An dieser Stelle endet die Geschichte von Karla und Frank.
Sie haben sich gefunden und sich lieben gelernt. Haben sich verschlungen, mit anderen geteilt und sich gegenseitig den anderen gegönnt.
Ihre Liebe ist grenzenlos und ihr gegenseitiges Vertrauen ist das Fundament für eine glückliche Zukunft.
Sie werden heiraten, Kinder bekommen, ihre Familien achten und lieben. Und sie wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können.
Nur was sie zu dem Zeitpunkt, an dem wir uns mit der Geschichte gerade befinden, nicht wissen ist, dass schon ein Jahr später nichts mehr so sein wird, wie es war.
Herbst 1989
Für so ziemlich jeden in diesem Land wird sich fast alles ändern. Familien werden sich ändern, entfernen, zerbrechen. Ebenso Freunde, Freundschaften und einfach nur Bekanntschaften. Für die einen werden Welten zusammenbrechen, für andere sich mit einem Schlag die ganze Welt auftun.
Frank wird nach seinem Wehrdienst, den er mehr schlecht als recht abgedrückt hat, zurückkehren in seine Porzellanfabrik. Er wird nach der Hochzeit eine kleine Wohnung bekommen, stellvertretender Werkstattmeister im Musterbau werden und seine Karla auf Händen tragen.
Bis eines Tages zuerst der ein oder andere Arbeitskollege oder -kollegin nicht mehr zur Arbeit erscheint und stattdessen Männer mit ernsten Mienen ihn immer wieder fragen, ob er nicht gewusst hätte, dass die Fehlenden über Ungarn abhauen wollten.
Plötzlich wird er ohne Arbeit dastehen, weil niemand mehr Porzellan aus dem Osten haben will und stattdessen billigen Kram aus Fernost kauft.
Aber er wird seine Familie haben und seine Frau, in deren Bauch sich schon die erste Frucht ihrer Liebe entwickelt. Und dann wird es noch weitere treue Wegbegleiter geben, die ihm Halt in den unruhigen Zeiten geben werden. Sein Zeichenblock und sein Bleistift.
Karla wird eine wundervolle Hochzeit erleben. Ihre Mama näht ihr das wunderschönste Brautkleid, was dieses Land je gesehen hat. Für Untendrunter näht sie ihr einen weißen BH und einen weißen Slip aus Spitze, der vorn sich öffnet und ihre Muschi herausquellen lassen wird. Der kleine Perlenanhänger, den sie einst von Franks Oma geschenkt bekommen hat und den ihre Mama vorn über der Öffnung am Slip angenäht hat, wird vom ersten Moment an ihre Schamlippen streicheln und sie feucht werden lassen. Erst in der Hochzeitsnacht wird ihr frischgebackener Ehemann sie dann endlich von der qualvollen Gier erlösen und ihr einen nie dagewesenen Höhepunkt verschaffen.
Karla zieht zu Frank in die kleine Wohnung und ihre Eltern, auch Linda, kann sie für die nächsten Monate nur noch ab und zu sehen.
Auch für sie wird sich schlagartig alles ändern. Der Kindergarten, der zu der Porzellanfabrik gehört und in dem sie arbeiten konnte, wird genau wie die Fabrik schließen.
Für das junge Paar, das schon bald zu dritt sein wird, beginnt eine Zeit der Ungewissheit. Die Arbeit ist weg, die Gesellschaft verändert sich. Wie sieht ihre Zukunft aus? Bleibt die Liebe, bleibt die Lust? Ist das alles gerade eine Katastrophe oder eher die Chance, etwas ganz Neues zu beginnen? Etwas, von dem sie noch nicht wissen, wie und wo es sein wird.
Das Einzige was sie wissen ist, dass sie es gemeinsam versuchen und erleben wollen.
Schwere Zeiten kommen auch auf Karlas Eltern zu. Plötzlich sind die Läden voll, mit mehr oder weniger modischen Klamotten. Niemand fragt mehr nach selbstgenähten Röcken oder Hosen, nach Änderungen oder Ausbesserungen.
Nur eines macht Rosi Hoffnung. Bei einem der ersten Ausflüge in den Westen besuchen sie und Bernd einen dieser Sexshops, die es dort überall gibt. Zwar gibt es da auch tolle Dessous und andere reizvolle Wäscheteile. Aber Bernd flüstert hinterher seiner Frau ins Ohr: „Deine Slips sind raffinierter!“
Der Arbeitskeller, in dem Bernd über Jahre für die Leute deren Radios, Fernseher oder Tonbandgeräte repariert hat, verwaist immer mehr.
Plötzlich kann sich jeder für relativ wenig Geld alles kaufen. Vorausgesetzt er hat Arbeit und will sein Begrüßungsgeld nicht gerade für einen Walkman ausgeben.
Auch sein Betrieb macht dicht und der Gang zum Arbeitsamt ist für Bernd jedesmal eine Qual. „Herr Fiedler, sie sind jetzt Anfang 40. Für eine Qualifizierungsmaßnahme sind sie schon zu alt!“
Trotzdem lassen sich Rosi und Bernd ihren Optimismus nicht nehmen und ihre Freundschaft zu Lisa und Harry wird vielleicht schon bald ein fester Anker für sie werden, der sie davor bewahrt, ins Bodenlose abzudriften.
Die Wege von Christine und Ruth werden durch die Wellen der Zeit verwischt.
Christine gleitet in Berlin in tiefe Gräben des Lebens ab und schafft es erst einige Jahre später wieder, ihrem Leben eine Richtung und einen Sinn zu geben.
Zum ersten Mal in ihrem Leben stellt Ruth irgendwann fest, dass sie es, im Gegensatz zu vielen anderen, eigentlich ganz gut gemeistert haben wird. Sie trennt sich von ihrem gewalttätig perversen Mann und nutzt ihre medizinische Ausbildung für eine vielversprechenden Neustart.
Lisa und Harry sind Lebenskünstler. Sie verkriechen sich eine Zeit lang auf ihr Grundstück und beginnen, Pläne zu schmieden. Ob dabei Rosi und Bernd eine Rolle spielen werden, ist für sie noch nicht klar. Aber sie halten den Kontakt aufrecht und besuchen sich gegenseitig weiter sehr gern und sehr oft. Dass es dabei jedesmal sehr heiß und geil her geht, ist für sie Glück und Erfüllung. Auch wenn das Arbeitslosengeld knapp ist und die früheren feinen Freunde aus dem Westen plötzlich sich mehr nach Polen und Ungarn orientieren.
Linda und Torsten nutzen die Gunst der Stunde und lassen in Ungarn alles hinter sich. Die offene Grenze ist für sie wie ein Tor in ein freies Leben, auch wenn sie schon sehr bald feststellen werden, dass das mit der Freiheit nur bedingt stimmt und so manches Gut gemeintes oft nur auf dem Papier steht.
Aber auch sie halten aneinander fest, ignorieren auch in der neuen Heimat das Gerede der Leute über den Altersunterschied und schaffen sich schon bald ihr kleines, privates Glück.
Von ihrem ersten Geld kaufen sie sich ein Telefon mit Nummernspeicher. Ganz oben steht da: „Karla und Frank“.
Die anderen kleinen und großen Helden dieser Geschichte werden auf ganz unterschiedlichen Wegen in die Zukunft gehen. Mal resignierend, mal euphorisch und ungestüm, mal schnell auf den Boden der Realitäten zurückgeworfen und trotzdem wieder aufstehend.
Hilde, die lebenslustige, aufgeschlossene Fotografin wagt trotz ihres Alters noch einmal einen großen Schritt und eröffnet ein kleines Fotostudio.
Udo, der unauffällig lebende Nachbar bekennt sich endlich offen zu Michael, dem Straßenbahnfahrer und beide wohnen von nun an zusammen in der Altbauwohnung.
Robert, der Hausmeister aus dem Internat, packt sein gesamtes Werkzeug in einen Koffer und fliegt in Richtung Kanada. Das Geld dafür hat ihm seine Mutter gegeben, die noch kurz vor ihren Tod ihren gesamten Schmuck verkauft hat.
Elfriede, die sexuell vernachlässigte Kollegin aus der Porzellanfabrik, wird lange arbeitslos sein. Ohne Mann und mit den Kindern, die nach wie vor ihre Aufmerksamkeit brauchen, stellt sie ihre eigenen Bedürfnisse immer wieder hintenan.
Wenn sie am Wochenende im Discounter die günstigen Angebote zusammensucht, bemerkt sie lange Zeit nicht, wie ausgesprochen freundlich die Kassiererin an der Kasse sie anspricht.
Bis sie sich eines Tages mal auf einen Kaffee treffen und über ihr Leben quatschen.
Andreas, Franks bester Freund von der Armee, sieht seine Zukunft in der Politik. Mit seinen umweltorientierten Werten findet er bald eine Heimat und wird schon bald auf großen Wahlplakaten zu sehen sein. Klar, dass Frank ihm seine Stimme geben wird.
Was da gerade in diesem zerrissenen Land passiert, werden wohl die meisten erst Jahre später verstehen.
Auch ich habe lange gebraucht, um diese neue Welt, in der wir von einem Tag auf den anderen geschmissen wurden, zu verstehen.
Was ich dabei aber sehr schnell verstanden habe ist, dass es immer und überall tolle, offene, hilfsbereite Menschen gibt, mit denen man gern seine Leben und seine Ideen teilt.
Leider gibt es auch überall die anderen – die Idioten, Ignoranten, Selbstgefälligen.
Zum Glück sind die in der Minderheit!
Bleibt gesund, genießt das Leben! Und wer weiß? Vielleicht lesen wir uns irgendwann hier mal wieder.
Euer lennox59