Zitat von *********t6874:
„Deshalb nutze ich die Methode privat nicht, sondern nur, wenn ich keine Lust habe mich zu streiten mit mir unbekannten Menschen und eben im Beruf.
Das ist eine sehr interessante Diskussion!
Mir fällt auf, dass die positiven Beispiele nahezu alle aus dem Berufsleben stammen. Da kann die Methode vermutlich auch sehr gut funktionieren, denn -
• es ist eine zeitlich begrenzte Situation, in der eine kurzfristig Erleichterung verschaffende Lösung angestrebt wird,
• es besteht keine emotionale Bindung zu der anderen Person,
• es geht um ein dienstliches Problem, das kein persönliches oder emotionales Investment vom gewaltfrei Kommunizierenden verlangt.
Im persönlichen Umfeld, da bin ich einmal im Leben mit dem mit dem Seil d´accord, ist diese Art unterschwellige Manipulation nicht angebracht. Allein die Tatsache, dass der Andere "zu sich" bzw. "zu einem lösungsorientierten Ansatz" geführt werden soll, bedeutet ja auf der Metaebene: "ich erhebe mich über ihn, denn mein Ansatz ist ja offensichtlich der bessere" und "dadurch, dass ich seine Aufgebrachtheit nicht zur Kenntnis nehme, nehme ich ihn nicht ernst". Das ist Gewalt. Und zwar eine so unterschwellige, stichelige, dass einem davon die Krawatte schwillt, wenn der geliebte oder geschätzte Mensch das mit einem macht.
Das kann man mit Menschen machen, denen man auf der Arbeit begegnet; mit dem eigenen Freund oder Partner macht man das nicht. Früher oder später eskaliert es dann nämlich richtig - weil die Methode zwar für den Alltag ein gutes Gleitmittel ist, aber die zugrundeliegenden Probleme nicht löst. Und in Beziehungen, das habe ich in der polyamoren und beziehungsanarchistischen Szene gelernt, führt genau diese übertriebene Selbstachtsamkeit, die Ich-Kommunikation und die Freiheit von Forderungen ans Gegenüber oft dazu, dass sich Egoismus und Gleichgültigkeit auf beiden Seiten breitmachen. Letztlich ist sich dann jeder selbst der Nächste - was sich echt nicht so richtig mit meiner Vorstellung von Liebe vereinbaren lässt.
Ein weiterer Bereich, den ich wirklich ausklammern würde, ist der Bereich "Stop - Du fügst mir Schaden zu". Hier sind wir nicht (wie im Video behauptet) irgendwann vor 5000 Jahren durch einen Irrtum zur Gewalt in der Kommunikation gekommen. Wenn er selbst, der persönliche Bereich, die Würde, der Wert verletzt wird, dann wird auch ein Primat aggressiv. Und selbst ein Huhn mit erbsengroßer Großhirnrinde, dem das andere auf der Stange zu nahe kommt, hackt zu. Es kommuniziert damit: hey, Du Dreckshenne, Du überschreitest eine Grenze - pass auf, ich bin bereit, sie zu verteidigen.
Dieser Mechanismus - wehrhaft zu sein - ist sehr wertvoll. Gewalt in der Selbstverteidigung und zum Schutz schützenswerten Gutes ist sinnvolle Gewalt. (Dass wir zB eine Polizei und eine Justiz besitzen, die mit Gewalt und der Androhung von Gewalt unseren Besitz und unsere körperliche Unversehrtheit schützen, finde ich persönlich echt gut.) Und das gilt genauso auch für verbale Gegenwehr, wenn mir bewusst an Ruf, Würde, Wert oder Privatbereich Schaden zugefügt werden.
Die Gruppe arabischer Männer, die mir unter der Clubdusche meine persönliche Silvesternacht bereiten wollte, habe ich nicht gewaltfrei ankommuniziert. Ich bin laut geworden, habe Hände schmerzhaft weggehebelt, habe Knie weggetreten. Ich habe andere Besucher aufmerksam gemacht, die Herren öffentlich vor dem Clubbesitzer gedemütigt und auf die schwarze Liste setzen lassen. Macht sie das zu besseren Menschen? Vermutlich nicht. Vielleicht suchen sie sich einfach woanders Opfer. Aber
mir geht es viel besser damit (<- Achtsamkeit gegen mich selbst.). Und ich glaube auch nicht, dass GfK sie zu besseren Menschen gemacht hätte.
Ein Freund von mir aus Wales meinte: "you can´t teach people decency, but you can certainly teach them manners".
Gewalt darf nicht zum Selbstzweck verkommen, aber wohldosiert macht sie Sinn. Anderen für ihr Verhalten Konsequenzen bereiten, ist in Ordnung. Sich selbst zu behaupten, ist in Ordnung. Sie ohne Provokation gegen andere einzusetzen nicht. "Tread softly, but carry a big stick" ist ein guter Leitsatz.