Frauen in der langjährigen Beziehung
Ganz bewusst stelle ich dieses Thema einmal ins Frauen-Forum und einmal ins Männer-Forum. Auch die Umfragen sind entsprechend nach Geschlechtern getrennt. Denn es ist solcherart polarisierend, dass ich es nicht zerpflückt sehen will in einer geschlechts-konträren Diskussion, wer denn nun schlimmer sei, die Frau oder der Mann. Sondern ich wünsche mir, dass jedes Geschlecht sich für sich selbst mit genau diesen Inhalten auseinandersetzt. Und nur mit diesen.Meine Motivation: Ich selbst fand mich abrupt in der Denke des Ekkehard Gehring wieder und entdeckte beängstigend vieles, was mir genau so bekannt war, jedoch in dieser Intensität und Punktgenauigkeit niemals so aussprechen konnte.
Die folgende wahre Geschichte fand ich im Kurzgeschichten-Forum und stelle sie nun hier mit Erlaubnis des Autors zur inhaltlichen (nicht literarischen) Auseinandersetzung des Lesers mit sich selbst und zur Diskussion:
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Wütend ließ der Mann seine Faust auf den Tisch krachen. „Können Sie mir mal erklären“, brüllte er, „warum ich mir für eine Frau Mühe geben und Verständnis haben soll, die immer nur an mir herummeckert, die nichts anderes kann als nörgeln, nörgeln und nochmals nörgeln? Die mich endlos nervt und seit mindestens drei Jahren sich höchstens ein Mal pro Monat gnädigst dazu herablässt, wenn überhaupt, mit mir ins Bett zu gehen?“
„Da sehen Sie es!“, keifte seine Frau, „so ist er! Hab ich’s nicht gesagt? Kann sich einfach nicht benehmen! Das ist ja richtig peinlich …“
Ekkehard Gehring, Paartherapeut in der diakonischen Ehe- und Familienberatungsstelle, starrte den Mann verblüfft an. Um Fassung und Ruhe bemüht, lehnte er sich zurück in seinen Schreibtischsessel, als suche er darin Schutz, und legte die Handflächen aneinander, als wolle er beten. „Nun ja“, versuchte er zu beschwichtigen, „für alles gibt es gute Gründe. Und so wollen wir doch gemeinsam versuchen, nicht nur Ihre Frau zu verstehen, sondern selbstverständlich auch Sie. Und dann wollen wir zusammen Ihre Probleme möglichst in den Griff kriegen und die Konflikte innerhalb der Beziehung klären, um Ihre Ehe zu retten. Und dazu müssen Sie sich nun mal beide eine gewisse Mühe geben, auch Sie, Herr …“
„Das können Sie vergessen!“ Günther Baumann versuchte zwar, sich etwas zu beherrschen, wirkte aber noch immer ziemlich ungehalten. „Und zwar für immer! Ich bin doch kein Märtyrer!“
„Ich verstehe nicht ganz“, antwortete Gehring. „Wieso Märtyrer? Und warum sind Sie dann überhaupt mitgekommen? Ich hatte gehofft, wir …“
„Ganz einfach. Ich hab’s geahnt, dass meine Frau Ihnen nur die halbe Wahrheit erzählt. Und weil sie behauptete, ich solle heute unbedingt dabei sein, dachte ich: Okay, das ist die Gelegenheit, diesem Eheberater mal die ganze Wahrheit zu erzählen. Ich will nämlich diese beschissene Ehe gar nicht retten!“
„Das wusste ich nicht“, räumte der Therapeut ein. „Ich bin davon ausgegangen, dass hier eine langjährige Beziehung erhalten werden soll. Und so hatte es mir Ihre Frau eigentlich auch erklärt, Dafür ist es sinnvoll, beide Seiten zu hören. Nur deshalb hatte ich darum gebeten, dass Sie heute auch dazu kommen.“
„Nun wissen Sie eben, dass ich das anders sehe. Für diese Frau geb ich mir garantiert keine Mühe mehr! In all den Jahren hab ich alles, wirklich alles getan, was sie von mir wollte. Und das war eine Menge, glauben Sie mir! Ich hab mich verbogen und selbst unterdrückt. Ich hab geackert und gerackert und mich geschunden! Ich hab mir so oft all das verkniffen, was mir Freude gemacht hätte, wenn auch meistens mit der Faust in der Tasche. Und nie hab ich dafür mal erlebt, dass diese Frau sich für mich die gleiche Mühe gibt. Es ist kaum zu glauben, aber trotzdem hat sie nicht einmal einen Funken von Verständnis für mich. Doch sie will natürlich, dass ich für alles Verständnis habe, was sie betrifft, und zwar rund um die Uhr! Was immer ich mir an Mühe gegeben habe, war wohl nichts weiter als eine Selbstverständlichkeit. Nur meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit!“
„Das ist doch alles gar nicht wahr!“ giftete die Frau.
Ekkehard Gehring ging nicht auf sie ein. Und auch ihr Mann kümmerte sich nicht um sie, sondern sprach ungerührt weiter: „Das war übrigens noch nie anders. Von Beginn unserer Ehe an wollte sie, dass ich sie gefälligst so akzeptiere und liebe, wie sie ist. Und ich solle sie nicht ständig mit Erwartungen unter Druck setzen. Und so weiter. Sie kennen das ja sicher aus eigener Erfahrung, wenn Sie ehrlich sind.“
Dieser Satz traf Ekkehard Gehring bis ins Mark. Er versuchte zwar immer, ehrlich zu sein, aber dennoch sich selbst und seine Erfahrungen möglichst nicht in die Beratungsgespräche mit einzubringen. Dadurch hätte er in dem einen oder anderen Fall parteiisch wirken können, und das wäre nicht sonderlich professionell gewesen. Doch in diesem Augenblick wurde etwas in ihm so direkt angesprochen, fühlte er sich in seinem Innersten so sehr ertappt, dass er Mühe hatte, den Schimpftiraden von Baumann überhaupt noch folgen zu können.
„Dabei versucht sie seit jeher, mich zu verändern, wo es nur geht“, polterte der Mann weiter. „Alles hat sie mir nach und nach vermiest, was mir jemals Spaß gemacht hat. Also hat sie mich doch noch nie so akzeptiert, wie ich bin! Und Erwartungen hat sie an mich ohne Ende – von morgens bis abends! Das ist doch krank! Die Frau gehört vielleicht in die Psychiatrie, aber nicht in eine Eheberatung! Mit der kann kein Mensch vernünftig reden. Und dann kommen Sie daher und erzählen mir was von Verständnis und Mühe! Sie haben doch wohl einen an der Klatsche, Mann!“
„Hab ich’s nicht gesagt!“, zeterte die Frau. „Der Mann ist einfach unmöglich!“
Langsam wandte sich ihr Mann zu ihr um und sagte mit gepresster Stimme: „Bist du es nicht, die mir ständig in den Ohren liegt, ich solle mehr Gefühle zeigen? Jetzt zeig ich welche! Und dann ist es auch wieder nicht recht. Kann man dir eigentlich überhaupt irgendwas auf dieser Welt jemals recht machen?“
„Ja, du sollst schon Gefühle zeigen, aber doch nicht solche …“
Ekkehard Gehring, sonst ein souveräner Gesprächsführer, war momentan nicht in der Lage, einzugreifen oder den Disput in sinnvolle Bahnen zu lenken. So konnte Baumann sich einmal alles von der Seele reden, was sich im Laufe der Jahre aufgestaut hatte. Und Gehring hörte fasziniert, erschreckt und betroffen zu.
„Ach, du schreibst mir jetzt auch noch vor, welche Gefühle ich zeigen darf. Großartig! Soll ich mal erzählen, welche Gefühle ich von dir gern mal erlebt hätte? Im Bett zum Beispiel! Aber nein, das darf ein Mann natürlich nicht, das wäre ja eine Unverschämtheit! Und schon wieder eine weitere Erwartung an dich! Sag mal, was willst du eigentlich? Könntest du vielleicht auch mal dein Gehirn einschalten, bevor du hier losplapperst?“
Nun wandte er sich wieder an den Therapeuten: „Und was Sie betrifft, Sie Quacksalber - ich bin nun mal ein ganz normaler Mensch. Sie mögen sich ja fühlen wie der Papst persönlich, aber ich kann nun mal nicht so geschwollen daherreden wie Sie und immer alles bedenken und allen Seiten gerecht werden. Ich will auch gar nicht erst versuchen, so zu denken wie eine Frau, schließlich will ich keinen Knoten ins Hirn kriegen. Das würde mich krank machen! Ich sag lieber offen, klar und deutlich, was Sache ist. Mir ist Ihr dämliches Gequatsche nämlich ebenso scheißegal wie das von meiner Frau! Das können Sie sich meinetwegen sonst wohin stecken! Denn von Frauen und vom wahren Leben da draußen haben Sie doch keine Ahnung! Sie sind doch längst von den Weibern zum Zwerg gemacht worden: klein, brav und handlich …“
Das glaubst aber auch nur du, dachte Ekkehard Gehring.
Und prompt war er entsetzt über diesen Gedanken. Säße er nicht hier als Paarberater, sondern in einer Kneipe, würde er dem Mann vermutlich auf die Schulter klopfen und so etwas sagen wie: „Ziemlich übertrieben, mein Freund, aber durchaus zutreffend. Auch ich kenne viele Frauen, die genau so sind.“ Doch war es hier natürlich undenkbar, das auch nur anzudeuten. Also hüstelte er verlegen, rückte seine Brille zurecht und strich den Notizblock auf seinen Knien glatt. Schließlich nahm er besänftigend Anlauf: „Wir wollen doch bitte möglichst sachlich bleiben, Herr Baumann. Nicht wahr?“ Gefühlsausbrüche seiner Klienten war er ja durchaus gewöhnt, doch so plötzlich kam das selten. Vor allem irritierte ihn der ständige direkte, offene Angriff gegen ihn, denn das war bisher noch niemals vorgekommen. Woher dieser Zorn?, fragte er sich. Woher diese Verbitterung, diese Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit? Was hatte der Mann bloß mit dieser Frau erlebt?
Zugleich spürte er, dass tief in ihm ähnliche Empfindungen rumorten. Hatte er nicht immer wieder mal durchaus vergleichbare Erfahrungen mit Frauen gemacht? Ging es ihm denn nicht sogar in seiner jetzigen Beziehung verblüffend ähnlich? Es war verrückt, aber er konnte den Mann verstehen. Natürlich waren Baumanns Schilderungen drastisch und nicht in jedem Punkt zutreffend. In manchem lag er wohl auch daneben und verstand offenbar nicht, was in Frauen vorgeht. Doch im Prinzip hatte er in vielem schlicht und ergreifend Recht. Seine Beschreibung dürfte auf einen hohen Prozentsatz der heutigen Frauen zutreffen.
Er konnte die Wut dieses Mannes also irgendwie nachempfinden, seinen unverhohlenen Zorn verstehen: Als Günther Baumann gehört hatte, dass er sich gegenüber seiner Frau vielleicht zu wenig Mühe gebe und zu selten Verständnis zeige, war er eben ausgerastet. Und langsam begann Ekkehard Gehring zu glauben, dass es ihm an seiner Stelle wohl ähnlich ergangen wäre. Er konnte nachfühlen, dass dies alles endlich mal raus musste. Der Mann wäre sonst womöglich daran erstickt.
Und so gelang es ihm auch, die gegen ihn gerichteten Aggressionen als verständlich und nicht als persönlich gemeint anzunehmen.
„Hören Sie doch auf mit Ihrem psychologischem Getue!“, blaffte Baumann unbeirrt weiter. „Ich will jetzt einfach nicht sachlich bleiben! Das wäre nicht stimmig, wie ihr Psychoklempner zu sagen pflegt. Ich will lieber gerade heraus zeigen, was ich fühle und denke! Und wissen Sie was? Mich kotzt es an, was ich seit Jahren durchmache. Trotzdem hab ich es ausgehalten, hab versucht, mich nicht total unterkriegen zu lassen und schon wegen der Kinder zu dieser Frau gehalten. Sie hätte mich sogar verkloppen können, ich hätte versucht, das irgendwie auszuhalten. Und dann kommen Sie daher und wollen von mir Sachlichkeit und Verständnis! Nichts da, damit ist jetzt endgültig Schluss! Ich werde Ihnen mal erzählen, wie Frauen wirklich sind. Dann dürfen Sie sich auch echter Frauenversteher nennen. Doch zuerst hören Sie mir jetzt, ein paar Minuten zu - genauso wie diese Frau da!“
Ekkehard Gehring blickte unsicher von einem zum anderen. „Ja, aber …“, unternahm er einen weiteren kläglichen Versuch, wieder ins Gespräch zu kommen. Doch er wurde abrupt und energisch unterbrochen. Währenddessen starrte seine Klientin ihn und ihren Mann fassungslos an und hatte offenbar ihre Sprache verloren.
„Nichts aber!“ polterte Baumann. „Jetzt rede endlich mal ich. Diese Frau da will ja seit Jahren, dass ich mit ihr über unsere Beziehung rede, am liebsten ganze Nächte lang. Und heute tue ich es endlich mal. Zu Hause wäre es sinnlos gewesen, denn als Mann bist du da chancenlos. Deine Frau weiß sowieso alles besser. Du kannst sagen, was immer du willst, in diesen Dingen redet sie dich in Grund und Boden. Kein einziges vernünftiges Argument zählt, und wenn du glasklar und scharfsinnig argumentierst, kommt doch wieder ein ‚Ja, aber trotzdem …’. Deine Wünsche und Vorstellungen sind schon allein deshalb das Letzte, weil du ein Mann bist. Wieso soll man unter solchen Umständen mit seiner Frau über Gefühle und über die Beziehung reden? Man wird ja doch an die Wand gequasselt, und alles, was ihre Freundinnen sagen und machen, ist tausendmal wichtiger und besser als das, was der eigene Mann vorzubringen hat. Alles, was Frauen sagen und wollen, ist anscheinend unantastbar, ja sogar irgendwie heilig, auch wenn’s der größte Blödsinn ist. Nur wir Männer, wir sind in ihren Augen offenbar das Letzte! Haben Sie das schon jemals bedacht bei all Ihren Eheberatungen?“
„Nun red‘ doch nicht solchen Unsinn, Günther!“, jammerte Petra Baumann. „Benimm dich doch endlich! Du weißt genau …“
„Halt die Schnauze! Du gehst mir mit deinem Gequassel schon lange auf die Nerven. Jetzt bist du gefälligst mal ganz ruhig und hörst mir genauso zu wie dieser Quacksalber da drüben. Also, mein Guter, ich erteile Ihnen mal eine Lektion in Sachen Frauen. Und damit meine ich nicht nur meine, sondern auch die meisten anderen. Fragen Sie nicht Ihre Psycho- und Sozialklempner, die sind alle längst von den Frauen eingeseift. Fragen Sie lieber mal meine Freunde und Kollegen, fragen Sie den Mann auf der Straße! Dort weiß man, was so abgeht, und die wissen auch, dass alle Weiber von heute so sind: Sie lernen dich kennen und machen dir schöne Augen. Hast du sie endlich rumgekriegt, zerren sie dich auf einmal dauernd ins Bett und können gar nicht genug von dir kriegen. Und du Blödmann fällst drauf rein und bist begeistert. Wenn aber der Ernst einer Beziehung beginnt, nehmen sie dich nicht mehr so, wie du nun mal bist - obwohl sie sich doch genau in den Kerl verliebt haben, der du bist. Nein, sie fangen sofort an, dich zu erziehen und umzubauen: Guck nicht so oft Fußball, rauch nicht so viel, sieh nicht so viel fern, denk nicht dauernd nur an Sex, trink nicht so viel, nimm mehr Rücksicht auf mich, geh nicht so oft weg, benimm dich anständig, lass deine Socken nicht überall rumliegen, pinkle im Sitzen, glotz nicht dauernd nach anderen Weibern, mach dies nicht, mach das nicht. Und so weiter. Später, wenn man sich daran gewöhnt hat und es genau so macht, wie sie es wollte, heißt es auf einmal, dass man gar nichts mehr unternimmt, immer nur zu Hause hockt und gar nicht mehr so lustig ist wie früher. Doch damals durfte man ja auch noch einiges, was einem Freude gemacht hat! Aber gut, man tut ja, was man kann, damit sie nicht endlos nervt. Die Kerle, die ihr dann einfach eine aufs Maul hauen, die wehren sich wenigstens. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin nicht so einer, ich weiß, dass das nicht der richtige Weg ist. Jedenfalls sind wir gutmütigen, friedlichen Männer total angeschissen! Und wissen Sie, was die Krönung ist? Obwohl sie anfangs dauernd selber Sex wollte, will sie ja auf einmal keinen mehr. Oder nur ganz selten. Jetzt ist Sex plötzlich Schmuddelkram, und von Lust darauf findet man bei ihr keine Spur mehr. Und dann kommt das Ende vom Lied: Bist du endlich so geworden, wie sie dich haben wollte, verliert sie das Interesse an dir. Plötzlich bist du nur noch langweilig. Aber die Frauen vergessen dabei, dass sie dich höchstpersönlich und sehr gründlich zum Langweiler gemacht haben! Trotzdem sind jetzt alle anderen Männer viel interessanter - und eines Tages geht sie fremd. Machen Sie sich das einmal bewusst: Sie als Mann werden systematisch niedergemacht und gewissermaßen entmännlicht. Ist das geschafft, sind Sie plötzlich uninteressant. Das ist doch pervers! Oder nicht?“
„Moment mal, Herr Baumann“, warf Gehring dazwischen, „Sie haben da in einem Nebensatz etwas gesagt, sozusagen einen indirekten Vorwurf angebracht, der in unserem Fall meines Wissens nicht zu stimmen scheint. Sie haben von Fremdgehen gesprochen …“
„Hat sie Ihnen das nicht erzählt? Klar, hätte ich mir ja denken können. Wäre ich fremdgegangen, hätten Sie das sofort in der allerersten Minute erfahren … Aber ich habe meine Frau niemals betrogen, obwohl ich allen Grund dafür gehabt hätte, so wie sie mich sexuell am ausgestreckten Arm hat verhungern lassen. Aber da haben Sie’s mal wieder, Sie Frauenversteher. Das erzählt sie natürlich nicht!“
Gehring war sichtlich verwirrt. „Ist das wahr, Frau Baumann, was Ihr Mann da behauptet?“
Sie sah auf den Boden, nickte und sagte leise: „Ja, aber darüber will ich hier nicht reden.“
„Das muss ich dann wohl respektieren, auch wenn es natürlich wichtig wäre und es vor allem die Situation, von der wir ausgehen müssen, ziemlich verändert. Das ist Ihnen sicher bewusst?“
Sie antwortete nicht, blickte weiter beharrlich auf den Boden und fummelte an ihrer Handtasche herum.
„Wenn Sie wüssten, mit wem sie fremdgegangen ist, würden Sie vom Stuhl fallen“, knurrte ihr Mann. „Heute versteht sie das selbst nicht mehr, behauptet sie jedenfalls. Aber vor kurzem war sie noch total verrückt nach diesem Kerl. Und der ist nun wirklich das Allerletzte! So ein richtiges Arschloch! Aber lassen wir das, ist ja jetzt auch scheißegal. Sie sollten nur etwas begreifen: Bei mir ist jeder kleine Wunsch nach Sex schon zu viel, aber ein anderer, dazu auch noch ein richtig beschissenes Arschloch, der darf Sex mit ihr haben, wann immer er will!“
Baumann wirkte auf einmal für einen Augenblick betroffen, hatte sich aber sofort wieder im Griff und fuhr fort: „Da war mir klar, Mann, dass ich mit dieser Frau nicht mehr zusammen sein will.“
Gehring war nun endgültig von der Rolle. Seine gesamte Ausbildung und Erfahrung schienen vergessen, das Gespräch war ihm entglitten. Hilflos sah er die beiden an, hob die Schultern und sagte mit einem entschuldigenden Blick zu ihr: „Irgendwie kann ich Sie da schon verstehen, Herr Baumann.“
„Ehrlich?“, fragte der ungläubig. „Gut, dann verklickere ich Ihnen also mal weiter, wie Frauen wirklich funktionieren: Weil sie dir ja ständig mit ihren Forderungen und Erwartungen auf die Nerven geht, ist es ja wohl mehr als berechtigt, auch mal was von ihr zu wollen. Doch das ist ein entsetzlicher Fehler! Du darfst an eine Frau keine Erwartungen haben, sie fühlt sich sofort viel zu sehr unter Druck gesetzt. Dabei schmeißt sie mit Erwartungen an dich und andere nur so um sich! Oder nehmen Sie diese beschissenen Launen und Stimmungen, die oft grundlos von einer Sekunde zur anderen umkippen. Angeblich die Hormone! Mein Gott, als ob ich als Mann nicht auch Hormone hätte! Ich soll mich aber beherrschen! Was kann ich denn dafür, wenn mein Testosteron oder wie das heißt mal wieder zu viel ist? Aber wenn sie Kopfschmerzen oder ihre Tage hat, dann kann sie angeblich nichts dafür, wenn ihre Hormone spinnen. Wenn meine Hormone spinnen, ist das eine unverschämte Frechheit. Männliche Hormone sind offenbar grundsätzlich böse und schlecht! Nur die von Frauen sind edel und gut. Dass ich nicht lache!
Ja, wir Männer lieben nun mal Sex. Na und? Was ist daran so schlecht? So sind wir nun mal, auch ich! Und so hat sie mich auch kennengelernt. So hat sie sich sogar in mich verliebt! Würden wir Männer die Frauen nicht bedrängen, gälten wir auch bei ihnen sofort als schwul, als Weichei oder was weiß ich. Sie wollen doch begehrt werden, sie freuen sich darüber. Aber jetzt auf einmal, ab einem bestimmten Punkt, dürfen wir sie auf keinen Fall mehr bedrängen und begehren! Jetzt ist unsere Lust auf Sex böse! Aber die Unlust der Frau, die ist natürlich völlig in Ordnung. Tja, mein Guter, so ist das eben. Kaum sind wir verheiratet, ist es also mit dem Sex vorbei.“
„Wenn eine Frau nun aber mal Probleme damit hat und keine Lust empfindet, dann hat das auch Gründe, und die könnten in der Beziehung liegen …“, wandte Gehring ein, doch Baumann unterbrach ihn barsch: „Hören Sie doch auf! Ich sag Ihnen mal, was daran so fies ist? Okay, Sie haben möglicherweise Recht und man kann einer Frau wahrscheinlich keinen Vorwurf machen, wenn sie wenig oder gar keine Lust auf Sex hat. Doch warum verlangt sie dann von ihrem Partner, dass er seine eigene Lust auch unterdrückt? Was hat das denn mit Liebe zu tun? Die Frau sagt dann nicht etwa: ‚Tut mir leid, Schatz, dass ich nicht mehr so scharf bin wie am Anfang. Ich weiß auch nicht, warum das so ist, aber ich hab eben keine Lust mehr auf Sex. Doch du musst deswegen ja nicht leiden und auch noch so lustlos werden wie ich, such dir doch `ne hübsche und nette Freundin, die richtig geil ist. Ich liebe dich schließlich und will nicht, dass du wegen mir leidest.’ Das werden sie garantiert niemals von einer Frau hören! Und wissen Sie, warum? Das wäre dann ja wahre Liebe! Meine Frau ist sogar noch schlimmer: Wenn ich mir deshalb einfach hin und wieder mal `nen Porno ansehe und mir einen runterhole, wird die doch glatt stinksauer und will mir das auch noch verbieten! Ist das nicht eine Unverschämtheit? Ich geh dabei nicht mal fremd - aber selbst das wird mir verboten! Am besten sollte ich gar keine Lust mehr auf Sex haben. Aber wetten, dass ihr das auch nicht gefallen würde? Wahrscheinlich wollen die Weiber, dass auch uns Männern die Lust gründlich vergeht, dass wir auf Sex genau so wenig Lust haben wie sie oder ganz darauf verzichten. Nur frage ich mich, warum sie dann selbst fremdgehen? Angeblich haben sie doch keinen Bock auf Sex. Da fragt man sich doch, was soll das? Aber ich kann‘s Ihnen erklären, mein Lieber. Vielleicht können Sie es für Ihre nächsten Beratungsgespräche brauchen?“
„Jetzt bin ich aber gespannt“, sagte Gehring so ruhig und gefasst wie möglich.
„Das ist ganz einfach: Die Frauen haben nicht etwa keinen Bock auf Sex, sondern keinen Bock auf ihren Partner. Aber das sagen sie dir nicht! Ihr Partner geht ihnen, aus welchem Grund auch immer, total auf den Keks. Und er geht ihnen am Arsch vorbei. Aber von ihm lassen wollen sie auch nicht. Und mit anderen darf er es erst recht nicht treiben. Soll er doch vor die Hunde gehen!“ Er funkelte seine Frau und den Therapeuten wütend an und fuhr fort: „Bei uns ist sie mal wieder total verspannt, hat Kopfschmerzen oder ist von der Arbeit des Tages völlig fertig, wenn wir Lust auf Sex haben. Nur seltsam, dass dies alles niemals der Fall ist, wenn ihr Lover Lust hat. Da sind sie meistens sofort zur Stelle, und da ist auch sein Begehren keineswegs unangenehm. Komisch, nicht wahr? Dämmert Ihnen was? Wehe, wir Männer haben mal keine Lust darauf, was die Frauen gerne wollen, dann kann man was erleben! Egal, ob das nun Tanzen ist oder Kuscheln, Massieren oder Liebesfilme gucken … Und wissen Sie was? Nicht mal beim Sex dürfen wir Männer Nein sagen, wenn die Gute denn ausnahmsweise mal so etwas wie Lust verspürt. Da haben wir Männer gleich strammzustehen! Das geht ja nun wirklich nicht, dass wir nicht wollen, da fühlt sie sich gleich weniger begehrenswert und total ungeliebt. Wie entsetzlich! Sofort kommt diese ewig blöde Frage: Liebst du mich überhaupt noch? Aber wie oft wir Männer mit einem Nein fertig werden müssen, wie wenig begehrt wir uns fühlen, das interessiert sie einen Scheißdreck!“
Er hielt für einen Moment inne, als würde er nachdenken. Dann legte er erneut los: „Und noch was fällt mir gerade ein. Wissen Sie, über alles und jeden wollen die Weiber quasseln, stundenlang können sie alles durchkauen. Jede Kleinigkeit! Und wir sollen uns auch noch dafür interessieren und genau zuhören. Dabei interessieren sie sich für unsere Gedanken, Hobbys und Vorlieben kein bisschen. Was sie interessiert und was ihre Freundinnen so denken und tun, dass soll ich mir stundenlang anhören. Aber glauben Sie etwa, sie hört mir mal zu, wenn ich über Fußball reden will oder über das, was an meiner Arbeitsstelle so passiert? Oder was genau an unserem Auto defekt ist? Das interessiert sie nicht die Bohne! Will ich mal über was reden, das wirklich wichtig für mich ist, zum Beispiel über meine sexuellen Phantasien, dann ist sie plötzlich stumm wie ein Fisch, kriegt ihr Maul nicht auf und hat gerade überhaupt keine Zeit zum Reden.
So, jetzt wissen Sie mehr über Frauen als jemals zuvor! Es kommt übrigens noch einiges dazu, aber das reicht wohl fürs Erste. Über alles andere können wir ja ein anderes Mal reden. Haben Sie schon mal über all das nachgedacht? Vielleicht gibt es sogar Seminare mit dem Thema: Wie Frauen ihre Männer am schnellsten kleinkriegen und ihnen am besten ein schlechtes Gewissen einreden? Wir Männer sind ja so böse und gemein, wir unterdrücken Frauen seit was weiß ich wie vielen Jahren. Nur weil wir Männer sind, werden wir verachtet! Ist doch aber komisch, dass sie ihre Unterdrücker am Anfang immer anhimmeln und ihnen nachlaufen, sie unbedingt heiraten wollen und all so’n Scheiß! Ich kenne sonst niemanden, der mit seinem Unterdrücker auch noch unbedingt zusammenleben und Kinder haben will. Jeder vernünftige Mensch ist froh, wenn er solch ein Arschloch nicht jeden Tag um sich rum haben muss. Ich kenne solche Chefs, das können sie mir glauben, und ich bin froh, wenn ich die von hinten sehe. Ich will sie garantiert nicht heiraten!
So sind Frauen, mein Guter! Und das betrifft nicht nur meine Frau, sondern auch die meisten anderen. Wie gesagt, Sie dürfen gerne meine Kumpels fragen und meine Kollegen! Dann wissen Sie erst, was wirklich da draußen Tag für Tag passiert. Da können Sie Ihr Gelaber vergessen!
Und jetzt hau ich ab. Ich halt’s hier nicht mehr aus. Ich komm gern wieder mal bei Ihnen vorbei, wenn sie kapiert haben, wie Frauen wirklich ticken und was sie uns Männern Tag für Tag antun. Bis dahin sehen Sie mich hier nicht mehr!“
Damit erhob Baumann sich. Plötzlich hielt er inne. „Noch etwas, auf das Sie bestimmt noch nie gekommen sind: Hören Sie Frauen mal genau zu. Wann immer es einer von ihnen schlecht geht, sind Männer daran schuld. Fehlt ihr Zärtlichkeit oder Nähe, liegt’s an ihrem Mann! Braucht sie mehr Komplimente oder Aufmerksamkeit, gibt ihr Mann ihr zu wenig davon. Hat sie nicht genügend Kleider oder Schuhe - garantiert ist ihr Mann schuld, und am besten auch gleich alle anderen Kerle, die sie jemals gehabt hat. Wetten, dass Sie das hier jeden Tag von einer hören? Vielleicht ist es ja auch manchmal so, es gibt schließlich viele Arschlöcher auf der Welt. Aber eines daran kotzt mich seit langem an: Behaupten Sie mal als Mann, dass Frauen an etwas schuld sind, zum Beispiel daran, dass wir Männer zu wenig oder zu schlechten Sex haben. Dann fallen sie alle über einen her.“ Er trat einen Schritt vor und schlug noch einmal mit der Faust auf den Tisch. „Sogar solche Kerle wie Sie machen einen dann fertig, alle diese Weicheier, die den Mut verloren haben, den Frauen auch mal die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Man darf doch die Frauen nicht dafür verantwortlich machen, wenn es uns Männern an etwas fehlt, heißt es dann sofort. Ja, wen denn sonst? Können Sie mir das mal sagen? Und Frauen machen doch auch Männer für alles verantwortlich, doch da muckt keiner auf, das ist angeblich in Ordnung. Merken Sie was, Mann? Fällt Ihnen jetzt was auf?“
Er wandte sich um und brummte: „Nur damit ihr es wisst: ich geh jetzt einen saufen, das brauch ich zur Beruhigung.“ Damit knallte er die Tür hinter sich zu.
Ekkehard Gehring und Petra Baumann sahen sich an. Sie kramte in
ihrer Handtasche nach einem Taschentuch, und als sie eines gefunden hatte, begann sie zu heulen.
Der Paartherapeut musste schwer schlucken. Ihm war übel.
Sehr seltsam ging es ihm. Denn er musste sich eingestehen, dass
er auf einiges zumindest spontan keine vernünftige Antwort gewusst hätte. Insgeheim hatte er selbst in dem einen oder anderen Punkt schon mal so ähnlich gedacht. In seiner direkten, zupackenden Art hatte der Mann zwar maßlos übertrieben, keine Frage. Doch hatte er durchaus den einen oder anderen Nagel auf den Kopf getroffen. Aber so knallhart und unverhüllt, so offen und furchtlos hatte das noch keiner zum Ausdruck gebracht. Und er selbst hätte es sich nie und nimmer getraut, schon gar nicht in Anwesenheit einer Frau. Außerdem wären solche Gedanken und Äußerungen hier in einer Eheberatung fehl am Platz.
Doch er hatte sich, als er dem Mann zugehört hatte, die ganze Zeit über gefragt, warum er das eine oder andere, wenn auch in deutlich gemäßigter Form, nicht längst mal einer seiner Partnerinnen gesagt hat. Die waren, einschließlich seiner jetzigen, nämlich in vielem gar nicht so viel anders, wie es dieser Baumann - wenn auch deutlich überzeichnet und viel zu krass - geschildert hatte.
Aber wie geht man nun damit in einer Paartherapie um, ohne unglaubwürdig zu werden und noch aufrecht in den Spiegel schauen zu können?
Er wusste es nicht. Irgendwie musste er jetzt die Stunde mit Frau Baumann positiv abschließen und gut über die Bühne bringen. Oder doch nicht?
Als diese sich einigermaßen ausgeweint hatte, machte er ihr freundlich klar, dass die heutige Stunde jetzt vorbei sei, auch wenn es noch zu früh war. „Wir werden über all das, was wir eben gehört haben, beim nächsten Mal in Ruhe miteinander sprechen. Und dann werde ich mir mehr Zeit als üblich für Sie nehmen. Ist das in Ordnung für Sie.“
Petra Baumann nickte und verabschiedete sich. Die Frau war immer noch sichtlich geschockt. Doch er traute sich nicht zu fragen, warum eigentlich …
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