In dieser durch Corona verordneten und unfreiwilligen „Fastenzeit“ nehmen sich viel Menschen Zeit, um aufzuräumen - alte Unterlagen, alte Briefe, alte Bilder. Jetzt haben wir Zeit für sie, schauen sie uns an, denken noch einmal darüber nach: was war wann und warum. Mir kam das Bild eines Mädchens aus Tanzschulzeiten zwischen die Finger und dieses Mädchen in den Sinn.
Drei Kumpel waren wir damals in der Tanzschule. Ich war wohl der schüchternste und unerfahrenste in Sachen „Mädchen ansprechen“. Aber ich war auch hartnäckig.
Am einem Samstagnachmittag – dann war immer ‚Disco‘ in der Tanzschule - fiel uns dreien dieses eine Mädchen auf. Zunächst ging Freund 1 zu ihr hin. Er war der angesagte Mädchenschwarm seinerzeit und wollte sie zum Tanzen auffordern – bekam aber einen Korb. Danach versuchte es Freund 2 – seinem Charme konnte kaum eine widerstehen – aber auch er bekam eine Absage. Also war die Reihe an mir – dem kleinsten, unscheinbarsten, schüchternsten von uns dreien.
Natürlich traute ich mich erst gar nicht, wurde von meinen beiden Kumpels aber freundlich gedrängt und geschubst: „Los, jetzt Du.“ So nahm ich mein Herz in die Hand, ging mit flauen Knien quer durch den Tanzsaal auf sie zu und forderte sie zum Tanzen auf. Und da geschah etwas, was ich mir nicht vorstellen konnte: sie sagte JA und wir tanzten - Barry White, you‘re my first my last my everything. Der Himmel hing voller Geigen, noch heute liebe ich dieses Lied.
Es war eine Jugendliebe, die nur 2 Wochen hielt und wir verloren uns nach der Tanzschule so gut wie aus den Augen. Bis vor ca 20 Jahren, da traf ich sie zufällig irgendwo wieder. Wir kamen ins Gespräch über unsere Leben und tauschten zum Schluss die Telefonnummern aus.
Als ich jetzt dieses Foto sah, kamen die Erinnerungen wieder und mir wurde auf einmal klar, dass diese kurze Begegnung mit ihr damals für mein Leben sehr bedeutsam war: sich etwas trauen, auch wenn man selbst kaum Chancen sah und weiche Knie hat und dann auch noch Erfolg haben!
Normalerweise sieht man so ein Foto und legt es dann auch gleich wieder weg. Jetzt hatte ich Zeit, mir noch einmal Gedanken darüber zu machen und sogar die Muße, dieser Frau, meine Gedanken von früher per Whatsapp mitzuteilen und ihr für diesen Tanz von vor über 45 Jahren und die Auswirkungen auf mein Leben zu danken. Es folgten noch ein paar whatsapps und danach haben wir lange am Telefon über Gott und die Welt, über die Liebe und die Angst, über Frauen und Männer und über das Leben und den Tod geredet – und das tat sehr gut, besonders in diesen Zeiten.
Zeit haben, aufräumen, nachdenken – ich bin mir sicher, alle haben Dinge im Keller liegen - und vieles zum nach-DANKEN.