Wer bist du?
Weiß und makellos strahlt sie mir entgegen. Leere, wo eigentlich keine sein dürfte… Leere, die in meinem Leben so nicht vorgesehen war. Erschreckend fremd und doch vertraut.
Die Zeit, sie dehnt sich in dieser unberührten Unendlichkeit. Ein Tag wie tausend Jahre… Der fromme Bibelspruch bekommt plötzlich eine ganz neue Bedeutung…
War es nicht eben schon acht Uhr? Bleibt die Zeit plötzlich stehen?
Ich klopfe auf meine Armbanduhr.
Ist es wirklich schon zwanzig Jahre her, dass ich sie geschenkt bekam?
Wo sind die vielen Minuten dieser Jahre geblieben?
Vergangen wie in einem Rausch.
Der Zug, der ungebremst durch die Zeit rast, die wir Leben nennen… Er wurde gestoppt…
Ich schaue wieder auf das Leere Blatt meines Terminplaners. Das Weiß zieht mich noch immer in seinen Bann. Je länger ich hinschaue, um so größer wird dieses weiße Nichts. Ich kann mich darin verlieren. Es ist, als falle ich aus großer Höhe in diesen erschreckend makellosen Raum. Ich kann den Boden nicht sehen. Nichts zum Greifen, das den Sturz mildern würde. Keine Kontrolle. Und doch sehnt sich etwas in mir danach, mich einfach nur fallen zu lassen.
Ich klappe das Buch zu. Es gibt nichts, was ich heute verpassen könnte… Nichts… Eigentlich bloß ein Wort… Und doch, dieses bloße Wort berührt mich ebenso, wie die leere Seite meines Terminplaners…
Nichts!
Und jetzt? Was fange ich mit mir an?
Wer bist du?
Die Frage, die mir vor ein paar Tagen gestellt wurde, sie tönt mir nun im Ohr.
Ein völlig Fremder, dem ich im Forum aufgefallen war.
Er wollte es wissen!
Ich wollte nicht antworten.
Wollte ich nicht? Oder konnte ich nicht?
Ich schaue mich um, in dieser Stille, die heute mein Zuhause ist. Ich bin mein Beruf, mein Bankkonto, meine Familie, mein Aussehen, meine Termine, mein beschäftigt sein rund um die Uhr.
Was bin ich heute?
Hier in diesem kleinen Universum. Gefühlt zusammengeschmolzen auf weniger als nichts.
Ich halte diese Stille nicht mehr aus!
Seit sechs Tagen habe ich diese Wohnung nicht mehr verlassen. Die Stille, diese Ziellosigkeit, umgibt mich, wie ein zäher Sumpf. Mir fehlt der Stock, an dem ich mich herausziehen könnte. Niemand da, der mir einen zu werfen könnte…
Wer bist du?
Mein Blick fällt auf den Laptop, der mir in seiner stillen, verlässlichen Bereitschaft, wie die Insel vorkommt, die mich vor dem Untergang retten wird. Ich ergreife ihn. Ein Gefühl von Halt und gehalten werden durchströmt mich.
Ein trügerisches Gefühl!
Wer bist du?
Ich möchte ihm schreiben!
Ich möchte ihm schreiben, dass ich die Antwort nicht weiß.
Ich möchte ihn bitten, mir die Antwort zu geben! Verrückt! Er kennt mich nicht! Und doch… Vielleicht hat er einen Stock, der mich aus diesem Loch zieht, in das mich die Einsamkeit zu stürzen droht.
Wie von Zauberhand geöffnet, steht das Laptop in voller Bereitschaft vor mir. Ein kurzer Weg dahin.
Manchmal sind falsche Antworten immer noch besser als gar keine.
Ich gehe den wohl bekannten Weg durch das virtuelle Labyrinth.
Wer bin ich?
Enter, die Frage ist raus! Und sie hat ihren Empfänger gefunden. Ich kann es nicht mehr zurück nehmen. Ich fühle mich ein bisschen dumm und albern. Gleichzeitig aber auch spürbar erleichtert.
Ich sitze vor dem Laptop und stelle mir den Weg meiner Frage vor. Vorbei an so vielen Möglichkeiten, potentielle Empfänger meines inneren Kampfes. Warum er? Das kann doch nicht wirklich ein Zufall sein! Ich ertappe mich bei dem Wunsch, dass es tatsächlich kein Zufall sein möge.
Irgendwie fühle ich mich wichtiger mit diesem Gedanken. Nicht mehr so auswechselbar und durchschnittlich. Etwas Besonderes! Ohne meinen Beruf, mein Bankkonto, meine Familie, mein Aussehen, meine Termine, mein beschäftigt sein rund um die Uhr!
Als hätte er meine Gedanken gelesen, kommt seine Gegenfrage :
"Was möchtest du sein?"
Kann eine Frage auch eine Antwort sein? Wer oder was steht hinter all dem, was mir Tag für Tag so viel abverlangt?
Was möchte ich sein? Habe ich mir diese Frage je gestellt? Was passiert da gerade mit mir? Ich beginne mich einzulassen. Eine Situation, die ich mir so nicht ausgesucht habe und wohl auch nie ausgesucht hätte.
Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder. Bilder von Freiheit, Nähe, Wärme, absolutes Angenommen sein, nackt, wie ich mir selbst jetzt gerade gezwungenermaßen begegne. Sind es die "neuen Kleider des Kaisers" , von denen ich glaubte, sie wärmen und schützen mich? Die Illusion, alles im Griff und unter Kontrolle haben zu können?
Darf ich die Kontrolle abgeben? Finde ich den Mut, mich einfach nur einzulassen?
Meine Gedanken und Gefühle treiben zu ihm. Der Anker, den ich glaube zu brauchen. Und doch treibt mich seine Frage auch immer wieder zurück. Von ihm zu mir. Wie ein Ping Pong Ball. Und mit jedem Male, wenn er den Weg zurück zu mir findet stößt er tiefer in eine Welt, die meinem Blick bisher verborgen blieb. Ich öffne mich. Wie die Frau, die in absolutem Vertrauen, warm, weich und bereit, den Mann ihrer Wahl empfängt. Ich umschließe ihn mit allem, was mir meine Sehnsucht diktiert. Ich stelle keine Fragen mehr. Ich sehne, fühle und reagiere nur noch. Die absolute Hingabe, an ihn, an mich, an alles, was ist!
Freiheit!
Ich möchte frei sein!
Worte, hinaus geworfen in eine konturlose Welt.
Konturlos, wie mein Leben hier und jetzt. Konturlos, wie der Empfänger dieser Botschaft. Geformt nur von meiner Fantasie und von der Sehnsucht, die sie antreibt.
Wie selbstverständlich schließen sich meine Arme um mich. Ich spüre die Wärme, die ich mir selbst gerade gebe. Ich spüre die Sehnsucht, die meinen Körper antreibt. Ihm bleibt nur der Weg in meine Arme. Andere gibt es in dieser erzwungenen Isolation nicht.
Meine Arme und Hände beginnen ein Eigenleben zu führen.
"Wer bist du, wenn du frei bist?"
Ich schließe die Augen. Spüre die zarten, warmen Berührungen meiner eigenen Hände.
Wie ein Borderline, der anfängt sich zu ritzen, schießt es mir durch den Kopf. Nur, dass es nicht weh tut. Im Gegenteil! Mein Körper ist überzogen von einer Gänsehaut. Ich entspanne mich. Etwas Großes, Schweres scheint sich von mir abzuheben. Die gefühlte Leere macht Platz für eine nie gekannte Freiheit. Es ist, als würde ich zu schweben beginnen, während meine Hände genau zu wissen scheinen, was mir gerade gut tut. Ein wenig erschreckt bin ich, über das, was ich da gerade fühle. Meine Hände jedoch lassen sich davon nicht beirren. Die Gänsehaut verstärkt sich. Meine Bewegungen werden fester. Sanft immer noch. Wie ein Mann, der weiß, was er tut, liebkose ich mich. Ich spüre die Herausforderung, die dominante Präsenz meiner Hände, Suchend gleiten sie unbeirrt über die ausgestellten Härchen. Eine Woge der Zärtlichkeit lässt mich wie entrückt lächeln. Ich atme tief ein. Mit jedem Ausatmen wird der Raum in mir größer und heller. Als hätten meine Hände nur darauf gewartet, das Zentrum meiner Lust endlich selbst entdecken zu dürfen. Meine Nippel strecken sich den geduldig kreisenden Bewegungen meiner Fingerspitzen entgegen. Das von Männern so begehrte Zentrum meiner Lust fühlt sich so weich und entspannt an, wie nie zuvor. Ich spüre förmlich, wie es sich zu öffnen beginnt. Auch dorthin finden meine Hände den Weg ohne Zögern, ohne Scheu. Es ist ein Gefühl, wie heim kommen! Brust und Vagina verbinden sich auf eine Art, die mich schwindeln lässt.
Ich fühle mich grenzenlos.
Ich keusche. Stoße einen spitzen Schrei aus.
Mein Atem überschlägt sich fast.
Die Lust verströmt sich in jede Pore meines Körpers. Sie wandert in meinen Kopf, um dort in einem wahren Feuerwerk zu explodieren!
Ich bin die reine Lust am Leben, wenn ich frei bin!
Mein erste Gedanke, nach meinem ersten sexuellen Erlebnis mit mir selbst.
"Du weißt es!"