Oh Mann - was für eine Tol(le)eranz hier doch herrscht!
Also liebe Vorredner und Vorrednerinnen,
irgendwie erscheint mir diese Diskussion hier (wie alle Diskussionen, bei denen es mehr oder weniger um "Sex außerhalb der Partnerschaft" geht) größtenteils ziemlich daneben.
Hier werden sich Argumente um die Ohren gehauen, die bei näherer Betrachtung alle moralisch äußerst zweifelhaft sind.
1.) Sichtweise derjenigen, die Sex außerhalb der Partnerschaft ohne Wissen des Partners haben
Ich finde es blauäugig, sich (und anderen) einzureden zu wollen, dass es kein "Betrügen" ist, das hier in einem solchen Falle stattfindet. Natürlich ist es das, denn ich tue etwas im Heimlichen und belüge meinen Partner dafür auch. Ob es ein aktives Belügen ist i.S.v. Leugnen oder Storys auftischen oder ob es ein passives Belügen ist, in dem ich einfach schweige in der Hoffnung, dass schon nichts rauskommen wird, ist dabei moralisch gesehen meier meinung nach irrelevant.
Genau so blauäugig ist es zu glauben, dass keine Emotionen im Spiel sind, wenn ich "fremden" Sex habe. Genau aus diesem Grund suche ich doch die fremde Haut, um einen Kick zu verspüren, um das Kribbeln zu erleben. Wer das leugnet, von dem möchte ich schon gerne wissen, was dann für ihn ein Orgasmus beim Sex ist.
Gleichwohl aber finde ich es durchaus nachvollziehbar, dass eine Partnerschaft auch dann eine glückliche Partnerschaft ist, wenn es z.B. beim Sex nicht so läuft, wie es einer der beiden gerne hätte. Wer kann heute schon von sich behaupten, dass er den 100%igen Match-Partner gefunden hat. Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen und es obliegt nur dem jeweiligen Partner, für sich zu definieren, ob die Partnerschaft trotz dieser Schwächen eine Glückliche ist. Von daher habe ich kein Verständnis, wenn Andere in diesem Forum (oder sonstwo) sich anmaßen, dieser Person das individuelle Gefühl einer glücklichen Partnerschaft (mit bzw. trotz einem bestimmten Mangel) abzusprechen und zu behaupten, dass dies dann keine glückliche Beziehung sein kann. Dies ist eine sehr intollerante Einstellung sowie eine diskreminierende und nicht wertschätzende Aussage mit sehr arrogantem Unterton.
Auch finde ich es bei genauerer Betrachtung nachvollziehbar, dass Mann oder Frau in einer solchen Situation für sich abwägt, ob die glückliche Beziehung eher dann glücklich bleiben kann (oder noch glücklicher werden kann), wenn unter Kalkulation aller damit verbundener Risiken und Betrügereien ein Fremdgehen gesucht wird oder eher der Verzicht (und damit verbundenes Leiden) gewählt wird. Das ist eine sehr schwierige Entscheidung, denn sie führt wie auch immer nie zu einer Win-win-Situation.
2.) Sichtweise derjenigen, die Sex außerhalb der Partnerschaft mit Wissen des Partners haben
Ich finde, es ist eine bewundernswerte Partnerschaft, wenn beide Partner in dem Wissen, dass der jeweils Andere nicht alle sexuellen Vorlieben erfüllen kann, sich gegenseitig das Recht einräumen und die Toleranz schenken, fremde Haut zu geniessen. Dies hat aber die grundlegende Voraussetzung, dass beide in sexueller Hinsicht die gleichen Moralvorstellungen in die Partnerschaft einbringen oder in der Partnerschaft entdecken/entwickeln.
Aber ich gebe genau diesen Vertretern hier im Forum zu bedenken, dass dies genau so ein bewußtes (oder auch unbewußtes) Kriterium zum Eingehen einer glücklichen Partnerschaft ist, wie z.B. das beide Veganer/Fleischesser sind, (nicht)rauchen, es lieber im Dunklen/Hellen tun, den sportlichen/molligen Typ bevorzugen, gleiche politische Gesinnung haben, die gleichen Hobbys betreiben und und und. Mal ehrlich, bei wem von Euch sind lediglich diese kleine Auswahl an bewußten/unbewußten Entscheidungskriterien für eine Partnerschaft identisch ausgeprägt. Und wer würde diese Liste nicht unendlich fortführen, wenn es darum geht, warum sich zwei Menschen finden? Dies sind rein rhetorische Fragen, weil die Antworten bei der weitaus größten Mehrheit von Euch klar ist, oder? Von daher könnte man im Umkehrschluß auch behaupten, dass Euer gleiches Verständnis von Ausleben der eigenen Sexualität auch nur ein Kriterium von Unmengen anderer ist, dass ihr zusammengefunden habt. der einzige Unterschied zu der unter 1.) aufgeführten Gruppe ist, dass es Euch wichtiger ist für die Definition einer glücklichen Beziehung.
Ich würde mir hier etwas weniger Scheuklappendenken und Absolutheitsanspruch für eine "glückliche Beziehung" wünschen.
Ihr könnt über genau dieses Thema gut miteinander reden, weil Ihr beide gleiche "Gesinnung" habt - aber bedenkt, dass es auch Beziehung gibt, bei denen das (auch trotz professioneller Hilfe wie z.B. Paartherapie) eben nicht geht.
3.) Sichtweise derjenigen, die Sex mit anderen nur gemeinsam mit dem eigenen Partner haben
Hier meine ich vor allem die Swingerclubfraktion unter den Diskussionsteilnehmern. Im Grunde genommen könnte man bei Euch die gleichen Sichtweisen aufführen wie unter 2.). Allerdings ist Eure Moralvorstellung schon noch eine andere, denn Ihr sichert Euch die gegenseitige Kontrolle über das Ausleben der Sexphantasien des anderen und gesteht Euch diese Kontrolle gegenseitig zu. Seid Ihr beim Sex des Partners nicht dabei, dann ist es für Euch fremdgehen. Das ist aus meiner Sicht eine Art sybillinische Lösung des ganzen Konfliktes beim Wunsch nach fremder Haut. Aber auch hier bedarf es gleicher Moralvorstellungen zum Thema Sex und Treue.
Bedenkt, dass das, was aus Eurer Sicht moralisch vertretbar ist, für sehr sehr viele in diesen Foren hier ebenfalls außerhalb der Definition einer glücklichen Partnerschaft ist (siehe unter 4.). Genauso gut könnte auch durchaus die Sichtweise gelten, dass, wer überhaupt Sex mit anderen ausser dem Partner braucht, nicht in einer glücklichen Beziehung leben kann.
4.) Sichtweise derjenigen, die grundsätzlich keinen Sex außerhalb der Partnerschaft praktizieren wollen
Auch Eure Sichtweise der Dinge ist durchaus nachvollziehbar. Denn Ihr habt ein klares, eindeutiges Verständnis von Treue in der Partnerschaft - nämlich man hat keine Geheimnisse in der Partnerschaft (zumindest auf sexuellem Gebiet), weil es kein in die Tat umgesetztes Geheimnis gibt, gegeben hat bzw. geben wird. Ich finde, gegen diese Einstellung gibt es nun wirklich gar nichts zu sagen, denn sie ist in vielen Religionen und Kulturkreisen ein zentraler Wert. Und für Euch zeichnet sich eine glückliche Partnerschaft eben genau durch diese Attribute der Treue, sexuellen Enthaltsamkeit außerhalb der Partnerschaft und gegenseitiges nicht mißbrauchtes Vertrauen aus.
Was ich schade finde, dass hier teilweise auch dieses Verständnis als absolut und einzig richtig angesehen wird. Wieso denn nur??? In den 60iger Jahren gab es Moralströmungen, die genau das Gegenteil zu ihren Werten erhoben und gelebt haben (Stichworte: Kommunen, freie Liebe usw.). Vieles, was damals absolut undenkbar war (ein solches Forum gehört ebenfalls zu diesen undenkbaren Dingen) ist heute normal und die Leute vor dieser Zeit sind in unseren Augen eher verklemmte Spießer gewesen. Hand aufs Herz, wer von Euch hat (große gelebte Moralregel der Zeit vor der sexuellen Revolution) hat mit dem Sex bis in die Ehe gewartet, hat Kinder ausschließlich ehelich bekommen, hat erst eine Beziehung sauber abgeschlossen, bevor die nächste eingegangen wurde. Wie heißt es so schön "Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein". Das Argument, dass es ja in der Partnerschaft schon nicht mehr gestimmt hat, als jemand fremdgegangen ist, wäre da dann schon ziemlich paradox, oder? Denn Ihr habe den anderen auch in einer kaputten Beziehung verletzt!!! Was ich damit sagen will, ist, dass Ihr nicht vergessen dürft, dass das, was für Euch die einzig wahre und wirkliche glückliche Beziehung für Eure Eltern noch Teufelswerk war und für Eure Kinder vielleicht total spiessig sein wird. Es könnte sein, dass die aus Eurer Sicht Fremdgeher in dr Zukunft Mainstream sind. Von daher wäre es ein zeichen von gegenseitiger Wertschätzung, wenn ihr versuchen würdet, die anderen zu verstehen. Das heißt ja nicht, ihn und seine Verhaltensweisen zu akzeptieren - aber auch nicht, ihn in die Ecke zu stellen und mit dem erhobenen Moralfinger verabscheut auf ihn zu zeigen.
Wobei ich jetzt durchaus zugestehen möchte, dass gerade in dieser Gruppe 4 sehr viele dabei sind, die tatsächlich immer die eigenen Moralvorstellungen konsequent befolgt haben.
So - das ist nun ziemlich viel Text geworden, aber mir brennt es nun schon Monate auf der Zunge - wann immer ich diese teilweise sinnlosen, absurden und gegenseitig nicht wertschätzenden Diskussionen verfolge. Ich habe es in einem anderen Beitrag schon mal geschrieben, dass ich ziemlich entsetzt bin, wie in einem scheinbar toleranten Forum genau diese Toleranz teilweise einzig Makulatur ist.
Schöne Grüße - ich freue mich auf spannende und stilvolle Diskussionen um die "schönste Nebensache der Welt"