„Inspiration und abgesprochene Sexualität
Wenn Behinderung und Sexualität in den Medien dargestellt werden oder auch einfach in privaten Unterhaltungen Thema sind, stoße ich immer wieder auf zwei Standpunkte:
1. Inspiration
Wenn jemand "trotz" der Behinderung ein normales Leben und in diesem Fall eine normale Sexualität lebt, wird das häufig als Quelle der Inspiration dargestellt. Ich kenne die Perspektive auch aus der des Partners. Oft hört man Aussagen wie: "Das ist so toll von dir, dass du mit xy zusammen bist trotz der Behinderung." Dass so etwas überhaupt vorkommt, liegt häufig daran, dass folgende Annahme besteht:
2. Abgesprochene Sexualität
Dass auch behinderte Menschen sexuelle Bedürfnisse haben, scheint vielen fremd und abwegig zu sein. (Warum auch immer.) Wenn dann in der Öffentlichkeit sichtbar ist, dass die so wahrgenommene Begleitperson nicht etwa ein Familienmitglied oder eine Pflegekraft ist, sondern ein (Sexual-)Partner stößt man damit schonmal auf überraschte Gesichter. ("Dürfen die das?")
Wie geht ihr mit den jeweiligen Einstellungen um? Begegnet euch so etwas oft im Alltag? Wie reagiert ihr darauf?
Auch ich erlebe das immer wieder (sobald die Leute von meiner Behinderung wissen).
Ich finde diese Einstellung völlig veraltet und ohne Begründung.
Sexualität ist ein Trieb, der sich nicht durch eine Intelligenzminderung, eine körperliche Behinderung oder seelische Behinderungen unterdrücken lässt.
Dazu gab und gibt es leider immernoch das Thema der Zwangssterilisation (§1905 Abs. 1 S. 5 BGB), die auch in unserem Gesetz noch erlaubt ist, wenn die betreffende Person nicht in der Lage ist eine Schwangerschaft anderweitig zu verhüten oder sie verhütet werden kann. Jene betrifft auch nur die Frau, weil ein Mann, egal ob behindert oder nicht, in unserer Gesellschaft erstmal mit dem Thema Kinder kriegen nicht assoziiert wird.
Das aber nur am Rande.
Zurück zum Thema.
Ich habe die Erfahrung, dass vor allem bei behinderten Menschen immer davon ausgegangen wird, dass sie zwanghaft Kontakt suchen, weil sie "niemand anderes" haben wöllte, man also zwangsläufig von einer gestörten Sexualität ausgeht, wenn man merkt, dass eine vorhanden ist.
Deshalb wurde ich schon oft verdächtigt, ich würde anderen Leuten hinterherstalken.
Dies kam komischerweise insbesondere bei Frauen vor, obwohl ich heterosexuell bin.
Dabei bin ich meistens einfach nur ein netter Mensch und habe keine sexuellen Absichten.
Da wird selbst die nette Begrüßung am Morgen schnell mal fehl gedeutet.
Sagt man dann nichts, ist es auch nicht recht.
Die andere Variante ist, dass man einfach davon ausging, dass ich kein Bedürfnis nach Sexualität habe.
Es kursiert immernoch das Gerücht, dass Autisten keinen Kontakt wünschen, folglich auch keine körperliche Nähe wollen, folglich keine Sexualität haben.
Sagt man dann, dass man einen Partner hat, so heißt es gleich, die Diagnose würde nicht stimmen.
Auch bei manchen Ärzten. Daher bin ich eigentlich gezwungen meine Sexualität so auszuleben, als ob es ein Drogengeschäft im Darknet wäre.
Ich habe nur auf Ersteres reagiert, in dem ich gesagt habe, dass ich auf Männer stehe bzw. Stalking nicht meine Absicht ist, da ich bei Interesse an einer Partnerschaft offensiv vorgehe. Wieso sollte ich mir die Mühe machen und irgendwelche Zeichen von mir geben, wenn ich weiß, dass...
1. Ich höchstwahrscheinlich keine Chance habe, mit demjenigen eine Beziehung einzugehen, weil er z.B. mein Vorgesetzter ist.
2. Ich autistisch bin und dazu nicht in der Lage wäre.
3. Es auch einfach geht.
Meistens geht man wohl davon aus, weil ich eine Frau bin. Dieser Gedanke ist allerdings sexistisch, weil Schüchternheit auch auf Männer zutreffen kann und das Abtiteln von Frauen als allg. schüchtern dazu dient, sie schwächer hinzustellen.
Für Letzteres gibt es keine Umgangsweise. Man kann den Glauben der Menschen nicht ändern.
Wenn jemand glaubt, du hast als Autist keine Sexualität, dann kann man das nicht ändern.
Solange derjenige nichts mit meiner Diagnostik zu tun hat, ist es mir auch egal.
Bei Ärzten hilft nur ein Arztwechsel, das sind Sturköpfe.
Merkt euch also bitte: Autismus oder jeglich andere Behinderung haben aufgrund des Urtriebs nichts mit Asexualität zu tun.
Umgekeht hat Asexualität auch nichts mit einer Behinderung zu tun.