DAS BGE in der Praxis
DER SPIEGEL 33/2009 vom 10.08.2009, Seite 48
Im Dorf der Zukunft
Eine Idee zieht um die Welt: Gegen Hunger und Armut soll ein Grundeinkommen helfen, gezahlt an jeden Bürger, bedingungslos. Gutmenschentum? Kommunismus? Utopie? In einem Dorf in Namibia wird das Konzept seit über einem Jahr ausprobiert.
Vor dem Wohnzimmerfenster geht die namibische Sonne unter, reich und rot, die Arbeiter ziehen sich zurück in ihre Wellblechverschläge, als Siggi von Lüttwitz mit der flachen Hand auf seinen Holztisch schlägt, um zu erklären, warum der Versuch nicht funktionieren kann.
"Die saufen ja alle", sagt er, raucht an seiner Filterlosen, "und wenn du denen jetzt 100 Dollar gibst, dann saufen die noch mehr." Mit "die" meint Lüttwitz die Menschen von Otjivero, einer Siedlung, die direkt an sein Farmland grenzt; mit "die" meint er Menschen, die arm sind und schwarz. Lüttwitz ist Farmer, Deutsch-Namibier, er sitzt an seinem Esstisch, wachsdeckenbezogen, an der Wand ein Kalender mit den schönsten Zuchtbullen, er sagt: "Stehlen, Kinderkriegen, so sieht das hier aus."
Seine Arbeiter nennt er "seine Kadetten", er zahlt ihnen 2,21 Namibia-Dollar pro Stunde, Mindestlohn, das sind, umgerechnet in Euro, 20 Cent, dazu etwas Fleisch und Milch. Er findet, das ist genug. Er weiß, dass die Menschen in Otjivero hungern, "das sind arme Schweine", sagt er, "irgendwo tun die mir ja auch leid". Aber denen Geld geben? "Eine idiotische Idee", sagt Lüttwitz, so erziehe man die nicht zur Arbeit.
So wie Lüttwitz denken die meisten Farmer in der Umgebung; so wie Lüttwitz denken auch viele Menschen der westlichen Welt. Dass man die Armen in Afrika erziehen müsse, bevor man ihnen Selbstbestimmung erlauben darf. Dass man ihnen Essensgutscheine geben solle und Brunnen, aber keine Verantwortung.
Ungefähr 30 Milliarden Euro Entwicklungshilfe werden jährlich auf den afrikanischen Kontinent gepumpt, über karitative Einrichtungen, humanitäre Hilfsprojekte oder als Direkttransfer an die Regierungen. Das Geld fließt in Tausende Hilfsprojekte, in Brunnenbau und Malaria-Prävention, aber es fließt auch auf die Privatkonten korrupter Staatsmänner, geht drauf für Kriege, kommt oft nicht an, wo es soll. Nach einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe ist die Bilanz erschütternd: 33 der insgesamt 40 Staaten, die vom Internationalen Währungsfonds als "hochverschuldete arme Länder" eingestuft wurden, liegen in Afrika.
Es ist, als hielten die Finanzhilfen der Geberländer den Kontinent gerade so am Leben. Eine Tatsache, die zwei Schlüsse zulässt; entweder: Entwicklungshilfe ist keine Lösung, oder: Afrika ist nicht zu helfen.
In einem kleinen Dorf in Namibia versucht eine Koalition aus Hilfsorganisationen den Beweis anzutreten, dass beide Antworten falsch sind. Afrika ist zu helfen, wenn man richtig hilft, anders als bisher.
Die Idee: ein Grundeinkommen, steuerfinanziert. 100 Namibia-Dollar, umgerechnet 9 Euro, im Monat für jeden, keine Auflagen, keine Gegenleistung, einfach so. Das Geld kommt unter anderen von Aids-Stiftungen, von der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Evangelischen Kirchen in Rheinland und Westfalen.
Nun kommt es darauf an, was die Versuchspersonen mit den 100 Namibia-Dollar machen. Ob sie das Geld investieren oder versaufen, ob es sie vom Arbeiten abhält oder zum Arbeiten motiviert. Vor allem: ob es ihre Armut lindert.
hier der link wo es weiter geht:
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?titel=Im+Dorf+der+Zukunft&id=66360399&