Sex mit einem neuen Menschen kann naturgemäß nicht mit denselben tiefen Gefühlen stattfinden wie der Sex mit einem Menschen, mit dem man schon vertraut ist, denn diese Gefühle brauchen positiv gemeinsam erlebte Zeit um zu wachsen.
Das heißt aber im Umkehrschluss nicht automatisch, dass beim Sex mit einem neuen Menschen überhaupt keine positiven Gefühle beinhaltet. Aus dem Fehlen eines bestimmten Gefühls die Abwesenheit aller Gefühle zu schlussfolgern halte ich für voreilig.
Ich wage zu behaupten, niemand hat Sex mit "irgendwem". Selbst beim wildesten Gangbang müssen beim Auswählenden gewisse positive, wenn auch vielleicht oberflächliche, Gefühle aufkommen, sonst landet der Anwärter nicht in der Auswahl. Natürlich ist ein "du hast ein sympathisches, offenes Gesicht, benutzst ein Kondom und stinkst nicht, also mag ich dich" kein "ich liebe dich heiß und innig für immer und ewig" aber es ist auch kein seelenloses Rumgeficke mit Dildos auf zwei Beinen. Wäre man seelenlos, wäre es einem total egal, ob man denjenigen mag oder nicht, ob er einem sympathisch ist oder nicht, ob er einem gut tut oder nicht. Diese Einstellung haben aber, wenn überhaupt, nur Menschen, die sehr schlimme Dinge im Leben erlebt haben. Und das sind zwar leider mehr als genug, aber im Vergleich zur gesamten Menschheit nur so wenige, dass die meisten Menschen nie sojemandem begegnen werden.
Der zweite Punkt ist: Du, lieber TE, hast die Erfahrung gemacht in deinem Leben, dass dieses tiefe, innige Gefühl, was sich im Laufe einer positiven Liebesbeziehung aufbaut, etwas schönes, wünschenswertes und erstrebenswertes ist. Das freut mich sehr für dich. Ich darf diese Erfahrung auch machen. Ich "durfte" aber auch die Erfahrung machen, dass Traurigkeit, Emotionslosigkeit und Selbstverachtung "positive", "wünschenswerte" und "erstrebenswerte" Gefühle sind. Soll ich daraus schließen, dass alle diese Gefühle in dieser Tiefe brauchen und erleben sollen und, dass alle, die nicht so empfinden (wollen /können) nur seelenlose Roboter sind? Könnte ich. Ich könnte aber auch erkennen, dass meine Wahrheit nicht die allgemeine Wahrheit ist und, dass nicht jeder Mensch die gleichen Erfahrungen hat und deshalb in manchen Fällen ganz andere Voraussetzungen gelten als für mich und dass das mein Gegenüber nicht zu einer gefühlsleeren Hülle macht, sondern zu jemandem, der andere aber gleichwertige Gefühle hat wie ich.