mal zu einem Streit kommt, weil man sich eben in diesem Vertrauen öffnet und dann enttäuscht wird. Wenn man dann momentan nicht gut zu sprechen ist auf diese Person aber sich grundsätzlich im Klaren darüber ist, dass man sich natürlich wieder vertragen und selbstverständlich auch wieder vollkommen vertrauen wird. Vielleicht ändern sich auch die Prioritäten, und die Makel werden weniger wichtig - die "Keine Liebe"-Waagschale wird leichter. Oder ich lerne, gewisse Vorzüge erst so richtig zu schätzen - die "Liebe"-Waagschale wird schwerer. Und irgendwann kippt es - das Verknalltsein ist dem Verliebtsein gewichen.
Mit derselben Analogie lässt sich übrigens auch wunderbar drüber philosophieren, wieso manche Beziehungen durch Veränderungen scheitern und manche sich einfach nur weiterentwickeln. Wenn ein Steinchen wieder zurück gelegt werden muss, beispielsweise weil sich die gemeinsamen Aktivitäten zerschlagen haben oder der Sex langweiliger geworden ist, dann hängt es davon ab, wie wichtig/schwer dieses Steinchen (noch) ist, und ob vielleicht andere im Laufe der Zeit rübergewanderte Steinchen das ausgleichen können. Manchmal ist ein Steinchen (z. B. "guter Sex") so schwer geworden, dass er alleine die Beziehung hält. Bröckelt er, kippt die Waage sofort zurück - die Beziehung bricht auseinander.