Ich erzähle mal von mir ...
Ich war 30 Jahre im Pflegeberuf und bin inzwischen eine von denen, die das Handtuch geworfen hat, obwohl in dem Bereich ja Fachkräfte händeringend gesucht werden.
Warum ich das getan habe, hat tatsächlich erst in zweiter Linie mit der nicht mehr zu bewältigen Arbeit, der daraus resultierenden menschenunwürdigen Pflege, der nicht planbaren Freizeit (ständiges Einspringen im Frei) und weiteren schrecklichen Arbeitsbedingungen zu tun, wobei auch all das schon Grund genug wäre, den Beruf zu verlassen...
Für mich entscheidend war aber, dass sich die Kollegen - berechtigt - alle beschweren, aber tatsächlich niemand den Mund aufmacht, wenn es zählt.
Schon morgens bei der Übergabe lange Gesichter, Frust und teilweise sogar Tränen... extreme Ausfälle durch Krankheit, ABER sobald es ans Dokumentieren geht, hat wieder niemand ehrlich weggelassen, was nicht zu schaffen war.
Es wurde die perfekte Pflege dokumentiert und das auch dann, wenn nur 2 Pflegekräfte für 40 pflegebedürftige Menschen im Dienst waren.
Keiner hatte den Mut irgendwas als "unerledigt" zu kennzeichnen, da die Angst mittippte, wegen Unterlassung wichtiger Tätigkeiten ermahnt zu werden. Diese gefälschte Dokumentation wurde sogar "von oben" erwartet - dass es so läuft, weiß jeder.
Wenn man nun als Einzelne hingeht und das furchtbare "Spiel" nicht mitmacht, so zeigt man natürlich den Anderen deutlich, was falsch läuft. Das ist zwar eigentlich im Sinne aller, denn nur so lässt sich was beweisen - und verändern, aber ... aus Angst zieht niemand mit, man ist sehr unbeliebt und die Folge ist Mobbing übelster Art.
Authentizität? Hm.... Fehlanzeige. Na ja... die Angst ist authentisch.
Zunehmend wurden in den letzten Jahren ungelernte Mitarbeiter eingestellt. Oft alleinerziehende Mütter oder Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit. Super liebe Menschen, die Tolles geleistet haben, ABER die in besonderer Abhängigkeit sind - die den Mund nicht aufmachen können, da sie auf den Job angewiesen sind.
Da ist man irgendwann als Pflegefachkraft, die in der Gewerkschaft ist, die auf ihr Recht zu demonstrieren gebrauch macht und die an die Geschäftsleitung Überlastungsanzeigen schickt, total "unbequem". Teuer ist man nach über 26 Jahren in der gleichen Einrichtung auch noch und wenn man sich dann noch weigert, irgendwelche Dokumentationen zu "beschönigen" beginnt der Spießrutenlauf.
In dieser Situation ist es extrem schwer, authentisch zu bleiben. Man hat die Wahl zwischen "in den Spiegel gucken können" und "Mitläufer werden".
Letztendlich wählen die Kollegen entweder Letzteres, oder gehen.
Der Gesundheitsminister kann dann sagen, dass ja "keine Fachkräfte da sind" und plädiert für noch mehr Pfleger aus dem Ausland, ... Diese Menschen sind natürlich nicht schlecht im Beruf, aber von vorne herein mundtot, da abhängig von ihrer Stelle.
Als ich gekündigt habe - was mir sehr schwer fiel, weil ich meinen eigentlichen Beruf ja liebe - sind viele langjährige Kollegen nach mir auch gegangen.
Den "Kampf gegen Windmühlen", der gekämpft wird, seit in der Pflege Profite aus Aktien möglich sind etc. ... den kann man heute nicht mehr gewinnen. Time, to say "Good bye"...
Authentisch ist mEn, wer da das Handtuch wirft.
Ich mach jetzt - mit 50
- eine Weiterbildung in der Jugendhilfe und stelle fest, dass es im sozialen Bereich verdammt schwer ist, heute noch das zu finden, wo man seine Kraft sinnvoll einsetzen kann.
Ich denke - und hoffe - ich habe es für mich gefunden.
Als "gescheitert" empfinde ich mich daher heute nicht mehr, aber es bleibt doch ein bisschen das schlechte Gewissen, denn man lässt die alleine, die sich nicht wehren können:
Pflegebedürftige Menschen.
Und irgendwann werde ich - werden wir alle - vielleicht pflegebedürftig sein und... das ist ein ganz gruseliger Gedanke...