Königskinder. Oder: Blümchenkaffee auf Helvetisch
Königskinder. Oder: Blümchenkaffee auf HelvetischDas Gras der Wiese in den mittleren Höhenlagen des Gebirges war nicht mehr taufeucht.
Sie genoß das Streicheln der frischen Halme an ihren nackten Fußsohlen, als sie die alte, schwere Bank neben der windgezausten Föhre ansteuerte. Sie war aufgeregt. Würde er kommen? Sie wünschte es sich so sehr und fürchtete sich gleichzeitig ein wenig davor. ‚Am frühen Nachmittag‘, hatten sie vereinbart, und: ‚Weit weg vom Städtchen, das so überschaubar und neugierig und geschwätzig war‘. Die Sonne schien warm, und aus dem Tal waren die Kuhglocken zu hören.
Sie wollte schön sein für ihn. Nicht daß sie sich nicht halbwegs hübsch fand. Sie mochte zum Beispiel ihren frechen Haarschnitt mit dem süß zerwuschelten Pony. Aber ihm wollte sie richtig gefallen, so wie es nur jene wollen, die in der zeitlosen Welt zwischen vergangenen Mädchentagen und kommenden Frauenjahren durch Raum und Zeit tanzen. Die Besitzerin der einzigen Boutique hatte wohlmeinend gelächelt und ihr aufmunternd zu dem kleingeblümten knielangen Kleid geraten, das im Nacken gebunden wurde und ihren schlanken Hals wohl adrett betonte, wenn den Worten der Verkäuferin Glauben zu schenken war. Neugierig hatte sie sich zu Hause vor dem großen Schrankspiegel gedreht und mit ihrem Bild kokettiert und befunden, daß die Pastellfarben ihren jungen, noch bleichen Körper sanft genug einhüllten. Zaghaft und unschuldig war ihr Begehren, rein und doch voller junger Hitze, und gleichwohl getragen von Hoffnung und Furchtsamkeit.
Sie war zu früh an der Bank, und es war ihrem pochenden jungen Herz nicht ganz unrecht, denn so konnte sie ihn kommen sehen und würde nicht selbst ihm entgegengehend seiner Prüfung standhalten müssen. Sitzend hatte sie ihre Beine umschlungen, fühlte die Sonnenwärme, die im Holz der dicken Bohlen gespeichert war, an ihren Füßen, summte eine Melodie, die in ihre Gedanken kam. Der Wind streichelte fein den Flaum auf ihren Armen, und sie genoß dieses kleine Glück, und gleich darauf hielt es sie nicht mehr im Sitzen, und sie erhob sich flink und mit der Geschmeidigkeit ihrer jungen Jahre. So schön kamen ihr die Gänseblümchen vor, daß sie begann, sie zu pflücken und zu winden, und es entstanden unter ihren geschickten Fingern ein Kranz, mit dem sie ihr Haar schmückte und ein dünner Reif um ihren Arm und ein kleiner Ring für ihren Finger. Und in ihrer Unerfahrenheit glaubte sie sich so noch ein wenig hübscher für ihn.
Als er vom Tal kommend in ihrem Blickfeld auftauchte, hüpfte ihr Herz. Er war nicht älter als sie und schien dennoch so viel reifer! In üppiger Fülle umwehten seine dunkelblonden Locken sein Gesicht, dessen Konturen Zeichen beginnender Kantigkeit zeigten. Die kleinen Pickelchen ärgerten ihn als sichtbares Symbol erst kurz zurückliegender Pubertät, doch trotz aller Anstrengungen gab es einige, die hartnäckig waren. Mit Schmunzeln würde man seine Bemühungen quittieren, das zart sprießende Oberlippenhaar zu betonen; für sie, die ihn zitternd begehrte, machte es ihn mannhafter als alle seine Freunde. Er ahnte um seine Wirkung, zumindest hoffte er mit Unsicherheit, die er zu verbergen suchte, vor allem bei ihr, und er wollte cool und stark vor ihr sein. Lässig trug er sein zerknittertes Hemd und hatte wohl einen Knopf zuviel geöffnet, um seine Brust zu zeigen. Die ausgewaschene Jeans schmiegte sich an seine Oberschenkel und offenbarte ihr im Näherkommen das Spiel seiner erwachenden Muskeln. Die Schnürsenkel seiner Sneaker waren offen, dem Zeitgeist geschuldet, ein wenig zu nachlässig über den Boden schlenkernd.
Sie stand vor ihm, nervös ihre Finger ineinander verknotend, und mit der Sonne und dem Windhauch waren da Unsicherheit und junges Verlangen, bei ihm ebenso, der noch dazu stärker sein wollte in dieser Situation.
Ihre kleinen Brüste bebten unter dem Kleid, und seine Lippen waren sinnlich und wohlgeformt, und sie faßte sich ein Herz und neigte ihren Kopf nach oben und küßte ihn, und Glück breitete sich in ihnen aus, wie sich ein rauschender Bach im Frühling Bahn ins Tal bricht.
…
So skizzierte sie ihm diese Geschichte in schnellen Strichen, sie, die sie zwar in der Blüte ihrer Jahre stand, und doch im Entdecken ihrer vernachlässigten Körperlichkeit jung und neugierig war und das Wort ‚Blümchenkaffee‘ zum ersten Mal in ihrem Leben hörte. Sie kicherte wohl und zog die Parallele zum ihr eher bekannten ‚Blümchensex‘, und sie wünschte sich sehr, daß er, ein wenig jünger als sie und tausend Meilen entfernt, bei ihr läge und die Blümchen ent- und sie nähme, liebevoll und intim und wild und als Königin.
(in Herzlichkeit gewidmet Madame L.)