Ich kann es einerseits verstehen, dass die Sehnsucht nach körperlicher Nähe trotz oder gerade wegen der Aufforderung zu Hause zu bleiben und physical distancing zu anderen (fremden) Menschen zu betreiben durchaus vorhanden ist und es für manch einen sehr frustrierend ist, wenn er folglich gerade in Single-Zeiten auch seiner Sehnsucht nach der körperlichen Nähe der besonderen Art nicht nachgehen kann.
Andererseits mag es durchaus sinnvoll sein zu versuchen aus der Not eine Tugend zu machen und die Zeit zu nutzen, um zur Selbstfindung und Selbstbesinnung zu kommen. Zu einer Entschleunigung in einer Gesellschaft, die von Schnelllebigkeit und oft auch Flüchtigkeit geprägt ist. Auch bietet es Gelegenheit vielleicht mal andere Perspektiven einzunehmen, gerade was die Sache mit dem Ausleben von Sexualität und körperlicher Nähe mit anderen Menschen angeht. Es gibt durchaus Menschen für die erscheinen die eingangs geschilderten Situationen wie Luxusprobleme, oder anders gesagt es gibt genügend Menschen für welche die geschilderten Probleme nicht Corona-spezifisch sind, sondern den traurigen Alltag darstellen. Menschen, die ihr bisheriges Leben lang unfreiwillig Single waren und unter permanenter Einsamkeit leiden. Menschen mit Depressionen, Behinderungen, unterpriviligierte Leute, alte Menschen etc., die kaum oder gar keine Gelegenheit haben ihre Sexualität gemeinsam mit anderen auszuleben. Oder auch Personen, die vielleicht auf den ersten Blick oder nach eigener Einschätzung gar keine so gravierende Probleme zu haben scheinen, mit Ausnahme dass sie es eben nicht hinkriegen Anschluss zu finden, soziale Kompatibilität herzustellen und überhaupt jemanden kennen zu lernen.
Das Angebot sich mit sich selbst oder über Distanz mit anderen Personen sexuell zu beschäftigen ist dank der heute technischen Möglichkeiten riesig. Wenn man denn gewillt ist sie zu nutzen, gewisse Kreativität walten lässt und sich dafür überhaupt erwärmen kann. Für Frauen ist das Angebot an Sextoys sehr vielfältig, für Männer wiederum sind eher Pornos oder Sexcams in solchen Zeiten sicherlich interessanter. Es ist freilich kein Ersatz für physische Kontakte zu anderen Menschen, aber doch eine Möglichkeit die schwierigen Zeiten zu überbrücken.
Obwohl da im Moment eben wenig andere Optionen übrig bleiben ist es für mich selbst mit einer, wenn auch eher nicht so schwerwiegenden Behinderung wahrscheinlich auch etwas einfacher. Hab für mich nie so wirklich herausfinden können, ob mir soziale oder in den letzten Jahren auch sexuelle Kontakte überhaupt etwas bedeuten und wenn ja, wie viel. Für mich war Kopfkino immer einfacher als die reale Umsetzung und es gelang mir bisher nur relativ selten normale soziale Kontakte aufzubauen und diese vor allem auch über längere Zeit hinweg zu halten. Und das sowohl offline wie eigentlich auch online, da es für mich geeignete Online-Plattformen heute kaum mehr gibt. Abgesehen von ein bis zwei virtuellen, nichtsexuellen Kontakten läuft da jetzt, wie auch vor Corona absolut nichts. Sexuelle Erfahrungen hab ich zwar, aber viele sehr flüchtige, weil ich die letzten Monate, Jahre ab und zu Swingerclubs besuchte und dort jeweils versuchte am Geschehen teilzunehmen, wo dies möglich war. Komischerweise hab ich mich in dieser Welt menschlich nie so wirklich deplaziert gefühlt, vermutlich weil ich eben das Interesse hatte da einzutauchen, diverse Sachen versucht habe umgesetzten, statt nur tatenlos zuzuschauen.
Geht jetzt halt alles nicht mehr, was für mich auch etwas blöd ist, aber dennoch kein Weltuntergang. Auch wenn Club trotz Corona geöffnet haben dürften, würde ich da nicht hingehen, da ich eben auch nicht so top gesund bin und nicht einmal richtig abschätzen kann, ob ich zu einer Risikogruppe gehören und inwiefern mir das Virus zusetzen würde, sollte ich mir dieses irgendwann einfangen. Alles also nicht so einfach, in vielerlei Hinsicht!