WALK
Die Stadt erstrahlte im vorweihnachtlichen Glanz. Ich legte den Kopf in den Nacken. Eisige Kristalle auf meiner Haut. Von Übermut erfüllt, streckte ich die Zunge heraus, schmeckte den Schnee. Passanten, die an mir vorbeizogen, um noch schnell die letzten Weihnachtsgeschenke einzukaufen und ich, unbeweglich und doch voller Unruhe, die dem äußeren Anschein widersprach.
In den letzten Jahren verlief mein Leben nach einem gewissen Muster. Ein Muster, das ich selbst erwählt hatte und mir seit geraumer Zeit die Luft abdrückte. Eine Windböe ließ mich frösteln, erinnerte mich daran, dass ich unter dem Mantel nur ein kurzes schwarzes Kleid trug.
Vor der Bar, in der meine Verabredung wartete, haderte ich mit mir:
Geh heim und zieh dir eine Unterhose an! Du machst dich lächerlich in deinem Alter. Klarer Fall von verfickter Midlifecrisis! Du kaufst dir eine Harley. Oder nein, eine rote Wespa! Da kannst du einen großen Einkaufskorb vorne beim Lenker montieren lassen, denn eine Harley mit einem großen Einkaufskorb sieht ein bisschen dämlich aus. Ahhh! Denke nicht an den Alltag, denke an die große Freiheit: The Doors! Gut, der gute Jim düste nicht mit einer Harley über den Highway, sondern … war das ein Mustang? Egal. „L.A. Womaaan, L.A. Womaaan ...!“
„Entschuldigung, können Sie bitte …“
Erschrocken hielt ich mir die Hand an die Brust. Ich blockierte den Eingang, trat rasch zur Seite und überlegte fieberhaft, ob ich den Refrain leise gesungen hatte. Da mich der ältere Herr nicht ansah, während er mir höflich die Türe aufhielt und mir damit die Entscheidung abnahm, schwante mir schreckliches. Ich bedankte mich mit krächzender Stimme und klackerte forschen Schrittes in die Bar.
Wir hatten ausgemacht, dass er rechts, neben dem Eingang an einem der kleinen Tische sitzen würde. Ich drehte mich seitlich, sog die Luft ein und vergaß so etwas Unwesentliches wie Ausatmen.
Ich hatte schon einige Begegnungen in denen ich meine Verabredung anfangs nicht erkannt hatte. In diesem Fall sah er genauso gut aus, wie auf dem Foto. Hüftschwingend – dezent eingesetzt – ging ich auf ihn zu.
„Guten Abend!“, sagte ich mit rauchiger Stimme.
Seine Begrüßung war ein leichtes Kopfnicken, was den ersten Unwillen in mir auslöste.
„Setz dich!“
Ich gehorchte automatisch. Dieser Befehl, ausgesprochen im gelassenen Ton, löste alles mögliche in mir aus. Er fixierte mich und strahlte dabei eine absolute Ruhe aus. Es ist schwer zu beschreiben. Irgendwo hatte ich gelesen, dass der erste Moment ausschlaggebend sei und ich konnte das in diesem Moment, bis zu einem gewissen Grad, nachvollziehen. Er war sich seiner bewusst und ich nahm ihm mit jeder Pore seine Dominanz ab.
Ich nippte an dem Glas Weißwein, das ich bestellt hatte, in der Hoffnung, dass sich meine Anspannung legen würde. Als ich schon glaubte, mein Ziel erreicht zu haben meinte er belanglos:
„Spreiz die Beine und zeig mir, ob du rasiert bist!“
Ohne zu überlegen, gehorchte ich, schob das Kleid hoch. Sekunden kamen mir wie Minuten vor. Gerade als ich dabei war die Beine wieder zu schließen, hielt er mich auf:
„Ich habe dir nicht erlaubt die Beine zu schließen. Du kannst dein Glas austrinken und gehen oder du machst, was ich sage!“
„Ja, mein Herr“, antwortete ich und wunderte mich gleichzeitig, wie schnell ich seinem Befehl nachkam. Ich stand mit beiden Beinen im Leben und doch erregte mich seine Bestimmtheit. Mir wurde jede Entscheidung abgenommen, was für eine Erleichterung!
„Der Barkeeper beobachtet dich“, meinte er süffisant. Meine Oberschenkel zitterten, doch ich zwang mich, nichts an meiner Position zu ändern oder nachzusehen, ob seine Behauptung stimmte. „Sehr schön, du darfst dich bedecken.“
Als ich meine Oberschenkel aneinander rieb, fühlte ich die Nässe dazwischen.
„Bist du geil?“, wollte er wissen.
„Ja“, war meine ehrliche Antwort.
„Gut.“ Er legte eine Karte auf den Tisch. „Wenn du ausgetrunken hast, nimmst du die Karte, gehst damit ins Hotel und fährst mit dem Lift in den 4. Stock. Du öffnest damit das Zimmer 446 und lehnst die Türe nur an. Im Fernseher läuft ein Musiksender, den lässt du an. Warte auf mich, kniend, die Beine geöffnet, die Handflächen nach oben auf den Oberschenkel aufliegend, den Blick auf dem Bildschirm gerichtet und bewege dich nicht!“
Der kühle Wein benetzte meinen trockenen Hals. Es sollte mir peinlich sein, wie schnell ich das Glas leerte, doch dem war nicht so. Ich wusste, dass ich mich fügen würde und fühlte mich seltsam stark dabei. Deshalb war mein Lächeln verrucht und nicht unsicher, als ich das Glas auf den Tisch stellte und die Karte nahm.
Klack, klack, klack …. In der Hotellobby bildete ich mir ein, dass alle Augen auf mich gerichtet waren. Speziell, als ich an der Rezeption vorbeikam, hatte ich ein ungutes Gefühl, ganz so, als würde ich jeden Moment als ungebetener Gast auffliegen.
Endlich im Lift, musste ich „Last Christmas“ über mich ergehen lassen, was so gar nicht meiner Stimmung entsprach.
Vor dem Zimmer geriet ich in Panik, als ich die Karte ins Schloss steckte und sich nichts tat. Ich schloss die Augen.
Oh mein Gott, best Sub ever! Du hast in deiner Schusseligkeit, die Nummer verwechselt. Ist es womöglich 464? Wie absolut peinlich! Soll ich im Flur stehen bleiben oder davonlaufen?
Ich drehte die Karte um, versuchte es noch einmal und mir wurden vor Erleichterung die Knie weich, als sich die Türe öffnete.
Schnell ging ich ins Zimmer, lehnte die Türe nur an. Ich sah mich um. Ein Musiksender lief, wie angekündigt. Ich stockte in der Bewegung. Auf dem weißen Bettlaken lag ein rotes Seil. Eigentlich hatte ich keine Zeit, trotzdem verweilte ich kurz, konnte mich der Symbolik nicht entziehen. Ich riss mich von dem Bild los, zog mich hektisch bis auf die halterlosen Strümpfe und dem Unterbrustkorsett aus. Wie gewünscht, kniete ich mich auf den Boden, lege die Hände auf die Oberschenkel und starrte auf den Bildschirm. Wie absolut bezeichnend, dass in diesem Augenblick von den „Foo Fighters - Walk“ lief.
Ich hatte mich auch verloren im Hamsterrad, das Alltag hieß. Ich war dabei wieder gehen zu lernen, denn ich war lange genug gelaufen, war vor meinen Bedürfnissen davongelaufen. Dave Grohl, der mit seiner Gitarre allen mögliche Widrigkeiten ausgesetzt war, verschwamm vor meinen Augen. Ich wischte mir wütend eine Träne aus dem Augenwinkel. Musik hatte so eine Wirkung auf mich.
Wieder im hier und jetzt war Zeit ein zähflüssiger Brei. Ich versuchte vergeblich meine innere Mitte zu finden, die mir den Mittelfinger zeigte und mein Herz schneller schlagen ließ.
Wie lange muss ich noch warten? Was ist, wenn jemand anderer ins Zimmer kommt und mich mit nacktem Allerwertesten sieht? Warum zum Kuckuck bin ich geil, wenn ich Angst habe? Ist das Staub unter dem Schreibtisch? Echt mieselsüchtig für einen Fünfsterneschuppen, das darf nicht ...
Die Türe wurde zugemacht und mein Blick schnellte zum Bildschirm. Als ich seine Schritte hörte, zwang ich mich, ganz ruhig zu bleiben. Ich fühlte seine Gegenwart, wusste, dass er genau hinter mir stand. Trotzdem erschrak ich, als ich seine Hände auf meinen Schultern spürte. Er beugte sich zu mir hinab, sagte leise, sodass sich die feinen Härchen auf meinen Unterarmen aufstellten:
„Böse Sub, ich sagte doch, du sollst dich nicht bewegen!“
„Entsch... Auuu!“ Ich konnte den Satz nicht beenden, denn er packte mich an den Haaren, zog meinen Kopf nach hinten. Seine dunklen Augen durchbohrten mich, schienen jede noch so verborgene Ecke meiner Seele zu durchforsten. Ich atmetet laut, spürte, wie sich meine Brustwarzen steif nach oben reckten. Sein Blick wanderte über meinen Hals, er bemerkte es ebenfalls. Er kniff fest zu, zog daran.
„Ahhh … bitte, mein Herr!“
Er ließ mich los „Steh auf, Hände in den Nacken!“
Ich gehorchte, hielt den Kopf gesenkt und war mir jeder Narbe, den Kilos, die ich zu viel hatte und jeder noch so kleinsten Unebenheit meines Körpers bewusst, während er mich angezogen, im Anzug, umrundete.
„Ist das die richtige Haltung einer Sub? Du musst noch viel lernen!“
Ich hob den Kopf, drückte die Schulter durch. Meine Wangen fühlten sich heiß an, als er vor mir stehen blieb. Er hatte schöne Hände, stellte ich fest und sah dabei zu, wie er seine Krawatte lockerte.
„Drei Verfehlungen und das, bevor wir überhaupt angefangen haben. Ich glaube nicht, dass du meine Mühe Wert bist“, meinte er nonchalant.
In mir brodelte es. Das hatte ich nicht nötig! Von dem abgesehen, dass Dom nicht zählen konnte. Ich ließ die Hände fallen, bedeckte meine Brüste und fuhr ihn an:
„Eine Verfehlung, eine!“
Er sagte lange nichts, ließ mich schmoren. Ich war mir sicher, dass er mein Unbehagen genoss. „Es sind mittlerweile fünf Verfehlungen. Was soll ich nur mit dir machen?“
Meine devoten Gedanken verflüssigten sich, liefen den Bach hinunter und ich war kurz davor, ihm an die Gurgel zu gehen, wenn, ja wenn ich nicht so absolut geil gewesen wäre.
Sein Finger fuhr meine Unterlippe entlang. „Aufmachen!“
Ich gehorchte und saugte hingebungsvoll an seinem Finger.
„Das machst du ganz gut, wenn das ein kleiner Vorgeschmack auf das Kommende ist, dann wird der Abend vielleicht doch kein Reinfall.“
Ich verstand noch immer nicht, weshalb ich mich erniedrigen ließ, es mich erregte, während ich mich gleichzeitig schämte.
„Nummer 1 – du hast nicht auf den Bildschirm gesehen, 2 – deine Handflächen waren nicht offen, sondern auf den Oberschenkeln aufliegend, 3 – falsche Haltung beim Stehen, 4 – du hast die von mir angeordnete Haltung nicht beibehalten, 5 – du hast mir widersprochen.
Du hast zwei Möglichkeiten: entweder du nimmst das Seil vom Bett, lässt dich von mir fesseln und empfängst anschließend zwanzig Schläge oder du gehst!“
Ich hasste ihn, ich begehrte ihn, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, somit bestand meine Antwort darin, ihm kniend das Seil zu überreichen.
*
Das rote Seil umschlang meinen Körper, beengte mich, beschützte mich, nahm mir die Freiheit und gab mir Frieden. Die Schläge, die auf mein Fleisch trafen, taten ihr übriges, um mich ganz zu fühlen.
Dreams 9/2019