Schwanz bricht Genick
Das Taxi setzte ihn in der austauschbaren Tristesse einer x-beliebigen Großstadt ab. Grau, kalt, kahl. Einzig der Ausblick die Hochhäuser hinauf versöhnte ihn mit dieser Welt: Unten breitbeinig geöffnet flossen die Geraden oben zu einer Einheit zusammen. Ja, seine Geilheit bestimmte sein Weltbild. Schon wähnte er sich zwischen den Beinen von Lena, seiner Geliebten.Zauberhaft verschleiert, wenn auch verzerrt durch die Haussprechanlage, hörte er ihre Stimme begleitet von einem Summton, als sie ihm unten die Tür öffnete. Ein Aufzug schoss ihn in die Höhe zu ihr.
Beinah hätte er sie nicht wiedererkannt. In einem tannengrünen Kleid dominierte sie das Wohnzimmer, in das sie zurückgetreten war, um ihn zu empfangen. Ihre gewellten roten Haare trug sie auf die Schultern fallend offen, gespannt zeichneten sich ihre Waden oberhalb der roten Lackpumps ab, sie war dezent geschminkt, ihr Parfüm berauschte ihn - in einem Wort: Er war dieser Frau verfallen.
Warum sollte er sich für teures Geld eine Nutte kommen lassen und diese Frau einem anderen überlassen? Gut, sie war verheiratet, suchte eine Affäre, allenfalls eine Freundschaft + ; aber den Preis für das Risiko, den Verlust für das Vertrauen zahlte alleine sie, nicht er, er zahlte das Appartment, für das er ihr gerne den Zweitschlüssel überließ. Er hatte seinen Spaß und unverbindlichen, guten, heißen Sex in heimeliger Atmosphäre - was wollte er mehr!? Er wollte sich weder binden noch Verantwortung für ein Privatleben oder gar ein Kind übernehmen. Etwas Besseres hätte ihm also gar nicht passieren können. Eine klassische Win-Win-Situation. Er suhlte sich in der Gewissheit, ein Glückspilz zu sein.
Als er jetzt auf sie zutrat, hatte sie die Augen geschlossen. Immer hielt sie ihre Augen geschlossen. Nicht erst auf dem Gipfel der Leidenschaft, wenn sie in heftigen Zuckungen kam, ihre Stirn runzelte, ihre Nasenflügel kurz und wild blähte und wieder zusammenzog, mit dem Atem stockte, bis sie die tiefste Tiefe erreicht hatte und sie sich mit einem langen, rohen, rauhen, sehnsuchtsvollen tierischen Schluchzen in die höchste Höhe schnellend befreite. Dann erst öffnete sie ihre Augen, blinzelte und blickte ihn tränenfeucht dankbar an.
Er wollte sie gleich hier im Wohnzimmer nehmen. Sie sollte ihr Kleid anbehalten, auf dem Sessel sollte sie knien, damit er sie von hinten nehmen konnte, ihr Gesicht im Spiegel an der Wand. Er wollte, dass ihr Lippenstift Spuren auf dem Glas hinterließ, wenn er sie nach sie vorne drückte ... Doch sie entzog sich eigenwillig seiner Umarmung, was ihn nur noch wilder machte. "Nein! Ich will es schön," lächelte sie ihn bestimmt und über ihn bestimmend an. "Heute im Bett, im Schlafzimmer. Zieh dich hier aus. Ich geh' voran, mache alles bereit, werde dich rufen und glaub' mir, ich werde dich überraschen!" Sagte sie ihm verlockend und zwinkerte ihm zu.
Schnell eilte sie in das dunkle Schlafzimmer voran, während er fast sein Gleichgewicht verlor, denn er wollte alles gleichzeitig ausziehen, Schuhe, Hose, Hemd. - Die Krawatte behielt er an, er liebte es, wenn Lena etwas kräftiger daran zog ... Nebenan musste sie noch schneller und hektischer sein als er, er hörte Rascheln, Ziehen, Stoßen - das Echo einer paradiesischen Glückseligkeit.
Nichts hielt ihn unterdessen mehr, er stürmte in das Zimmer zu Lena. Sie stand als verheißungsvoller Schatten vor ihm, in die dünnen Überwurfdecke gewickelt. Er musste sich endlich Erleichterung verschaffen, riss ihr das Laken vom Leib, presste seine Lippen auf ihre, spürte und umschlang ihren kraftvollen, sehnigen Körper, wollte ihren Busen küssen, sein Gesicht in diesem warmen, weichen Labsal vergraben ... verflucht! Was war das!? Zum Teufel!!!!
Mit einem Mal wurden die Rolläden mit explosivem Krach hochgezogen, gleißend drang das Sonnenlicht in den Raum, Blitze gingen los und der Auslöser einer Kamera hämmerte fein "klick, klick, klick!"
Geschockt, voller Schreck hielt er noch immer den fremden Körper in seiner Armen. Einen jungen Kerl, augenscheinlich als Mädchen geschminkt in Heels und Nylons. Lena verschwand verstohlen aus dem Raum, während er von drei ihm unbekannten Männern breit und schadenfreudig angegrinst wurde: "Wollen Sie sich nichts anziehen, Herr Staatssekretär Dr. Bortel?"